Drei Etappen der Berufung: Vorahnung, Einladung, Antwort

Predigt des Regionalvikars des Opus Dei, Prälat Dr. Christoph Bockamp, am Gedenktag des hl. Josefmaria (26. Juni) in der Kirche St. Ludwig in München.

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

Was war eigentlich die Botschaft des hl. Josefmaria?

Papst Benedikt XVI. - damals noch Joseph Kardinal Ratzinger - brachte die Botschaft des hl. Josefmaria bei einer Predigt auf den Punkt: “Heiligkeit ist nicht das Ungewöhnliche, sondern das Gewöhnliche, das Normale für jeden Getauften."

Dies ist die Botschaft des hl. Josefmaria seit 1928. Das II. Vatikanische Konzil hat diesen Ruf zur Heiligkeit aller Getauften Jahrzehnte später feierlich bestätigt. Man kann sich nun fragen: Wie entdecke ich diesen Ruf? Oder anders: Es gibt doch viele Weg zu Gott. Auf welchen Weg ruft Gott mich?

Meist zeigt Gott dem Menschen seinen Weg nicht auf einen Schlag, sondern in Etappen.

Ich möchte über drei typische Etappen auf dem Weg zur Berufung sprechen, angelehnt an das Evangelium, das wir soeben gehört haben. Dabei will ich erwähnen, wie diese Etappen im Leben des hl. Josefmaria ausgesehen haben. Und wie sie vielleicht bei uns aussehen könnten.

Erste Etappe: Vorahnungen

"Als Jesus am Ufer des Sees Genesaret stand, drängt sich das Volk um ihn und wollte das Wort Gottes hören”.

Das ist unsere Situation: wir sind hier, um das Wort Gottes zu hören und ihm zu begegnen.

Weiter heißt es: “Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze”. Die Fischer sind hier eigentlichzunächst nur Randfiguren. Sie waren da, weil Jesus am Ufer des Sees sprach. Wir wissen nicht, ob sie von Anfang an zuhörten. Vielleicht haben sie dies auch nur mit halbem Ohr getan.

Aber plötzlich ändert sich das: Jesus spricht sie an. Er steigt in das Boot des Simon und bittet ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Und er lehrt das Volk vom Boot aus.

Er bittet Petrus um einen kleinen Gefallen: um das Boot und etwas Zeit.

Man könnte sagen: Gott - denn Jesus ist ja Gott, der Mensch geworden ist-klopft zum ersten Mal bei Petrus an. Ahnt Petrus schon, was Jesus einmal mit ihm vorhat?

Als Josefmaria etwa 15 bis 16 Jahre alt war, spürt er, dass Gott bei ihm anklopft. Es war im Winter im spanischen Logroño, wo der Rioja-Wein herkommt. Es hatte geschneit. Im Schnee entdeckte er die Fußspuren eines unbeschuhten Karmeliters. Josefmaria war innerlich erschüttert: Wenn dieser Mensch aus Liebe zu Jesus barfuß durch die Kälte geht, was tue ich für Jesus? Es ist klar, dass Gott diese Unruhein seiner Seele schürte: viele andere werden dieselben Spuren im Schnee gesehen haben und sich nicht viel dabei gedacht haben.

Der junge Josefmaria begann von diesem Tag an, intensiver zu beten. Immer wieder rief er seitdem wie der blinde Bettler zu Jesus: "Herr, lass mich sehen! Und er betete auch: Herr, was Du willst, soll geschehen."

Liebe Christen! Vielleicht kennen wir solche Vorahnungen der göttlichen Leben auch in unserer Seele. Der Herr klopft bei uns an, vielleicht leise, oder auch lauter...

Vielleicht bittet er uns nicht um sehr viel: zum Beispiel, ihm etwas Zeit im Gebet zu schenken, oder einem anderen Menschen mehr Liebe entgegenzubringen. Oder manchmal ist es ein Buch, ein Gespräch, oder auch ein Erlebnis, oder eine Krankheit, die uns nachdenklich macht. Und die nutzt Gott, um in unserer Seele anzuklopfen.

Dieser Tage erhielt ich einen Brief von einem Menschen, der wenige Zeit später gestorben ist. Er schrieb:„Die Krebserkrankung wurde bei mir vor dreieinhalb Jahren festgestellt. Auslöser der Krankheit war sicherlich Stress bei der Arbeit. Mir war zwar bewusst, dass der Stress krank macht, aber trotzdem kam ich da nicht heraus. Ich stand mir selber im Weg, so dass ich lange Zeit die Hilfe, die ich auch von Gott bekam, nicht gesehen habe. Durch einen Glaubenskurs ... fand ich dann wieder den Weg zurück ins Leben und war letztlich dann auch gerüstet, die Krankheit anzunehmen, die ein halbes Jahr später entdeckt wurde“.

Zweite Etappe: Die Einladung

Kehren wir zur Erzählung im Evangelium zurück: Für Petrus beginnt sehr bald schon die nächste Etappe.

Und sie kam ganz unerwartet. Vielleicht hatte er bis dahin im Boot nur wenig aufmerksam und ziemlich abgelenkt dem Herrn zu gehört. Nun spricht Jesus ihndirekt an: “Fahr´ hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!”

Petrus ist verdutzt, denn damit hatte er nicht gerechnet: “Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen”.

So war die Ausgangssituation: Als Fachmann wusste er, dass nachts die beste Zeit zum Fischen war. Und wenn sie schon nachts nichts gefangen hatten, war es doch eigentlich sinnlos, es jetzt am Tag noch einmal zu versuchen.

Aber Petrus reagiert ganz anders, als eigentlich zu erwarten war. Womöglich wunderte er sich über seine eigenen Worte. Denn der Kopf sagte ihm: Es ist sinnlos! Aber er spürt auf einmal so viel Vertrauen zu diesem Meister, dass er spricht: ”Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen”.

Er verlässt sich auf das Wort des Herrn, offenbar mehr als auf seine Erfahrung als Fischer. Er schenkt Jesus Glauben. Und macht sich ans Werk.

“Und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten”.

Wieder hat der Herr bei Petrus angeklopft, aber nun laut und kräftig. Er ahnt, mit wem er es zu tun hat: Als Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen. Und sagte: “Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder.”

Wenn die Heiligkeit Gottes dem Menschen begegnet, dann wird ihm deutlich, überdeutlich, wer er selbst ist: ein Sünder. Petrus läuft nicht weg. Er fällt nieder und - so können wir es deuten - er betet an, voll Reue, aber auch schon voll Liebe. Petrus hat auf die Einladung Jesu mit Zustimmung geantwortet.

Was war für den hl. Josefmaria diese “zweite” Etappe?

Es ist natürlich schwer, ein Leben in Etappen einzuteilen. Das Leben fließt eben, es entwickelt sich nicht ruckartig. Aber ein entscheidender Schritt im Leben unseres Heiligen ist sein Entschluss: Ich werde Priester. Warum wurde er Priester? Weil er sah, dass er für Gott und seine Pläne so besser zu verfügen stehen konnte. Dies war seine Antwort auf eine erste Einladung Gottes.

Aber er kannte diese Pläne noch gar nicht genau. Nur so viel war ihm klar: ich sollte Priester werden. Und so tat er es. Zur Überraschung seiner Eltern. Und auch zu seiner eigenen Überraschung. Er wollte nämlich zuvor Architekt werden. Und halb im Spaß, halb im Ernst hatte er gesagt: "Latein? - das ist doch was für die Pastöre!"

Im gewissen Sinne erging es ihm wie dem Petrus: Eigentlich sprach alles dagegen, jetzt Priester zu werden, aber “auf dein Wort hin” verlief es anders.

Liebe Christen, vielleicht kennen wir das auch: Gott klopft lauter, energischer bei uns an! Wir werden von ihm eingeladen!

Was kann das sein?

Alles Mögliche:

-Für manche Verliebte die Entscheidung: doch in der Kirche heiraten!

-Für einen Jugendlichen: einmal anfangen, mit dem Herrn ehrlich im Gebet zu sprechen. Sich nicht mehr so abhängig machen vom "Was denken die anderen?" Die Angst, in der Clique aufzufallen, ablegen!

-Für alle: einen Streit beenden: etwa ein Familienstreit oder auch Erbstreitereien! Jemandem von ganzem Herzen verzeihen und einen neuen Anfang setzen!

-Oder: Uns entschieden von einer schlechten Gewohnheit trennen!

-Oder: Ein Laster über Bord werfen wie Geldgier, wie Kritiksucht, wie Unkeuschheit oder auch eine Beziehung beenden, die Gott missfällt.

-Oder ganz einfach: Gott mehr Zeit schenken, zum Beispiel Zeit des Gebetes vor dem Tabernakel. Denn unsere Kirchen sind nicht leer: Im Tabernakel wohnt er. Dort ist der Herr ist gegenwärtig!

Und noch eine besondere Einladung Jesu gibt es: die Beichte! Das heißt die Möglichkeit zur Umkehr, die Versöhnung mit Gott bedeutet!

Im Grunde tut Petrus auch genau das: Er fällt dem Herrn zu Füßen und beichtet: "Herr, geh‘ weg von mir, ich bin ein Sünder!"

Und damit beginnt im Erkennen der Berufung eine interessante Phase: In der Beichte werden uns nicht nur die Sünden verziehen. Wir werden auch angeleitet, Schritte auf Gott zuzugehen! Und wir Priester sollten dabei mithelfen: dass jeder den Ruf Gottes vernimmt, seine Berufung entdeckt und ihr großzügig entspricht!

Dritte Etappe: Die Antwort

Der Mensch ist nun vorbereitet, weil er Gottes Stimme wahrgenommen hat.

Und als erstes macht Gott ihm Mut: "Fürchte dich nicht!"

So sagt der Herr dem Petrus: Habe keine Angst, weil Du ein kleiner, sündiger Mensch bist. Jesu Antwort lautet: “Von jetzt an wirst du Menschen fangen!”

Der Herr eröffnet ihm eine neue Perspektive. Petrus muss sich keine Gedanken machen, ob er dazu auch geeignet ist. Denn Gott selbst gibt ihm alles, was er für seinen Weg benötigt.

So kann nur Gott sprechen: "Von jetzt an wirst Du Menschen fangen!" Er sagt nicht nur: Ich gebe dir eine Aufgabe, versuch‘ es mal. Sondern: du wirst es tun - mit meiner Hilfe.

Petrus und die anderen verstehen, was Gott will und sagen: Ja! Sie sagen "Ja" in aller Radikalität: Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.

Dieser Augenblick kam für den jungen Priester Josefmaria am Dienstag, dem 2.10.1928 in Madrid. Jahre lang hatte er gebetet: Herr, lass mich sehen! Mit einem Male schenkt ihm der Herr das Licht. Er sieht vor seinem geistigen Auge, dass Gott die Menschen zur Heiligkeit ruft.

Er ruft sie, damit sie in ihrem alltäglichen Leben Gott als den großen Freund entdecken, mit dem sie sprechen, für den sie arbeiten, den sie auch in denBeziehungen zu Arbeitskollegen und Freunden entdecken können.

Und damit diese Botschaft Gehör findet, wollte Josefmaria nicht nur Bücher schreiben, sondern Menschen suchen, die Gott ebenfalls ruft, um diese Botschaft zu verbreiten. Mit anderen Worten, er sollte eine Einrichtung im Schoß der Kirche gründen, die er später Opus Dei nannte.

Eben nicht “sein” Werk, sondern Gottes Werk. Nicht Opus Josephmariae, sondern Opus Dei.

Und so wie Petrus hat er nicht lange gezögert, sondern sich ans Werk gemacht. Oft hat er dabei an das Wort des Herrn gedacht: "Fürchtet euch nicht!" Denn er sah seine eigenen schwachen Kräfte und die Größe der von Gott verliehenen Aufgabe.

Liebe Christen! Das Schöne ist, uns alle möchte der Herr rufen, um in seiner Hand wunderbare Werkzeuge Gottes zu sein. Viele Menschen in München, in Bayern warten auf Sie, auf Dich. Sie warten darauf, ein Wort über Gott, über seine Liebe, über sein Erbarmen, von einem Kollegen zu hören, von einem Nachbarn, von einem Freund.

Der hl. Josefmaria hat im Herzen vieler Menschen eine Sehnsucht geweckt: die Sehnsucht nach Gott! Sich ganz auf ihn einzulassen und zwar dort, wo man jetzt lebt: in den eigenen gewöhnlichen Umständen des Lebens.

Diese Umstände können eine Krankheit sein. Das bezeugt der Brief des Kranken, aus dem ich schon vorgelesen habe. Dort steht außerdem: „Ich habe dann auch versucht, die Krankheit als meine neue Aufgabe zu sehen und habe auch spürbar sehr viel Kraft bekommen. Seit Anfang des Jahres hat sich die Krankheit sehr verschlechtert. (…) Da es mir wegen des fortgeschrittenen Stadiums nicht mehr möglich ist, eine hl. Messe in der Gemeinde zu besuchen, bin ich sehr froh, dass ich jeden Tag die Krankenkommunion bekomme. Durch die Kommunion bin ich mit dem Herrn, der die Liebe und das Leben ist, verbunden. Die hl. Kommunion gibt mir dann auch die Kraft, den Tag anzunehmen und Gott wieder aufzuopfern“.

Liebe Brüder und Schwestern! Wer Christus sucht, wer betet oder es versucht, wer Christus in den Sakramenten der Beichte und der Eucharistie begegnet, der wird Stück für Stück seine eigene Berufung entdecken und ein Leben voller Liebe, Abenteuer, manchem Leid und großem Glück führen.

Der hl. Josefmaria gibt uns allen einen guten Ratschlag: „Davon, dass du und ich so handeln, wie Gott will, hängen viele große Dinge ab. Vergiss das nicht“ (Der Weg, Nr. 755).

Maria ist diesem Weg gefolgt. Sie war blutjung, als sie Gott antwortete: Mir geschehe, wie du es gesagt hast! Das kann man auch wiedergeben mit: Ja, gerne! Amen.