Gestorben mit dem Blick auf Maria

„Mich schmerzt die Kirche!“ / Die Seinen stärken / Novene in Mexiko: Rolf Thomas schildert die letzten Lebensjahre des hl. Josefmaria.

Die letzten Lebensjahre des heiligen Josefmaria waren geprägt von der Krise der Kirche im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil wie von der weltweiten Ausbreitung des Opus Dei in. Der heute 76jährige Prälat Rolf Thomas lebte und arbeitete in diesen Jahren in unmittelbare Nähe des Heiligen, bis dieser am 26. Juni 1975 starb. In seinem Buch „Josemaría Escrivá erleben“ widmet Thomas dieser Zeit einen Abschnitt mit dem Titel „Mich schmerzt die Kirche“. Zum Gedenktag von Sankt Josefmaria am 26. Juni geben wir es hier gutenteils wieder.

Bischof Javier Echevarría bezeugt, wie sich Escrivá seelisch aufrieb: „Die Kirche schmerzte ihn, sagte er immer wieder, alle Seelen, die ihre Berufung verraten haben, schmerzten ihn; die Seelen, für die diese Untreue zum Stein des Anstoßes wurde, schmerzten ihn, es schmerzte ihn die Verwirrung, die die Feinde der Kirche zu stiften versuchten. Ihn schmerzte besonders, dass zahllose Wunden, die der Kirche zugefügt wurden, ‚nicht von fremder Hand kamen, sondern von solchen geschlagen wurden, die sie hätten beschützen müssen.‘ Deshalb sprach er oft vom nötigen Geist der Loyalität“. Einmal empfing er zum Mittagessen den Berliner Kardinal Alfred Bengsch. Ich wurde hinzugeladen. Es war am 20. Oktober 1971. Damals tagte die Weltbischofssynode, die sich mit den Themen Priesteridentität und Gerechtigkeit befasste. Man sprach sehr offen über die Situation der Kirche. Im Gespräch zeigte sich vom ersten Augenblick an Einklang, ein volles Unisono. Nach einem abschließenden gemeinsamen Gebet in der Pfingstkapelle vor dem Allerheiligsten am Ende des Besuchs begleitete Escrivá seinen Gast bis zur Tür und sagte ihm beim Abschied: „Eminenz, Sie haben in Berlin eine Kathedra, einen Lehrstuhl, von dem aus Sie in der ganzen Welt gehört werden: nützen Sie ihn weiter und sprechen Sie mit derselben Klarheit, mit demselben Freimut, um die Menschen im Glauben zu stärken. Ich tue mein Bestes, um die Meinen zu orientieren und zu stärken.“

Die Seinen orientieren und stärken

Escrivá ließ tatsächlich keine Möglichkeit ungenutzt, zur Festigung des Glaubens seiner Mitmenschen beizutragen in Zeiten, die er als extrem bedrohlich erkannte. Immer schon hatte er die theologische Bildung der Mitglieder des Opus Dei systematisch gefördert und 1969 an der Universität von Navarra die Errichtung einer theologischen Fakultät erreicht. Nun bestand er darauf, dass alle durch die regelmäßige Lektüre zuverlässiger Katechismen die Grundbegriffe des Glaubens festigten. Zudem gab er konkrete Anweisungen zur korrekten Anwendung der Liturgiereform, um nichts von dem in der Liturgie gehüteten doktrinellen und spirituellen Reichtum verlorengehen zu lassen. Eine weitere Antwort auf die Krise in der Kirche war seine Katechese. Zwischen 1970 und 1975 hat er vier große Reisen nach Spanien, Portugal und in fast alle lateinamerikanischen Länder unternommen. Er verband dabei mehrere tief empfundene Anliegen: zu marianischen Wallfahrtsorten zu pilgern, und Maria als Fürsprecherin anzurufen; Katechesen zu halten, um der herrschenden Verwirrung durch Klarheit entgegenzutreten, um seine geistlichen Kinder zu stärken und um viele von ihnen kennenzulernen. Denn inzwischen war das Opus Dei auf etwa 60.000 Mitglieder angewachsen.

Neun Tage Gebet bei Unserer Lieben Frau von Guadalupe

Der hl. Josefmaria betet vor dem Bild der Muttergottes von Guadalupe

Einen zeichenhaften Charakter hatte wohl die Wallfahrt vom Mai 1970 zu Unserer Lieben Frau von Guadalupe in Mexiko. Er wusste, dass dies eine große Freude für die zahlreichen Mitglieder und Freunde des Opus Dei dort sein würde. Denn anders als in Europa, war es für Mexikaner nicht so leicht, einmal „den Vater“ zu sehen. Von der Tribüne des Gotteshauses aus, in Augenhöhe dem Gnadenbild gegenüber und vor neugierigen Blicken geschützt, begann Escrivá seine Novene zur Gottesmutter. In kühner Gesinnung verschaffte er sich Zugang zu ihr „wie ein kleines Kind, fest überzeugt davon, dass man ihm Gehör schenken muss“. Der Vater betete vereint mit seinen Söhnen und Töchtern und im Namen aller Gläubigen des Opus Dei. „Wir bitten wie ein kleines Kind“, wandte er sich an den Herrn, „wie eine kleine Familie, und ich möchte, dass das Werk immer so sei: eine kleine, eng vereinte Familie, auch wenn wir über alle Teile der Erde verstreut sind. Und wir bitten dich fordernd, indem wir uns auf die Fürsprache deiner Mutter stützen, und im Wissen, dass du uns erhören musst.“ Sein Gebet war beharrlich, kühn und schlicht zugleich: „Mutter, wir kommen zu dir; du musst uns erhören. Wir bitten um Dinge, deren Ziel es ist, der Kirche besser zu dienen und den Geist des Werkes besser zu bewahren. Du kannst nicht weghören! Du möchtest, dass alles, was dein Sohn sich wünscht, erfüllt werde, und dein Sohn möchte, dass wir heilig seien, dass wir das Opus Dei verwirklichen. Du musst uns erhören!“ Josefmaria Escrivá harrte aus im Gebet, fordernd, vertrauensvoll, drängend und flehend. Vázquez de Prada schreibt: „Jede innere Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen, als der Gründer die Novene zur Muttergottes von Guadalupe beendet hatte. In den Tagen zuvor hatte er Stunden vor ihrem Gnadenbild gekniet, die Augen fest auf das wunderbar entstandene Bild gerichtet. Der Schmerz, der ihn erfüllt hatte, war geschwunden. Und beim Abschied war seine heitere, lächelnde Miene Ausdruck seines inneren Friedens: ‚Mutter, ich bitte dich um nichts mehr. Ich habe alles, was meine Seele, mein Herz, meinen Kopf, mein ganzes Sein in Beschlag genommen hat, in deine Hände gelegt. Ich bin sicher, dass du mir Gehör geschenkt hast. Ich gehe zufrieden und ruhig von hier weg“ (Vázquez de Prada III, S. 537).

Sterben mit dem Blick auf die Muttergottes

Eine Episode aus jenen Tagen in Mexiko erhielt fünf Jahre danach zeichenhafte Tiefe, als Josefmaria Escrivá am 26. Juni 1975 in Rom starb. In Mexiko hatte er sich eines Tages nach einer Begegnung mit Priestern erschöpft in ein Zimmer zurückgezogen, um ein wenig auszuruhen. Der Notar Alberto Pacheco, eines der ersten Mitglieder des Opus Dei in Mexiko, ging mit ihm, um ihm Gesellschaft zu leisten. Im Zimmer hing ein Bild der Gottesmutter von Guadalupe, auf dem sie dem Indio Juan Diego eine Rose reicht. Darauf fiel der Blick von Josefmaria. Pacheco hörte ihn sagen: „So würde ich gerne sterben: den Blick auf die Muttergottes gerichtet, die mir eine Blume reicht.“ Und so geschah es am 26. Juni 1975. Um die Mittagszeit war der hl. Josefmaria von einem Besuch in „Villa delle Rose“, dem damaligen Studienkolleg der Frauen des Opus Dei in Castelgandolfo, nach Rom zurückgekehrt. Dort hatte er sich unwohl gefühlt. In Rom angekommen, betrat er die Kapelle, um wie gewohnt den Herrn im Tabernakel mit einer ruhigen und andächtigen Kniebeuge zu begrüßen. Anschließend begab er sich ins Arbeitszimmer. Da hörte Javier Echevarría, der zurückgeblieben war, um die Aufzugtür zu schließen, den Vater von drinnen rufen. Er lief zu ihm. „Ich fühle mich nicht wohl“, sagte der Vater mit schwacher Stimme und brach zusammen. Der Gründer hatte die Gewohnheit, zum Gruß der Muttergottes auf ihr Bild zu schauen, so oft er ein Zimmer betrat oder verließ. In seinem Arbeitszimmer hing ein Bild Unserer Lieben Frau von Guadalupe. Er starb so, wie er es sich gewünscht hatte: seinen Blick auf ein Bild der Muttergottes von Guadalupe gerichtet. Aus den Händen unserer Herrin empfing er die Rose, die der Liebe das Tor zur Ewigkeit öffnet.

S. 87–90

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Eine Besprechung des Buches „Josemaría Escrivá erleben“ von Rolf Thomas sowie bibliographische Angaben finden Sie hier.