Große und kleine Engel

Zum Gedenktag der heiligen Schutzengel am 2. Oktober eine Betrachtung von Josef Arquer

Im Schatten des Festtages der heiligen Erzengel Michael, Gabriel und Raphael am 29. September feiert die Kirche am 2. Oktober den Gedenktag der heiligen Schutzengel. Die erhabenen Namen der drei Erzengel deuten heilsumfassende Weiten an: Michael heißt „Wer ist wie Gott?“, Gabriel „Gott ist der Starke“, Raphael „Gott heilt“. Und der Name unseres Schutzengels? Wir kennen ihn nicht. Er sagt uns dasselbe wie die drei großen Himmlischen, aber nicht in kosmische Weiten feierlich verkündet , sondern jedem einzelnen leise ins Ohr.

Die Engel stoßen Fenster auf ins Übersinnliche. In fast allen Kulturen gibt es Vorstellungen von Geistwesen – von den furchterregenden geflügelten Wesen der Assyrer bis zu den antiken Sagengestalten, in denen Engel und Gestirne zusammenfallen. Vielleicht manifestiert sich in solchen dunklen Ahnungen eine aus Urtiefen hochsteigende Sehnsucht danach, nicht allein zu sein in der Leere des Weltraums, verloren in den Milliarden Lichtjahren.

Die Offenbarung bekräftigt diese urmenschlichen Ahnungen und Sehnsüchte. Wir bekennen Gott als den „Schöpfer des Himmels und Erde, der sichtbaren und unsichtbaren Welt“. Und wir erfahren, dass „Himmel“ nicht der bestirnte Nachthimmel über uns ist. Dieser ist faszinierend, betörend, schön – aber tot. Dagegen ist „Gottes Himmel“ Lebensfülle. Der Herr deutet einiges dazu an, wenn er gleichsam im Vorbeigehen auf die Kinder bezogen anmerkt: „Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines Vaters“ (Mt 18,10).

Die eigentliche Seinsweise der Engel entzieht sich unseren Vorstellungen. Wir nennen sie nach ihrer Aufgabe gegenüber uns Menschen angeloi –Engel, Boten, Gesandte. Denn „sie künden von ferne oder von nahe das Heil an und dienen dem göttlichen Plan, es zu verwirklichen" (Katechismus der katholischen Kirche 332).

Auch wenn ihr Wesen im Geheimnis bleibt, wissen wir, dass sie „geistige, körperlose Wesen“ sind (Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 328). Anders gewendet: Sie sind persönliche, kommunikationsfähige – und kommunikationswillige Wesen. Dies ist der Kern von allem: Nicht nur, dass sie „existieren“, sondern dass wir Umgang mit ihnen pflegen dürfen, sollen.

Es ist ein Stück gelebten Glaubens, das in den eigenen Alltag zu übertragen, was der Katechismus der katholischen Kirche sagt: „Von der Kindheit an bis zum Tod umgeben die Engel mit ihrer Hut und Fürbitte das Leben der Menschen. ‚Einem jeden der Gläubigen steht ein Engel als Beschützer und Hirte zur Seite, um ihn zum Leben zu führen.‘ “(KKK 3396)

Der selige Johannes XXIII. erzählte in einer Ansprache, dass er beim Betrachten der vielen Menschen, die sich zum Empfang des Papstsegens auf dem Petersplatz versammeln, an die unsichtbar anwesenden Schutzengel all der Teilnehmer dachte. Als die selige Mutter Teresa einmal feststellte, dass vielen Novizinnen ihrer Gemeinschaft aus wohlhabenden Ländern die Verehrung der Engel unbekannt war, schickte sie ihnen keine theologische Abhandlung über die Engel, sondern bat sie in einem Brief ganz schlicht, die Engel zu verehren.

Für den heiligen Josefmaria Escrivá war der Umgang mit den heiligen Engel zunächst davon geprägt, dass der Herr ihn im Jahre 1928 gerade an ihrem Fest jenes Opus Dei „sehen“ ließ, das zu einem neuen Weg der Heiligung in der Welt werden sollte. Auch er pflegte vor Gesprächen zunächst den Schutzengel seines Gegenübers zu begrüßen. Denn „der Umgang mit den Engeln will gelernt sein. … Bitte sie, deinen guten Willen vor den Herrn zu tragen, diesen guten Willen, den die Gnade aus unseren Erbärmlichkeiten keimen ließ wie eine Blume aus dem Dunghaufen.“(Christus begegnen 63)

Wir können unseren Schutzengel bitten, er möge unser Gebet beflügeln, uns auf halbvergessene Vorsätze von neuem aufmerksam machen, bei einer schwierigen oder anstrengenden Arbeit beistehen ... Sind wir als Erwachsene weniger schutzbedürftig als zur Zeit unserer kindlichen Spiele? Gerade jetzt, da wir es nicht mehr so leicht haben, vor Gott Kinder zu sein, kann es hilfreich sein, dass wir unsere Kindergebete von damals wieder sprechen. Gelegentlich mag uns die Vermutung helfen und beflügeln: Wahrscheinlich denkt mein Schutzengel mehr an mich, als ich an ihn.

Nach einer alten Legende wird uns nach dem Tod der heilige Engel, der uns zeitlebens begleitet und beschützt hat, in die endgültige Heimat einführen. Diese schöne Erzählung wird in einem Totengebet der Kirche unmittelbar nach dem Verscheiden konkret: „Kommt herzu, ihr Heiligen Gottes, eilt ihm entgegen, ihr Engel des Herrn. Nehmt auf seine Seele und führt sie hin vor das Antlitz des Allerhöchsten ... Christus nehme dich auf, der dich berufen hat, und in das Himmelreich sollen Engel dich geleiten.“