Erdbebenhilfe in Peru

144 Kilometer südlich von Lima befindet sich das Berufsbildungszentrum Condoray, das die ganzheitliche Entwicklung der Frau durch Ausbildungsmaßnahmen fördert. Das ist das beste Mittel zur Armutsbekämpfung und zur -Weiterentwicklung des Landes.

Die religiöse Bildung im Rahmen der Aktivitäten von Condoray ist der Prälatur Opus Dei anvertraut. Hier erhalten Frauen aus allen sozialen Schichten eine Ausbildung, besonders aus den Dörfern im Cañete-Tal. Außerdem kümmert Condoray sich darum, Frauen in 18 kargen und ärmlichen Ortschaften weiterzubilden, in denen insgesamt ca. 14.000 Menschen leben.

In diesem Sommer haben wir, einige Studentinnen aus Spanien, in Condoray ein soziales Volontariat absolviert. Wir kommen aus einer Gesellschaft, die über viele Möglichkeiten verfügt: Wenn man einmal daran denkt, wieviel Gott uns geschenkt hat, dann ist es eigentlich zu wenig, dass man sich einfach nur so einen Monat lang erholt und viele Urlaubstage sinnlos vergeudet.

Stattdessen haben wir uns in Peru engagieren wollen – und kamen als Beschenkte zurück, denn wir sind die ersten, die vom Projekt profitiert haben. Wir durften nämlich feststellen, dass das Hinantstellen eigener Wünsche der kürzeste Weg zum Glücklichsein ist. Klar, wir haben keine schönen Städte besichtigen und keine touristischen Annehmlichkeiten genießen können. Aber wir haben die Herzensgröße von Menschen kennengelernt, die alles verloren hatten. 

Das Erdbeben

Es war am 15. August um viertel vor sieben und es dämmerte schon (dort ist um diese Zeit Winter).

Als wir gerade von einem Arbeitstag in den Dörfern rund um Condoray zurückkamen, fingen Boden und Wände kräftig an zu beben. Wir rannten hinaus auf den Hof. Aus dem Erdinneren kam ein donnerndes Geräusch. Wir hörten, wie Fensterscheiben zerbarsten und das Dach der Kirche einstürzte.

Voller Angst beteten wir. In solchen Augenblicken spürst du, dass der Tod dir ganz nahe ist. In solchen Augenblicken steht die Seele ganz allein vor Gott. Du erkennst, dass dein Leben dir nicht gehört. Mich beschämte es feststellen zu müssen, dass ich in meinem ganzen Leben noch nichts zuwege gebracht hatte, presste die Lippen zusammen und betete inständig zu Gott um mehr Zeit, um endlich das tun zu können, worauf es wirklich ankommt.

Drei Minuten später war wieder alles ruhig. Eine atemberaubende Stille, nur unterbrochen vom Klirren herabfallender Fensterscheiben. Wir hatten große Angst und waren voller Unruhe. Es bestand die Gefahr heftiger Nachbeben. Es gab keinerlei Kommunikation mit der Außenwelt und kein elektrisches Licht. Wir mussten bleiben, wo wir waren. Die Nacht brach herein. Wir verbrachten sie alle im Freien und unter Decken, so wie wir waren, die Schuhe an den Füßen und mit den Rucksäcken als Kopfkissen, um für eine schnelle Flucht gerüstet zu sein. Infolge der starken Nervenanspannung konnten wir nur ab und zu etwas Schlaf finden. Die Nacht wurde uns lang. Wer hätte gedacht, dass wir eine Nacht unter freiem Himmel verbringen würden – 75 Kilometer entfernt vom Epizentrum eines Erdbebens, so weit weg von zu Hause. Solche Augenblicke sind unvergesslich. 

Am folgenden Tag …

Am 16. August stellten wir uns, sobald es hell geworden war, ganz in den Dienst von Condoray. Gleich in der Frühe entwarfen Mónica Ríos, Diana Celi, Milagros Panta und ihr Team einen Nothilfeplan für die Dörfer in der Umgebung. Wir mussten erst einmal nachsehen, wie es den Leuten dort ging und welche Not am dringlichsten gelindert werden musste.

Der größte Teil der aus Lehmziegeln gebauten Häuser war eingestürzt. Ihre Dächer stürzten mit großer Wucht ein und erschlugen sogar einige Bewohner. Die Menschen dort haben sich notdürftig mit Plastikplanen und Matten Unterstände gebaut, in denen sie die Nacht verbringen, und sind bestürzt über die Nachbeben. Lebensmittel sind kaum verfügbar. Das wenige Essbare wird in den gemeinsamen Suppenküchen zubereitet. Es ist kalt, denn in den Nächten herrscht Frost, und die Menschen haben keine warme Kleidung. Nächtliche Plünderungen haben ihnen Angst gemacht. Sie sind sehr notleidend, den Unbilden der Witterung ausgesetzt, und dieser Zustand hält noch an. Sie sind wie eine einzige Familie in Not.

Als wir dort ankamen, haben wir eilig Matten gekauft, damit die Familien sich Hütten bauen konnten, die sie vor der Kälte schützen und ihnen ein notdürftiges Zuhause bieten sollten. Wir haben bis zum Einbruch der Nacht in den Dörfern Lebensmittel von Lastwagen heruntergeholt und verteilt. Die Tage nach den Plünderungen haben wir bei den Familien verbracht, ihnen Gesellschaft geleistet und uns ihre persönlichen Sorgen erzählen lassen, ihre Not gesehen, sie getröstet und ihnen Mut gemacht. 

Das gute Beispiel eines Dorfes

Die Frauen von Condoray haben diese Arbeiten geleitet. Wir haben alles mitgemacht. Nie sahen wir sie auch nur eine Minute untätig. Nach dem Abendessen blieben die Büros erleuchtet. Wir haben erlebt, wie sie sich engagiert um alle gekümmert haben, die Not litten, sogar um uns selbst. Wir waren weit weg von zu Hause, dennoch fühlten wir uns ganz daheim – dank ihrer Fürsorge.

Besonders erwähnen möchte ich die beispielhafte Arbeit der Mentorinnen in den Dörfern. Sie sind Frauen aus dem Tal, die wahren Protagonistinnen seiner Entwicklung, die in Condoray ausgebildet werden und sich dafür verantwortlich fühlen, ihr Wissen an die anderen Frauen in ihrem jeweiligen Dorf weiterzugeben.

Diese Tage haben uns Beispiele einer weit über das Normale hinausgehenden Großzügigkeit und Einsatzbereitschaft gezeigt. Diese Frauen haben ihre persönlichen Bedürfnisse hinangestellt – auch sie hatten alles verloren – und haben sich zu den Nachbarn aufgemacht, um dort das Ausmaß der Schäden zu ermitteln. Dank ihrer Arbeit kann man auch denjenigen helfen, die ohne ihr Engagement wohl leer ausgehen würden.

Das meistgehörte Wort war in diesen Tagen: "Danke!" Die Menschen dort haben das wenige verloren, das sie ihr Eigen nannten. Nur das Leben blieb ihnen als Trost – dafür sind sie dankbar und bedanken sich dafür bei Gott. Es sind vorbildliche Menschen, die an den Schwierigkeiten wachsen. Menschen, deren Herz wie ein Motor ist, der sie daran hindert, das Leben als Tragödie zu betrachten. Immer schauen sie voller Freude nach vorne. Es sind einfache Leute, deren Glauben Berge versetzt, und, dessen bin ich mir sicher, auch Häuser und ganze Dörfer neu erstehen lässt.

Der Glaube ist Grundlage ihrer Gelassenheit und Freude. Da sie wissen, das Gott an ihrer Seite ist, kann geschehen, was da kommen mag. "Wir sind immer froh", sagt Isabel Charún, Mutter von dreizehn Kindern, Witwe seit dem vergangenen Februar, deren Haus bis auf einige Schuttreste völlig zerstört ist. Für mich war sie ein Beispiel des Starkmuts inmitten des Schmerzes, der bereitwilligen Annahme des Kreuzes. Unseren Dienst haben wir bei dieser Familie sehr liebevoll und voller Bewunderung versehen.

Wir haben versucht, Menschen zu helfen, die uns eine der schönsten Lektionen in unserem Leben erteilt haben. Wir haben dort viel Persönliches zurückgelassen, Erinnerungen an konkrete Menschen. Wir sind nach Hause zurückgekehrt, aber wir haben dort einen Teil unseres Herzens zurückgelassen. Ich glaube, wir müssen einfach noch einmal dorthin zurückkehren. 

Eine andere Art zu leben

Trotzdem meine ich, dass es nicht unbedingt erforderlich ist, solch weite Reisen zu unternehmen, um anderen Menschen helfen zu können. Hier bei uns, in unserer Gesellschaft, gibt es auch viel Armut. Wir sind von viel Not umgeben, vielleicht nicht von materieller, aber von seelischer Not, von viel Einsamkeit, einem übermäßig ausgeprägten Individualismus, dem Verlust der Sinnmitte des Lebens, dem verzweifelten Suchen nach letzten Wahrheiten, dem Glaubensverlust und dem elementaren Mangel an Wissen, wie man ein glückliches Leben führen kann. Auch hier bei uns zu Hause können wir einen bewusst ganz alternativen Sommer oder Winter verleben!