In einem Milieu von jungen Einwanderern

Über eine soziale Initiative in einem konfliktiven Stadtviertel von Barcelona

Die persönliche Betreuung der Jungen ist wichtig

Raval und Braval

Raval ist der Name eines Stadtviertels von Barcelona, nahe dem historischen Stadtkern um die Kathedrale. Braval ist eine soziale Initiative für junge Leute aus dem Viertel, 1998 entstanden, 2002 im Umfeld des hundertjährigen Geburtstags des hl. Josefmaria Escrivá mit eigenen Räumen und aus Erfahrung gewachsenen Bildungsprogrammen gefestigt. Die Namensähnlichkeit ist natürlich beabsichtigt, denn Braval ist ein Stück Raval – und will im Viertel christliche Solidarität spürbar werden lassen.

Bis vor etwa zehn Jahren war Raval das Rotlichtviertel von Barcelona. Im Zuge der Olympischen Spiele von 1992 begann das Gesicht des Viertels sich äußerlich zu ändern. Vieles wurde abgerissen, alte Gebäude wurden saniert, andere mauserten sich zu wiederentdeckten historischen Sehenswürdigkeiten, neue Bauten setzen markante Akzente, wie das Museum für zeitgenössische Kunst MACBA entworfen vom berühmten Richard Meier.

An den Programmen von Braval nehmen Jungen aus 20 verschiedenen Nationalitäten teil

Nicht so leicht zu sanieren ist die soziale Struktur des Viertels. Raval bleibt ein Brennpunkt von Konflikten. Jetzt ist es das Eingangstor für einen großen Teil der immer zahlreicheren Immigranten, die in den letzten Jahren nach Barcelona gekommen sind. Etwas mehr als ein Drittel von den 45.000 Menschen, die im Viertel leben, stammt aus dem Ausland. Es heißt, besonders Migranten aus Pakistan, Philippinen und dem Maghreb haben sich hier etabliert. Die Vielfalt der Nationalitäten, die prekären Wohnbedingungen und die hohe Arbeitslosenrate bilden den Nährboden für ein Abdriften ins Ghetto.

Gleichsam als geistig-kulturelle Pendant zu den urbanistischen und architektonischen Verbesserungen ist das Sozialprojekt Braval entstanden. Man versucht, Antworten auf die neue Herausforderung eines multikulturellen Milieus zu geben. Es geht darum, den jungen Einwanderern den gesellschaftlichen Zusammenhalt des Viertelbewohners zu erleichtern, zur Lösung der Arbeitsprobleme und Eingliederung in den Arbeitsmarkt beizutragen, die verschiedenen Formen von Ausgrenzung zu beheben. Kurz: die Integration zu fördern.

Die Einrichtung steht allen Bewohnern des Viertels offen, ungeachtet ihrer Herkunft und Religion. Ein besonderer Schwerpunkt stellt die Betreuung von Neueinwanderern, die besonders ausgrenzungsgefährdet sind. Tatsächlich sind 70% der Kinder in Braval Kinder von Einwanderern.

Zahlen….

Multinationale Fußballmannschaft

Einige Angaben aus dem vor kurzem veröffentlichten Jahresbericht 2005-2006 helfen, sich eine Vorstellung der Arbeit zu machen. Der interessierte Leser registriert erfreut, dass der Bericht auch den multikulturellen Hintergrund des Viertels zu fassen versucht. Unter den 45.000 Einwohner des Raval gebe es etwa 20.000 Ausländer: aus Pakistan fast 5000, aus den Philippinen über 3000, aus Marokko über 2000, aus Ekuador fast 2000, aus Bangladesch fast 1000. Es wird auch erwähnt, dass Spanien zum siebten Mal hintereinander das EU-Land ist – nach Deutschland –, das die meisten Immigranten aufgenommen hat. Und in Katalonien gebe es gegenwärtig fast 1 Million Immigranten, etwa 13 % der 7 Millionen Einwohner.

Im Bericht heißt es eingangs, dass die Zahl der Teilnehmer an den Programmen stetig gestiegen ist: von 115 in der Zeit 2000-01 bis 179 im vergangenen Jahr.

Wie oft bei solchen Themen erscheinen die in Zahlen ausgedrückten Ergebnisse einer konkreten Initiative kaum relevant. Bei einer vom christlichen Geist getragenen Initiative ist es aber anders; denn man schaut auf die Menschen, die mit persönlichen Engagement dies möglich machen und auf jene, die – manchmal vielleicht erstaunt, aber fast immer dankbar - davon profitieren.

Viele von denen, die dieser Initiative Zeit und Engagement bilden, haben ein Wort des heiligen Josefmaria Escrivá im Ohr: In einer Meditation forderte er seine jungen Zuhörer auf, „daß wir uns regen, daß wir nach Hilfsquellen suchen und alles aufbieten, um denen zu helfen, die in Not sind. Ein Christ darf sich nicht mit einer Arbeit zufriedengeben, die ihm nur die nötigsten Mittel für sich selbst und seine Familie verschafft: ein weites, großes Herz wird ihn dazu drängen, daß er auch mit zupackt, um anderen zu helfen, und zwar aus Gründen der Nächstenliebe und aus Gründen der Gerechtigkeit.“

Die 179 Kinder, die sich an den verschiedenen sozialpädagogischen Programmen im Berichtsjahr beteiligt haben stammen aus 20 Ländern, sprechen 10 Sprachen und gehören 8 Religionen an.

Unter den sechs Programmen, die Braval gegenwärtig anbietet (zwei haben sportlichen Charakter), ist das an jüngere Kinder gerichtete „1@1“ besonders interessant. Es will Lernmotivation schaffen, Gespür für die Würde der Arbeit und Verständnis für die Werte und Verhaltensweisen einer den meisten bis dahin unbekannten Gesellschaft wecken. In diesem Jahr ist das Program durch das Engagement von 17 Freiwilligen getragen worden.

Das elementarste und vom „Existentiellen“ her grundlegenste Programm will Grundkenntnisse der Sprache vermitteln. Denn viele Immigranten kennen die Sprache ihres neuen Landes kaum. Auch wenn alle Programme individuelle Zuwendung erfordern – jeder Schüler hat einen Tutor zur Seite – ist dies bei diesem sprachbezogenen Programm besonders wichtig. Meistens helfen dabei pensionierte Lehrer.

Die Lernräume in Braval werden jeden Tag von 18 bis 20 Uhr benutzt. Mit Hilfe von freiwilligen Tutoren geht es darum, die Schulergebnisse zu verbessern. Im Bericht heißt es, dass jeden Tag durchschnittlich 35 Lernende die Lernräume benutzen. Wichtig ist auch das berufsorientierte Programm. Es richtet sich an junge Leute ab 16 Jahren, die keinen Schulabschluß haben.

und helfende Menschen

Ein wesentlicher Baustein für den Erfolg der Programme ist das Engagement von Freiwilligen. Die meisten sind Studenten und Schüler. Aber auch Freiberufler und Pensionäre gehören dazu. Gegenwärtig gibt es unter den Freiwilligen schon junge Leute, die in den ersten Jahren selbst in Braval als “Schüler“ waren. Während des Berichtjahres 2005-2006 hat es insgesamt 474 Freiwillige gegeben (sportliche Veranstaltungen eingeschlossen)

Eine Neuigkeit des Jahres 2006 ist das Abhalten von Arbeitsessen in Braval selbst, an welchen neben Erfahrungsaustausch man mögliche neue Initiativen bespricht. Eingeladen werden Personen, die die Migrationsprobleme aus der Praxis kennen: Unternehmer, Journalisten, Politiker, Erzieher, Sozialarbeiter, Seelsorger etc. Aus Erfahrung begrenzt man den Kreis der Teilnehmer an solchen Begegnungen auf etwa zehn Personen, jedesmal in verschiedenen Zusammensetzung, damit jeder sich aussprechen kann und es zu realistischen Initiativen kommt. In der Berichtszeit haben 48 Personen an diesen Treffen teilgenommen.

Personen aus dem Viertel, die es wünschen, erhalten natürlich Glaubensunterricht. Sie werden wahrscheinlich leichter als die anderen ahnen, dass hinter dem Engagement so vieler Menschen ein spiritueller Impuls steht. Und vielleicht fühlen sie sich selbst einmal angesprochen, das weiterzugeben, was sie empfangen haben. Denn – so der heilige Josefmaría Escrivá -: „Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die auf die Not und die Ungerechtigkeit nicht reagieren und sich nicht bemühen, sie zu lindern, sind nicht Mensch und nicht Gesellschaft nach dem Maße des liebenden Herzens Christi.“