Christen unter Hitler

Der Bonner Historiker Heinrich Walle hat einen sorgfältigeren Umgang mit den Quellen im Umgang mit dem Nationalsozialismus gefordert. Bei einem Vortrag im Kölner Studentenheim Schweidt nannte er als Beispiel die Art, wie in manchen Massenmedien der Einsatz Papst Pius XII. für die Juden uminterpretiert worden sei. Tatsächlich habe dieser Papst nachweislich mehr Juden in Rom gerettet als alle anderen Personen des öffentlichen Lebens Italiens.

Über 3.000 Briefe katholischer Soldaten im II. Weltkrieg hat der Bonner Publizist und Militärhistoriker Dr. Heinrich Walle in den letzten Jahren gelesen. Er wollte wissen, was die jungen Menschen an den verschiedenen Kriegsschauplätzen bewegte, welche Themen sie in Briefen an Angehörige und Pfarrer in der Heimat ansprachen. Das Ergebnis war ernüchternd. Alltagssorgen, nur dürftige Auskünfte über ihre Situation. Wer mehr wußte, schrieb es nicht. Die Zensur las mit. Weder sich noch die Empfänger wollte man gefährden. Die Gestapo bestellte schon Priester zum Verhör, die mit mehreren Soldaten im Briefverkehr standen.

Walle gelang es bei seinem Vortrag im Ehrenfelder Studentenheim Schweidt, dem multikulturellen Publikum eine Ahnung von der Allgegenwart des totalitären NS-Staates zu vermitteln. Schon früh seien die katholischen Jugendverbände gleichgeschaltet worden. Naive Hoffnungen, durch geschlossenen Eintritt in die HJ dort ein Nischendasein führen zu können, erfüllten sich nicht. Aber hätten die katholischen Bischöfe nicht öffentlich deutlicher widersprechen können, wollte ein jüdischer ukrainischer Student des Hauses wissen. Die Katholiken seien im Deutschen Reich nur eine Minderheit gewesen, erläuterte Walle, der für das militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg mehrere Ausstellungen zum Thema Widerstand veranstaltet hat. Seit Bismarck hätten die Katholiken unter der protestantischen und liberalen Mehrheit noch dazu den Makel des „Nicht-richtig-Dazugehörens“ mit sich geschleppt.

Am Beipiel der katholischen Proteste gegen die Tötung geistig Behinderter schilderte der Historiker unterschiedliche Vorgehensweisen der Bischöfe. Der Münsteraner Bischof Graf von Galen habe mutiger sprechen können, weil er seine westfälischen Bauern voll hinter sich gewußt hätte. Er selbst stamme aus Limburg. Da sei das Umfeld ganz anders. Der größte Teil der geografisch zum Bistum gehörenden Rhein-Main-Bevölkerung sei dem Christentum gegenüber gleichgültig gewesen. Sie hätte im Konfliktfall eben nicht einen katholischen Bischof gestützt. Also habe der sich mit stillen Eingaben an die Behörden gewandt, in Einzelfällen sogar mit Erfolg. Der offensivere Bischof von Utrecht hatte in allen Kirchen die Judendeportation kritisiert. Die Reaktion der Nazis sei bekannt. Sie verhafteten dann auch die bislang verschonten katholisch gewordenen Juden, darunter Edith Stein, und deportierten sie nach Auschwitz.

Walle schloß seinen Vortrag mit einem Appell dazu, sich mit den historischen Fakten vertraut zu machen. Papst Pius XII. habe zum Beipiel nachweislich mehr Juden gerettet als alle anderen Personen des öffentlichen Lebens in Italien. Ein Drittel der römischen Juden seien auf seine Weisung hin in Klöstern und im Vatikan selbst versteckt worden. Das hat die damalige israelische Außenministerin Golda Meir beim Tod dieses Papstes dankbar erwähnt. Wer wissen wolle, wie es wirklich gewesen sei, der solle sich anhand seriöser Quellen informieren.

Die weiteren Termine der aktuellen Vortragsreihe im Studentenheim Schweidt: Emilio Maus und Wolfgang Martinez stellen am 10. Januar 2002 das Schweidt Projekt „Schule-statt-Strasse“ in Nikaragua vor, Jürgen Liminski vom Deutschlandfunk spricht am 31. Januar über „Hintergründe des internationalen Terrorismus“ und Simon Lu, Felix Jun und Georg Altenstein berichten am 7. Februar über „Eine Reise durch China“.