Entdeckungen im Monat Mai

Eine Betrachtung über Maria und uns

Der Mai begann mit dem „Tag der Arbeit“. Er liegt hinter uns. Jetzt wird wirklich gearbeitet. Der heilige Josef mag uns den Blick dafür geschärft haben, dass es noch andere Dimensionen gibt als die des Machers, der sich der Gnade Gottes verschließt, und der deshalb weder Hoffnung noch Dankbarkeit kennt.

Als Kontrast zum Machen bietet sich uns im Monat Mai Maria an. Das Evangelium erlaubt nur hier und dort einen kurzen Einblick in ihren Alltag. Vielleicht soll damit angedeutet werden, der Lichtstrahl der Verkündigung genüge, um alles andere zu erleuchten. Wie viele Anregungen fallen uns ein beim Betrachten jener Stelle aus dem Evangelium, in der Maria erfährt, wofür sie lebt. Es geht um ihre Berufung! Ist uns nie aufgefallen, wie unprätentiös die Antwort der Jungfrau ist? Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Kein feierliches Jawort, eher ein verwundertes Bekräftigen einer Selbstverständlichkeit. Und auch beim Boten schimmert Selbstverständliches durch, als hätte er nichts anderes erwartet und als sähe man ihn nach dem erwarteten Erfolg die Tür hinter sich schließen. Danach verließ sie der Engel. (vgl. Lk 1, 26-38)

Im passiven Klang des Mir geschehe... verbirgt sich höchste Aufmerksamkeit, feinste Hellhörigkeit für alles, was noch kommen wird. Der Evangelist Lukas erwähnt zweimal, daß Maria alles im Herzen bewahrte und darüber nachdachte.

Maria ist Urbild der Christusnachfolge. Im Geheimnis der Menschwerdung Gottes ereignete sich zugleich das Geheimnis der ersten christlichen Berufung, der Nachfolge Christi. Ihre Lehre ist „nicht laut. Es bedarf einer Grundstimmung der Aufmerksamkeit, einer Spur Feingefühl in der Seele, um zu erfassen, was sie uns nicht so sehr mit Worten als mit Werken mitteilen möchte.“ (J. Escrivá, Freunde Gottes 284). Sie lehrt uns, hellhörig zu sein für das, was Gott uns in wechselnden Situationen sagt. Auch wir haben, wie sie, unser Betlehem, unser Ägypten, unser Nazaret... und unser Golgota.

In vielen Gebeten und Stoßgebeten zu Maria äußert sich die Sehnsucht nach Vollendung und zugleich die Hoffnung, Jesus nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist die Ahnung, dass christliche Berufung sich im Alltag materialisieren soll und kann: zuhause, auf der Straße, im Büro, bei freudigen und betrüblichen An­lässen. Das klassische Stichwort heißt "Stoßge­bet"­: ein Gedanke, ein Wort oder vielleicht nur ein Seufzer, der die Schleier des Alltags aufreißt. Der Monat Mai kann Anlaß sein, sich an alte Mariengebete neu zu erinnern. Manche Stoßgebete sind schlicht naiv wie: „Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gibt“. Andere sind ehrfürchtig wie jenes aus dem Salve Regina: "Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes."

Und der Rosenkranz. Ja, aber ... Dann: Nur ein Geheimnis beten! Ob man das Kind in der Krippe, den aus der Reisegruppe Ausgerissenen und im Tempel Wiedergefundenen, oder den in Getsemani Verlassenen und am Kreuz Leidenden betrachtet – jedesmal kann es gelingen, Schauen und Bitten, Glaube für heute und Hoffnung auf den Himmel zu verbinden.

Noch eine mögliche Entdeckung: eine Marienwallfahrt. Das Wallfahren gehört zu den überraschenden Neuentdeckungen der letzten Jahrzehnte. Darin verbindet sich das spontane Empfinden mit der theologischen Sicht des Lebens als ein Unterwegssein. Papst Johannes Paul II. sagte: „Man könnte von einer eigenen ´Geographie´ des Glaubens und der marianischen Frömmigkeit sprechen, die alle diese Orte einer besonderen Pilgerschaft des Gottesvolkes umfaßt, das die Begegnung mit der Muttergottes sucht, um im Bereich der mütterlichen Gegenwart derjenigen, die geglaubt hat, den eigenen Glauben bestärkt zu finden.“ (Enzyklika Redemptoris Mater, 28)

Doch auch das betende Verweilen in einer Marienkapelle, auf die man bei einem Waldspaziergang unverhofft gestoßen ist, hat etwas von diesem Geist des Wallfahrens. Und wie natürlich-apostolisch kann das Wallfahren sein, wenn wir jemanden dazu einladen, der auf diese Weise entdeckt, wie schön Beten sein kann.

von Josef Arquer, Berlin