Ein neuer Frühling in der Kirche

Die Begegnung mit Jesus zu fördern, ist die Antwort, die der Papst auf die Probleme der Welt zu geben scheint.

Das Pontifikat von Papst Franziskus beginnt im Kontext eines 150 Jahre andauernden Goldenen Zeitalters des Papsttums. Wir haben ein intellektuell außergewöhnliches Pontifikat mit einem großen Engagement für den Dienst an Gott und an den Menschen erlebt. Von Benedikt XVI. wird seine Lehrtätigkeit, seine Arbeit als Mitarbeiter der Wahrheit bleiben. Nun wird Papst Franziskus, der ebenfalls eine hohe intellektuelle Begabung und eine breite Bildung besitzt, sich aber durch einen anderen Stil, durch eine größere Nähe zu den Menschen auszeichnet, die pastorale Ausrichtung in seinem Pontifikat betonen. Beide Perspektiven schließen natürlich einander nicht aus. Jeder hat aber eine eigene Gabe, und die Gabe von Papst Franziskus besteht in der Nähe zu den Menschen. Diese Verschiedenartigkeit gehört zum Reichtum der Kirche. Bei demselben Glauben, bei demselben Wunsch, Christus bis in den letzten Winkel der Erde zu bringen, hat jeder Papst seine Prioritäten, seine Art, die Dinge zu sehen und zu tun, seinen eigenen Stil.

Von Papst Franziskus können wir also erwarten, dass er in völliger Kontinuität mit seinen Vorgängern einen neuen Frühling in die Kirche bringt, weil jeder Papst auf die Kraft und das Licht des Heiligen Geistes zählen kann, wobei er seine eigene Persönlichkeit behält. Papst Franziskus engagiert sich sehr für die grundlegenden christlichen Werte, zunächst einmal für die Liebe und die Hoffnung, aber auch für die Gerechtigkeit, für die Wahrheit und die Menschenrechte. Er ist immer den Bedürftigen, den einfachen Menschen sehr nahe gewesen. Er wurde immer von der Sorge getragen, jeder Einzelnen, jedem Einzelnen das liebenswürdige Antlitz Christi mitzuteilen. Er ist entschlossen, in den großen Metropolen eine neue Evangelisierung durchzuführen, wie der Kardinal aus Barcelona, Lluis Martínez Sistach, bereits am Tag nach der Papstwahl unterstrich. Er ist ein Hirte, der die Probleme der Menschen, besonders in Lateinamerika, aus nächster Nähe kennt, ein Arbeiter, ein Lehrer, ein Priester, der sich nach seinen eigenen Worten darauf konzentriert, das Kerigma, das Geheimnis Christi weiterzugeben.

Deshalb meine ich, dass sein Pontifikat sehr spirituell sein wird. Er wird im Lichte des Heiligen Geistes den Weg gehen, mit einer besonderen Nähe und Sorge für die Ärmsten und die Kranken Jesus Christus bekennen. Er ist ein Papst, der die Ränder kennt, der vom Ende der Welt kommt. Er wird die Kirche führen, damit sie in der Peripherie und von der Peripherie aus das Evangelium verkündet. In der Predigt während der Heiligen Messe zu Beginn seines Pontifikats ermunterte er uns, „die Menschen zu hüten, sich um alle zu kümmern, um jeden Einzelnen, mit Liebe, besonders um die Kinder, die alten Menschen, um die, welche schwächer sind und oft in unserem Herzen an den Rand gedrängt werden.“ Neben seiner sozialen Sorge – „Ach, wie sehr möchte ich eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen!“ – drückt sich seine spirituelle Seite in der Anbetung Gottes und in der Annäherung an jeden Menschen aus. In Buenos Aires wurde in den letzten Jahren die Verbreitung der Aussetzung des allerheiligsten Altarsakraments in den Pfarreien vorangetrieben. Dies hat spirituelle Früchte getragen. Die Kirche geht immer den Weg der Begegnung zwischen Gott und den Menschen aller Zeiten. In dieser Kommunikation spielt die Liturgie eine zentrale Rolle. Der Papst wird sicherlich der eucharistischen Anbetung und der Verkündigung des Wortes Gottes besondere Aufmerksamkeit widmen. Ich habe aus der Nähe seine Frömmigkeit gespürt, immer wenn ich mit ihm die Heilige Messe konzelebrieren durfte, beispielsweise wiederholt in der Kathedrale von Buenos Aires am 26. Juni, dem Gedenktag des Heiligen Josefmaria, des Gründers von Opus Dei. Andererseits ist Papst Franziskus sehr menschlich. Im Jahre 2007 fand die V. Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe in Aparecida, Brasilien statt. Am Flughafen von Sao Paulo wurde mir mitgeteilt: „Sie wohnen bei den argentinischen Bischöfen.“ Allerdings nahm ich daran nicht als Mitglied der argentinischen Delegation teil, sondern als peritus, als Fachmann für die Geschichte der Evangelisierung in Lateinamerika an der Universität Heiliges Kreuz. Kardinal Bergoglio stellte mich allen Bischöfen vor. Er half mir auf sehr freundliche, liebenswürdige Weise, mich in die Gruppe einzuführen. Seitdem sind wir Freunde, nachdem wir 21 Tage lang – vormittags, nachmittags, abends – zusammen waren. Wie bekannt, ist das Schlussdokument das Wichtigste an diesen Konferenzen. Deshalb spielt dabei der mit der Redaktion des Schlussdokumentes betraute Ausschuss eine entscheidende Rolle. Kardinal Bergoglio wurde so gut wie einstimmig zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt. Ich kenne die Linien seines Pontifikates zwar nicht, aber vielleicht kann einiges dem entnommen werden, was er bislang gesagt hat. Ich kann allerdings behaupten, dass das Schlussdokument von Aparecida sehr dazu beitragen kann, seine Sicht der Dinge kennenzulernen.

In einem Beitrag, den er nach Aparecida schrieb, sagte er: „Die Volksfrömmigkeit hat einen tiefen Sinn für Transzendenz. Gleichzeitig ist sie eine reale Erfahrung der Nähe Gottes. Sie besitzt die Fähigkeit, den Glauben in einer ganzheitlichen Sprache auszudrücken, die mit kontemplativen Zügen den Rationalismus übersteigt. Sie bestimmt die Beziehung zur Natur und zu den anderen Menschen. Sie verleiht der Arbeit, den Feiertagen, der Solidarität, der Freundschaft, der Familie einen Sinn. Sie gibt ein Gefühl der Freude in der eigenen Würde, die trotz eines Lebens in Armut und Einfachheit nicht ausgehöhlt wird.“ Die eigene Identität durch die Volksfrömmigkeit zu stärken, ist einer der bevorzugten Wege, um uns daran zu erinnern, was wir sind. Im Papst findet sich eine eigene Synthese des Evangeliums, die das Volkstümliche mit dem Spirituellen verbindet, die im Armen Jesus Christus entdeckt, sowohl um von ihm zu lernen, als auch um sich um ihn zu kümmern. Schließlich gibt es ebenfalls einen Rand in den entwickelten Ländern: „Es ist die geistliche Armut unserer Tage, die ganz ernstlich auch die Länder betrifft, die als die reichsten gelten. Es ist das, was mein Vorgänger, der liebe und verehrte Benedikt XVI., ,Diktatur des Relativismus‘ nennt und was jeden sein eigener Maßstab sein lässt und so das Zusammenleben unter den Menschen gefährdet.“ Jesu Wahrheit mitzuteilen, die Begegnung mit ihm zu fördern, ist die Antwort, die der Papst auf die Probleme der Welt zu geben scheint. Er hat bereits einige Schritte in diese Richtung unternommen.

Der Autor ist Regionalvikar der Prälatur Opus Dei in Argentinien. Die Übersetzung aus dem Spanischen besorgte José García.

Die Tagespost, 28.3.13