27. September: Predigt von Kardinal Angelo Amato

Predigt von Kardinal Angelo Amato bei der Seligsprechung von Alvaro del Portillo

1. „Ein Hirte nach dem Herzen Christi, ein eifriger Diener der Kirche“[1]. Das ist das Porträt, das Papst Franziskus vom seligen Alvaro del Portillo zeichnet, ein guter Hirte, der, wie Jesus, seine Schafe kennt und liebt, die verlorenen zur Herde zurückführt, die Wunden der Verletzten versorgt und für sie sein Leben opfert[2].

Der neue Selige wurde bereits als Jugendlicher berufen, Christus zu folgen. Später wurde er ein eifriger Diener der Kirche und verkündete in der ganzen Welt den herrlichen Reichtum ihrer heilbringenden Geheimnisse: „Ihn verkündigen wir; wir ermahnen jeden Menschen und belehren jeden mit aller Weisheit, um dadurch alle in der Gemeinschaft mit Christus vollkommen zu machen. Dafür kämpfe ich unter vielen Mühen; denn seine Kraft wirkt mit großer Macht in mir“[3] Er verkündete Christus, den Erlöser, ganz und gar treu zum Kreuz und auch in Schwierigkeiten beispielhaft froh, wie es dem Evangelium entspricht. Daher wendet heute die Liturgie das Wort des Apostels auf ihn an: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“[4] Heiter und gelassen bleiben selbst in Schmerz und Leid kennzeichnet die Heiligen. Von daher sind die Seligpreisungen geradezu ein Hymnus auf die Freude, auch die härtesten, etwa Verfolgungen.

2. Der selige Alvaro del Portillo lebte viele Tugenden– so den Glaube, die Hoffnung und die Liebe in heroischem Maße. Er befolgte diese Tugendhaltungen gemäß den Seligpreisungen der Milde, der Barmherzigkeit und der Herzensreinheit. So ist es einstimmig berichtet worden. Neben der hervorstechenden spirituellen und apostolischen Übereinstimmung mit dem heiligen Gründer zeichnete ihn seine große Menschlichkeit aus.

Die Zeugen bestätigen, dass Alvaro von klein auf „ein sehr fröhlicher und sehr fleißiger Junge war, der nie Probleme machte“. „Er war liebevoll, einfach, froh, verantwortungsvoll und gut zu haben.“[5] Von seiner Mutter, Doña Clementina, hatte er seine sprichwörtliche Gelassenheit, sein Feingefühl, Lächeln und Verständnis geerbt – sowie, dass er über andere stets gut sprach und ausgewogen im Urteil war. Er war ein richtiger „Caballero“, ein Gentleman. Er war kein Freund vieler Worte. Seine Ingenieursausbildung verlieh ihm geistige Unterscheidungskraft, Treffsicherheit und Genauigkeit beim Erfassen und Lösen von Problemen. Das trug ihm Respekt und Bewunderung ein.

3. Mit seinem Feingefühl im Umgang verband sich ein außerordentlicher geistiger Reichtum, bei dem die gnadenhafte Verbindung von innerem Leben und unermüdlichem apostolischen Eifer hervorstach. Der Schriftsteller Salvador Bernal bestätigt, dass er die demütige Prosa der täglichen Arbeit in Poesie verwandelte.

Er war ein lebendiges Beispiel für die Treue zum Evangelium, zur Kirche, zum Lehramt des Papstes. Immer wenn er zum Petersdom in Rom ging, betete er vor dem Petersgrab das „Credo“ und vor dem Marienbild „Mater Ecclesiae“ ein „Salve Regina“.

Er mied jede Art von Personenkult, weil er die Wahrheit des Evangeliums und die Gesamtheit der Tradition mitteilte, und nicht seine persönlichen Auffassungen. Die eucharistische Frömmigkeit, die Verehrung der Gottesmutter und der Heiligen nährten sein geistliches Leben. Mit Hilfe von mündlichen Gebeten lebte er in der Gegenwart Gottes. Zu seinen häufigsten Stoßgebeten zählten: „Cor Jesu Sacratissimum et misericors, dona nobis pacem!“ und »Cor Mariae Dulcissimum, iter para tutum«. Außerdem die marianische Anrufung »Heilige Maria, unsere Hoffnung, Magd des Herrn, Sitz der Weisheit«.

4. Ein entscheidender Moment seines Lebens war 1935 der Ruf zum Opus Dei. Der 21jährige begegnete dem heiligen Josemaría Escrivá, der damals ein junger Priester von 33 Jahren war. Alvaro antwortete großherzig auf den Ruf des Herrn zu Heiligkeit und Apostolat.

Ihn beseelte eine tief empfundene, kindliche, liebevolle und tatkräftige Einheit mit dem Heiligen Vater. Er nahm dessen Lehren dankbar an und gab sie allen Angehörigen des Opus Dei weiter. In den letzten Jahren seines Lebens küsste er oft einen Bischofsring, den ihm der Papst geschenkt hatte, um seine völlige Zustimmung zu den Wünschen des Römischen Pontifex zu bekräftigen. Insbesondere griff er die Aufrufe des Papstes zum Gebet und zum Fasten für den Frieden, für die Einheit der Christen und für die Evangelisierung Europas bereitwillig auf.

Weiter zeichneten ihn aus: die Klugheit und Geradlinigkeit, mit der er Ereignisse oder Personen bewertete; der Gerechtigkeitssinn, mit dem er die Ehre und die Freiheit anderer achtete; die Stärke, mit der er physischen und moralische Probleme bewältigte; sein Maßhalten, die Mäßigung, die er durch Nüchternheit wie durch innere und äußere Abtötung lebte. Der selige Alvaro verbreitete den Wohlgeruch Christi – den „bonus odor Christi“[6], den der Duft wahrer Heiligkeit.

5. Es gibt jedoch eine Tugend, die Bischof Alvaro del Portillo auf außerordentliche Weise lebte und die für die Heiligkeit und das Apostolat unersetzlich ist, nämlich die Demut. Sie ist Nachfolge und Identifizierung mit Christus, denn er ist „gütig und von Herzen demütig“[7]. Er liebte das verborgene Leben Jesu und schätzte die einfachen Gesten der Volksfrömmigkeit nicht gering wie zum Beispiel, auf den Knien die „Scala Santa“ in Rom hinauf zu rutschen. Einmal hatte ein Angehöriger der Prälatur diesen Ort aufgesucht, war aber die Stufen zu Fuß hinaufgestiegen, weil er sich, wie er erklärte, für einen reifen und gut gebildeten Christen hielt. Der selige Alvaro lächelte ihn an und sagte, dass er die „Scala Santa“ auf Knien hochgerutscht sei, obwohl es dort ein großes Gedränge und kaum Luft gab[8]. Das war eine große Lektion an Einfachheit und Frömmigkeit.

Bischof del Portillo hat sich in der Tat vom Verhalten unseres Herrn Jesus Christus „anstecken“ lassen, der nicht gekommen war, „um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“[9]. So betete und meditierte er häufig den eucharistischen Hymnus „Adoro te devote, latens Deitas“. Ferner betrachtete er das Leben Mariens, der demütigen Magd des Herrn. Manchmal erinnerte er an ein Wort aus den „Novelas Ejemplares“ von Cervantes: „Ohne Demut gibt es keine echte Tugend“[10]. Und oftmals betet er ein Stoßgebet, das den Angehörigen des Werkes recht geläufig ist: „Cor contritum et humiliatum, Deus, non despicies“ – ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst Du, Gott, nicht verschmähen.[11]

Für ihn war, wie für den heiligen Augustinus, die Demut „die Heimstatt der Liebe“[12]. Er wiederholte einen Rat, den der Gründer des Opus Dei gerne mit einem Wort des heiligen Josef von Calasanz gab: „Wenn du heilig sein möchtest, sei demütig. Wenn du heiliger sein möchtest, sei demütiger. Wenn du sehr heilig sein möchtest, sei sehr demütig.“[13] Auch vergaß er nicht, dass der Thron Jesu bei seinem Einzug in Jerusalem ein Esel gewesen war. Seine früheren Kommilitonen haben seine außerordentliche Intelligenz hervorgehoben Sie betonten aber ebenso seine Einfachheit, die heitere Unschuld eines Menschen, der sich nicht für besser als die anderen hält. Er wusste, dass sein größter Feind der Stolz ist. Ein Zeuge versicherte, dass er „die Demut in Person war“[14].

Seine Demut war nicht schroff, aufgetragen oder bitter, sondern liebenswürdig und froh. Seine Freude kam aus seiner Überzeugung, persönlich wenig wert zu sein. Am Beginn des Jahres 1994, sein letztes Lebensjahres auf Erden, sagte er in einem Treffen mit seinen Kindern: „Ich sage es euch, und ich sage es mir selber. Wir müssen das ganze Leben kämpfen, um demütig zu sein. Wir haben die wunderbare Schule der Demut des Herrn, der Muttergottes und des heiligen Josef. Lernen wir von ihnen! Kämpfen wir gegen das eigene Ich, das sich ständig wie eine Viper erhebt, um zu beißen. Aber wenn wir nahe bei Jesus sind, der aus dem Geschlecht Mariens stammt und der den Kopf der Schlange zertritt, sind wir sicher.“[15]

Für Don Alvaro war die Demut „der Schlüssel, der die Tür öffnet, um in das Haus der Heiligkeit einzutreten“, während der Stolz das größte Hindernis darstellt, um Gott zu sehen und zu lieben. Er sagte: „Die Demut reißt die lächerliche Pappmaske herunter, wie sie eingebildete, um sich selbst kreisende Menschen tragen.“[16] Die Demut lässt uns die eigenen Begrenzungen erkennen, zugleich aber unsere Würde als Kinder Gottes. Das größte Lob seiner Demut sprach eine Frau des Opus Dei aus, nachdem der Gründer verstorben war: „Gestorben ist Don Alvaro, denn unser Vater lebt weiter in seinem Nachfolger.“[17]

Ein Kardinal berichtete, er habe einmal in der Regel des heiligen Benedikt und in den „Geistlichen Übungen“ des heiligen Ignatius von Loyola über die Demut gelesen und gemeint, das sei zwar ein hohes, aber für den Menschen unerreichbares Ideal. Aber dann habe er den seligen Alvaro getroffen und näher kennengelernt. Da habe er verstanden, dass es doch möglich sei, vollkommen demütig zu leben.

6. Auf den Seligen passen Gedanken von Kardinal Ratzinger über die heroische Tugend, die er 2002 anlässlich der Heiligsprechung des Gründers des Opus Dei ausdrückte. Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation sagte: „Heroische Tugend bedeutet nicht eigentlich, dass einer große Dinge aus sich selbst heraus getan hat, sondern dass in seinem Leben Realitäten erscheinen, die er nicht selbst vollbracht hat, dank dessen, dass er durchsichtig und verfügbar gewesen ist für das Werk Gottes. (…). Das ist die Heiligkeit.“[18]

Das ist die Botschaft, die uns heute der selige Alvaro del Portillo sendet. Als „Hirte nach dem Herzen Jesu“, als „eifriger Diener der Kirche“[19], lädt er uns ein, heilig zu sein wie er, indem wir eine liebenswürdige, barmherzige, freundliche, sanfte und demütige Heiligkeit leben.

Die Kirche und die Welt brauchen das große Schauspiel der Heiligkeit, um mit seinem Wohlgeruch die giftigen Ausdünstungen vieler prahlerischer Laster zu reinigen, die sich mit arroganter Beharrlichkeit aufdrängen.

Mehr als je zuvor brauchen wir heute eine Ökologie der Heiligkeit, um der Ansteckung durch Unmoral und Korruption zu widerstehen. Die Heiligen laden uns ein, die reine Luft der Gnade Gottes ins Herz der Kirche und der Gesellschaft zu bringen, die das Angesicht der Erde erneuert.

Maria, die Helferin der Christen und Mutter der Heiligen, möge uns helfen und uns beschützen.

Seliger Alvaro del Portillo, bitte für uns.

Amen.


[1] Franziskus, Apostolisches Breve zur Seligsprechung des Ehrwürdigen Dieners Gottes Alvaro del Portillo, Bischof, Prälat des Opus Dei, 27.09.2014.

[2] Vgl. Ez 34,11-16; Joh 10,11-16.

[3] Kol 1,28-29.

[4] ibid. 24.

[5] Positio super vita, virtutibus et fama sanctitatis, 2010, Bd. I, S. 27.

[6] 2 Kor 2,15.

[7] Mt 11,29.

[8] Vgl. Positio super vita, virtutibus et fama sanctitatis, 2010, Bd. I, S. 662.

[9] Mt 20,28; Mk 10,45.

[10] Miguel de Cervantes, Novelas Ejemplares: „El coloquio de los perros“. Vgl. Positio super vita, virtutibus et fama sanctitatis, 2010, Bd. I, S. 663.

[11] Ps 51,19.

[12] Hl. Augustinus, De sancta virginitate, 51.

[13] Hl. Josemaría Escrivá, zit. nach A. Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. I, Köln (Adamas), 2001, S. 19, Fußn. 12.

[14] Positio super vita, virtutibus et fama sanctitatis, 2010, Vol. I, S. 668.

[15] Ibid. S. 675.

[16] Ibid.

[17] Ibid. S. 705.

[18] Vgl. ibid. S. 908. Deutscher Wortlaut in: L'Osservatore Romano (Beilage der italienischen Tagesausgabe), 6. Oktober 2002.

[19] Vgl. Franziskus, Apostolisches Breve zur Seligsprechung des Ehrwürdigen Dieners Gottes Alvaro del Portillo, Bischof, Prälat des Opus Dei, 27.9.2014.