Das Leben Mariens

Die Geburt Mariens in Texten des Lehramts, der Kirchenväter und der Heiligen

DAS LEHRAMT

Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes und die verehrungswürdige Überlieferung zeigen die Aufgabe der Mutter des Erlösers in der Heilsökonomie immer klarer und legen sie anschaulich vor. Die Bücher des Alten Testamentes beschreiben die Heilsgeschichte, durch die die Ankunft Christi in der Welt in langsamem Voranschreiten vorbe- reitet wird.

Diese ersten Dokumente, so wie sie in der Kirche gelesen und im Licht der weiteren und vollen Offenbarung verstanden werden, bieten Schritt für Schritt deutlicher die Gestalt der Frau dar, der Mutter des Erlösers. Sie ist in diesem Licht schon prophetisch in der Verheißung vom Sieg über die Schlange, die den in die Sünde gefallenen Stammeltern gegeben wurde (vgl. Gen 3,15), schattenhaft angedeutet.

Ähnlich bedeutet sie die Jungfrau, die empfangen und einen Sohn gebären wird, dessen Namen Emmanuel heißen wird (vgl. Jes 7,14; vgl. Mich 5,2-3; Mt 1,22-23). Sie ragt unter den Demütigen und Armen des Herrn hervor, die das Heil mit Vertrauen von ihm erhoffen und empfangen. Mit ihr als der erhabenen Tochter Sion ist schließlich nach langer Erwartung der Verheißung die Zeit erfüllt und die neue HeiIsökonomie begonnen, als der Sohn Gottes die Menschennatur aus ihr annahm, um durch die Mysterien seines Fleisches den Menschen von der Sünde zu befreien.

Dogm. Konst. Lumen gentium, Nr. 55

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Betrachtet Maria, die schön ist wie der Mond, pulchra ut luna. Das ist eine Art und Weise, ihre erhabene Schönheit auszudrücken. Wie schön muss die allerseligste Jungfrau sein! Wie oft hat uns die Schönheit eines engelgleichen Antlitzes beeindruckt, der Charme des Lächelns eines Kindes, die Faszination eines reinen Blickes! Sicher hat Gott in das Antlitz seiner eigenen Mutter allen Glanz seiner göttlichen Kunst hineingelegt. Der Blick Marias! Das Lächeln Marias! Die Liebenswürdigkeit Marias! Die Majestät Marias, der Königin des Himmels und der Erde! So wie der Mond am dunklen Himmel leuchtet, so übertrifft die Schönheit Mariens alle Schönheit, die neben ihr nur Schatten ist. Maria ist die schönste unter allen Geschöpfen. Auf ihrem Antlitz strahlt nicht nur eine natürliche Schönheit. Gott hat durch ein Wunder seiner Allmacht ihre Seele mit der Fülle seines Reichtums bekleidet und etwas von seiner übermenschlichen und göttlichen Würde in den Blick Mariens gelegt. Ein Strahl der Schönheit Gottes glänzt in den Augen seiner Mutter.

Aber die Kirche vergleicht Maria nicht nur mit dem Mond. Bezug nehmend auf die Heilige Schrift (vgl. Hl 6, 10) greift sie ein noch intensiveres Bild auf und ruft aus: Du, Maria, bist electa ut sol, auserwählt wie die Sonne! Das Licht der Sonne ist ganz anders als das des Mondes, es ist ein Licht, das Wärme und Leben spendet. Der Mond strahlt auf die großen Gletscher der Pole, aber sie bleiben kompakt und unfruchtbar, wie in den winterlichen Mondnächten die Finsternis bleibt und das Eis nicht schmilzt. Das Mondlicht spendet keine Wärme und kein Leben. Nur die Sonne ist eine Quelle von Licht und Wärme. Nun, Maria, die schön wie der Mond ist, glänzt auch wie eine Sonne und strahlt lebensspendende Wärme aus. Wenn wir über sie sprechen, wenn wir mit ihr sprechen, vergessen wir nicht, dass sie wahrhaft unsere Mutter ist, denn durch sie ist uns das göttliche Leben zuteil geworden. Sie hat uns Jesus gegeben, und mit Jesus den Quell der Gnade selbst. Maria ist Mittlerin und Spenderin der Gnaden.

Electa ut sol. Unter dem Licht und mit der Wärme der Sonne erblühen auf der Erde die Pflanzen und bringen Frucht; unter dem Einfluss und mit der Hilfe dieser Sonne, die Maria ist, wachsen in der Seele die guten Gedanken und bringen Frucht. Vielleicht seid ihr bereits in diesem Augenblick überflutet vom Charme, der von der unbefleckten Jungfrau, der Mutter der göttlichen Gnade, der Mittlerin der Gnaden, ausgeht, da sie die Königin der Welt ist.

Denkt noch einmal, geliebte Söhne und Töchter, an eure Lebensgeschichte. Entdeckt ihr nicht ein Gewebe aus göttlichen Gnaden? Dann sollt ihr bedenken, dass mit diesen Gnaden Maria eingetreten ist. In meinem Leben sind die Blumen erblüht und die Früchte gereift dank der Wärme dieser Herrin, auserwählt wie die Sonne.

Pius XII. Radioansprache zur Eröffnung des Marianischen Jahres, 8.12.1953

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DIE STIMME DER KIRCHENVÄTER

«Er hieß Joachim und war aus dem Hause des Königs und Propheten David; seine Frau hieß Anna. Bis ins hohe Alter war er kinderlos, weil seine Frau unfruchtbar war. Und doch wurde gerade sie der Ehre würdig erachtet, nach der sich, dem Gesetz des Mose gemäß, alle Frauen, die gebären, sehnten, die Ehre, die bis dahin keiner Frau ohne Kinder gewährt worden war.

Joachim und Anna waren in der Tat würdig, mit Worten und Taten geehrt und verehrt zu werden; es war bekannt, dass sie zum Geschlecht Judas und Davids, zur Nachkommenschaft von Königen gehörten. Als sich die Stämme Juda und Levi vereinigten, vermischten sich der königliche und der priesterliche Zweig. So steht es in Bezug auf Joachim geschrieben, und auch in Bezug auf Josef, mit dem sich die Jungfrau Maria verlobte. Von diesem wird direkt gesagt, dass er aus dem Hause und Geschlecht Davids stammte (vgl. Mt 1, 16; Lk 1, 5); aber bei beiden waren es so: der eine stammte der Natur nach von David ab, und der andere kraft des Gesetzes, nach dem sie Leviten waren.

Auch die glückselige Anna war ein auserwählter Zweig desselben Hauses. Das bedeutete von vorneherein, dass der König, der aus ihrer Tochter geboren werden würde, als Gott und Mensch Hoherpriester sein würde. Jedoch war ihre Kinderlosigkeit für die ehrwürdigen Eltern Mariens ein Grund tiefen Schmerzes, sowohl wegen des mosaischen Gesetzes als auch wegen des Spotts einiger törichter Menschen, dem sie ausgesetzt waren. Sie wünschten also sehnlich die Geburt eines Nachkommen, der die Schande vor ihren und der ganzen Welt Augen löschen und sie so eines größeren Ruhmes teilhaftig machen sollte.

Wie jene andere Anna, die Mutter Samuels (vgl. 1 Sam 1, 11) machte sich die glückselige Anna auf und ging zum Tempel, um den Schöpfer des Alls anzuflehen, ihr ein Kind zu gewähren, das sie ihm, da sie ihn als Gabe empfangen hatte, weihen würde. Auch der glückselige Joachim war nicht passiv, sondern bat Gott, ihn von der Kinderlosigkeit zu erlösen.

Der milde Herrscher, der großzügige Urheber aller Gaben, hörte das Gebet des Gerechten und sandte den Eheleuten eine Botschaft. Zuerst an Joachim, während dieser im Tempel betete. Er ließ ihn eine Stimme vom Himmel hören, die ihm sagte: „Du wirst eine Tochter haben, ein Ruhm für dich und die ganze Welt.“ Dasselbe wurde der glückseligen Anna verkündet, die nicht aufgehört hatte, mit heißen Tränen zu Gott zu beten. Auch ihr wurde von Gott eine Botschaft überbracht, während sie ihm im Garten unter Bitten und Flehen Opfer darbrachte. Der Engel Gottes kam zu ihr und sagte: „Gott hat dein Gebet erhört; du wirst die Verkünderin der Freude gebären und sie Maria nennen, denn aus ihr wird das Heil der ganzen Welt hervorgehen.“

Nach der Botschaft wurde sie schwanger, und aus der unfruchtbaren Anna wurde Maria geboren, die alles hell macht. Das ist nämlich die Übersetzung des Namens Maria: „Erleuchterin“. Damals wurden die ehrwürdigen Eltern des glücklichen und heiligen Kindes von übergroßer Freude erfüllt. Joachim veranstaltete ein Festessen und lud alle Nachbarn, törichte und weise, ein. Und alle rühmten Gott, der durch sie ein großes Wunder gewirkt hatte.

So verwandelte sich die Niedergeschlagenheit Annas in Ruhm, in den Ruhm, zur Pforte der Pforte Gottes zu werden, Pforte ihres Lebens und Beginn ihres ruhmvollen Daseins».

Das Leben Mariens, Maximus Confessor zugeschrieben (7. Jahrhundert)

Die genannten Ereignisse sind von apokryphen Schriften inspiriert, vor allem vom „Protoevangelium des Jakobus“, das auf das 2. Jahrhundert zurückgeht.

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DIE STIMME DER HEILIGEN

«Geliebte Brüder, ein Mann und eine Frau waren die Ursache eines großen Schadens; aber, Dank sei Gott, durch einen Mann und eine Frau wurde auch alles wiederhergestellt. Und dazu mit einem Zuwachs an Gnaden. Denn die Gabe war der Schuld nicht gleich, sondern die Größe der Wohltat übertrifft den geschätzten Schaden.

So zerbrach der überaus kluge und milde Künstler nicht endgültig, was geborsten war, sondern stellte es in allen Hinsichten noch nutzbringender wieder her, indem er aus dem alten einen neuen Adam schuf und Eva in Maria umbildete.

Sicher hätte Christus genügen können, denn all unser Genügen kommt von Ihm; aber es war für uns nicht gut, dass der Mensch alleine sei (vgl. Gen 2, 18). Es war um vieles angebrachter, dass zu unserer Wiederherstellung das eine wie das andere Geschlecht beitrügen, da weder das eine noch das andere bei unserem Verderben fehlten. Der Mensch Christus Jesus ist ein treuer und mächtiger Mittler zwischen Gott und den Menschen, aber die Menschen achten in Ihm eine göttliche Majestät. Die Menschheit scheint in der Gottheit aufgesogen zu sein, nicht weil sich die Substanz geändert hätte, sondern weil seine Tugenden vergöttlicht sind. Nicht nur seine Barmherzigkeit wird besungen, sondern auch seine Gerechtigkeit, denn auch wenn er durch sein Leiden das Mitleid lernte und barmherzig wurde (vgl. Hebr 5, 8), so besitzt er doch zugleich die richterliche Macht. Und schließlich ist unser Gott ein verzehrendes Feuer. Wie sehr mag der Sünder fürchten, ihm gegenüber zu treten, kann er doch in der Gegenwart Gottes vergehen, wie der Wachs in Gegenwart des Feuers dahin schmilzt?

So scheint also die unter allen Frauen gesegnete Frau nicht überflüssig zu sein, denn man erkennt ganz klar, welche Rolle ihr beim Werk unserer Versöhnung zukommt, weil wir neben diesem höchsten Mittler wiederum einen Mittler brauchen und niemand diese Aufgabe so zu unserem Nutzen erfüllen kann wie Maria. Eva war eine allzu grausame Mittlerin, durch die die alte Schlange dem Mann das schreckliche Gift einflößte. Maria aber ist treu, sie, die das Gegengift des Heiles allen Männern und Frauen zu trinken gab. Jene war das Werkzeug der Verführung, diese der Sühne; jene verführte zum Verderben, diese führte die Erlösung ein. Was befürchtet die menschliche Schwachheit, zu Maria zu gelangen? In ihr ist nichts Strenges, nichts Erschreckendes; alles ist süß und schenkt allen Milch und Wolle.

Studiere sorgfältig das ganze Evangelium, und solltest du in Maria Härte oder rauen Tadel oder das Zeichen einer noch so leichten Verärgerung finden, so traue ihr fortan nicht mehr, sondern fürchte, zu ihr zu gelangen. Wenn du aber (und so ist es in Wirklichkeit) findest, dass alles, was zu ihr gehört, voller Mutterliebe und Barmherzigkeit, voller Milde und Anmut ist, dann danke es jenem Herrn, der dir in seiner gütigen Barmherzigkeit eine solche Mittlerin gegeben hat, in der es nichts geben kann, was Furcht einflößt. Sie ist allen alles geworden; sie wurde durch ihre überreiche Liebe die Schuldnerin von Weisen und Unwissenden. Allen öffnet sie den Schoß des Erbarmens, damit alle von ihrer Fülle empfangen: der Gefangene Befreiung, der Kranke Heilung, der Bekümmerte Trost, der Sünder Vergebung, der Gerechte Gnade, der Engel Freude; schließlich die ganze Dreieinigkeit Ehre und Ruhm; und die Person des Sohnes selbst empfängt von ihr die Substanz des menschlichen Fleisches, damit es niemanden gibt, der nicht Anteil hätte an seiner Wärme».

Hl. Bernhard (12. Jahrhundert)

Predigt am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt, 1-2