Gottesmutter und Mutter der Kirche

Zum Hochfest der Gottesmutter Maria am 1. Januar

Die kurze Zeitspanne zwischen Weihnachten und dem 1. Januar hat zur Versenkung ins weihnachtliche Geheimnis angeregt: „Ich steh an deiner Krippe hier (...) Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen, und weil ich nun nicht weiter kann, bleib ich anbetend stehen“ (Gotteslob 141). Der Beter erfährt das Unvermögen des Nachdenkens und sehnt sich nach Eintauchen ins Unfassbare:„O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.“

Der Oktavtag der Weihnacht ist das „Hochfest der Gottesmutter Maria“. Am selben Fest 1964 (nach dem alten liturgischen Kalender am 11. Oktober) sagte der heilige Josefmaria: „Alle Marienfeiertage sind wichtig, denn sie sind Anlässe, die uns die Kirche bietet, damit wir unsere Liebe zur Mutter Gottes mit Werken beweisen. Wenn ich aber unter diesen verschiedenen Feiertagen einen auswählen müsste, so würde ich das heutige Fest nehmen: die göttliche Mutterschaft der allerseligsten Jungfrau. (...) Niemals werden wir tief genug in dieses unaussprechliche Geheimnis eindringen; niemals werden wir unserer heiligen Mutter genug dafür danken können, dass sie uns diese Nähe zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit ermöglicht hat.“ (Freunde Gottes 274-276)

Acht Tage nach der Geburt Jesu darf sich man die Hirten vorstellen, wie sie vom Staunen über das Geheimnis zu ihrem Alltag übergehen: „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten“ (Tagesevangelium Lk 2, 16-21). Der innere Blick richtet sich auf die Mutter. Anders als bei den Hirten gab es bei ihr keinen Übergang aus dem wunderbaren Staunen in den prosaischen Alltag. Denn ihre Gottesmutterschaft – ihre Berufung – ist kein vorübergehender Zustand, sie prägt ihr ganzes Sein, und dieses ist von einem immer tieferen Eindringen in das Geheimnis göttlicher Mutterschaft gezeichnet: Sie „bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (v. 19).

Leitstern und Vorbild

In Bewahren und Erwägen ist Maria allen Christen Vorbild: „Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr. In ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr ein menschlich ähnliches Aussehen empfangen, das eine sicher noch größere geistliche Verbundenheit mit sich bringt. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi mit gleicher Beharrlichkeit hingegeben. Die Augen ihres Herzens richten sich in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie, seine Gegenwart zu spüren und seine Züge zu erahnen. Als sie ihn schließlich in Bethlehem zur Welt bringt, sind auch die Augen ihres Leibes zärtlich auf das Angesicht des Sohnes gerichtet, den sie in Windeln wickelte und ihn in eine Krippe legte (vgl. Lk 2, 7). Von jetzt an wird ihr Blick, der immer mehr anbetendem Staunen gleicht, nicht mehr von ihm weichen.“ (Johannes Paul II im apostolischen Schreiben ‚Rosarium Virginis Mariae' Nr. 10).

Im Gebet der Christen hat die Gottesmutterschaft Mariens jenseits des streng Liturgischen vielfache Entfaltungen erfahren. In der lauretanischen Litanei rufen wir sie an als Mutter Christi, Mutter der göttlichen Gnade, Mutter des Schöpfers, Mutter des Erlösers... Es sind verschiedene Brechungen eines einzigen Lichtstrahls aus einer einzigen Lichtquelle. Denn im Grunde meinen wir immer schlicht: die Mutter – Jesu Mutter, unsere Mutter. Deshalb dürfen wir sie bitten: Lehre uns heute Jesus so sehen, wie du ihn damals sahst. Oder mit Worten des „Salve Regina“, die sich auf die Stunde der Vollendung richten: „Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes." Der Kern allen Bittens ist die Zuversicht, wie sie sich im Ruf ausdrückt: „O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria“ – O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.

Mutter der Kirche

In der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche wird Maria „ als überragendes und völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe gegrüßt, und die katholische Kirche verehrt sie, vom Heiligen Geist belehrt, in kindlicher Liebe als geliebte Mutter“ (Nr 53).

Als Papst Paul VI. diese Konstitution am 21 November 1964 proklamierte, nannte er die Gottesmutter auch „Mutter der Kirche, des ganzen christlichen Volkes, der Gläubigen wie der Hirten". Vier Jahre später griff er diese Worte feierlich auf: „Wir glauben, dass die heiligste Gottesmutter, die neue Eva, Mutter der Kirche, für die Glieder Christi ihre mütterliche Aufgabe im Himmel fortsetzt, indem sie bei der Geburt und Erziehung des göttlichen Lebens in den Seelen der Erlösten mitwirkt." (Credo des Gottesvolkes, 30.6.1968) Im Jahre 1980 fügte Papst Johannes Paul II der lauretanischen Litanei die Anrufung Mater Ecclesiae, Mutter der Kirche hinzu.

Von Bethlehem nach Jerusalem

In Bethlehem sahen die Hirten in Maria die Mutter des Kindes, in Nazaret sahen die Mitbewohner in ihr die Mutter des Jugendlichen und dann des erwachsenen Sohnes, der eigene Wege ging. Nach der Auferstehung sehen die im Obergemach versammelten Apostel in Maria die Mutter jener neuen Familie, deren Haupt Jesus Christus ist. Dort verharrten sie alle „einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern (Apg 1, 13-14). Maria weiß, dass die Kirche bald ans Licht treten wird. Damals in Bethlehem wurde ihr Sohn geboren, jetzt wird in Jerusalem gleichsam seine Kirche geboren und sichtbar.

Sie steht mitten unter den Jüngerinnen und Jüngern des Herrn, die alle noch unerfahrene Beter sind. Am Anfang ihrer Berufung zur Gottesmutterschaft stand ihre Erfahrung mit dem Heiligen Geist. Dann unter dem Kreuz Christi“, als sich im Blut und Wasser aus der Seite des Heilands das Geheimnis der Kirche andeutete, hatte Maria „eine neue Mutterschaft“ erfahren, wurde „jedem einzelnen und allen als Mutter gegeben“ (vgl. Johannes Paul II, Enz. Redemptoris Mater 23). Jetzt steht sie am Anfang des Sichtbarwerdens der Kirche und wird sich hier zum ersten Mal als Mutter der Kirche gefühlt haben. Ihr Blick wird sich auf die Gemeinschaft der Gläubigen um sie herum gerichtet haben. Maria lehrt sie beten und ist ihnen, den Ungeduldigen, Vorbild ruhiger Sammlung und Beharrlichkeit. Inmitten der Versammelten erfüllt Maria die mütterliche Aufgabe, jene ersten Christen zu erziehen – nicht einzeln, sondern als Gemeinschaft, als Kirche. Sie führt sie ein in die marianische Haltung: Innerlichkeit, um offen für den Heiligen Geist zu sein, Hinhören durch beharrliches Beten, durch die Eleganz, sich selbst zurückzunehmen. Es sind Haltungen, die gerade dann zum Leuchten kamen, als die Verheißung des Herrn sich erfüllte.

Doch nun tritt Petrus aus jener Gemeinde als ihre sichtbare Mitte und ihr Haupt hervor. Von diesem Augenblick an hören wir nichts mehr von Maria. Sie bleibt ständig gegenwärtig, aber im Schatten, in der Verborgenheit des Inneren - wie das Herz, wie die Lungen, wie das Blut.

von Josef Arquer