Predigt des Prälaten des Opus Dei bei der letzten Danksagungsmesse für die Heligsprechung

Mit der Heiligsprechung beginnt eine neue Etappe, "geprägt von einer tieferen Liebe zu Gott, einem größeren apostolischen Eifer, einem großzügigeren Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit."

1. Die unvergeßlichen Tage der Heiligsprechung des heiligen Josefmaria Escrivá gehen ihrem Ende entgegen. In wenigen Augenblicken werden seine ehrwürdigen sterblichen Überreste von neuem in die Prälaturkirche Unserer Lieben Frau vom Frieden übertragen werden, nachdem sie acht Tage lang in dieser Basilika von San Eugenio zur Verehrung der Gläubigen ausgesetzt gewesen waren. Gleich wird die Diaspora beginnen — für viele hat sie sich schon unmittelbar nach der Heiligsprechung ereignet —, und alle werden wir zu unseren üblichen Beschäftigungen zurückkehren: zum gewöhnlichen Leben, das der Kampfplatz unseres Ringens um die Heiligkeit ist.

Stellen wir uns die Frage: Welchen Vorsatz können wir aus diesen Tagen in Rom mitnehmen, während derer wir die staunenswerte Universalität sowohl der Kirche als auch dieses Teilchens von Kirche erlebt haben, das das Opus Dei ist? Wie soll mein Leben von nun an verlaufen? Was kann ich im Namen des heiligen Josefmaria denjenigen sagen, die nicht an der Heiligsprechung teilnehmen konnten, auch wenn sie in diesen Tagen geistig sehr wohl anwesend waren?

Wenn ich zu ihnen sprechen müßte, würde ich ihnen die Erwägung ins Gedächtnis rufen, die der geliebte Don Álvaro in einer der letzten Dankmessen nach der Seligsprechung unseres Vaters für uns angestellt hat. Er sprach damals, und ich mache mir seine Worte zu eigen, von «einer neuen Etappe im Leben des Opus Dei und (...) im Leben eines jeden Mitglieds; einer neuen Etappe, geprägt von einer tieferen Liebe zu Gott, einem größeren apostolischen Eifer, einem großzügigeren Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit. Im Grunde eine Etappe vollkommenerer Treue zum Geist der Heiligung inmitten der Welt, den unser Gründer uns als Erbe hinterlassen hat.» (Homilie bei der Messe zur Danksagung für die Seligsprechung von Josefmaria Escrivá, 21.5.1992). Es geht mit anderen Worten darum, sich täglich um die persönliche Bekehrung zu bemühen.

Ich möchte diese drei Punkte kurz kommentieren. Ich bitte den Herrn, Er möge sie unseren Herzen tief einprägen und uns helfen, sie zu verwirklichen.

2. Eine tiefere Liebe zu Gott. Um uns auf dieses Ereignis vorzubereiten, waren wir mehrere Monate lang jeden Tag darum bemüht, uns zu bekehren. Wie oft werden wir diese Gnade auf die Fürsprache des heiligen Josefmaria erfleht haben! Es ist uns bewußt, daß der Weg der Heiligkeit sich aus lauter Akten der Umkehr zusammensetzt. Die Bekehrung besteht ja in der Tat nicht bloß darin, den wahren Glauben anzunehmen und die Sünde von sich zu weisen, um der Gnade Raum zu schaffen. Selbstverständlich ist die Tatsache, daß jemand sich gewöhnlich im Zustand der Freundschaft mit Gott befindet, eine unverzichtbare Voraussetzung, um zur Vertrautheit mit Ihm zu gelangen. Aber das allein genügt nicht. Es ist notwendig, in dieser Vertrautheit zu wachsen — wie unser Vater es getan hat — und in fortschreitendem Maß mit Christus eins zu werden, bis der Augenblick kommt, in dem jeder von uns mit dem heiligen Paulus ausrufen kann: vivo autem, iam non ego, vivit vero in me Christus (Gal 2,20), nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir, denn ich trachte danach, Augenblick für Augenblick treu den Spuren zu folgen, die Er auf Erden hinterlassen hat. «Finde dich nie mit dem ab, was du bist, wenn du werden möchtest, was du noch nicht bist», so erinnere ich dich mit Worten des heiligen Augustinus. «Denn sobald du dich zufrieden gibst, bist du zum Stillstand gekommen. Wenn du sagst: "Es genügt", bist du verloren. Wachse immer, schreite immer vorwärts, geh immer voran.» (Sermo 169,18).

Auf der Wanderung zum Himmel ist diese Anstrengung, täglich voranzukommen, unerläßlich. Es bedarf der Mitwirkung mit dem Heiligen Geist beim Werk der Heiligung. Und dazu gelangt man nur durch eine Bekehrung, und noch eine, und wieder eine, vielleicht in kleinen Pukten, aber auf konkrete und beständige Weise. Das sind gleichsam die Schritte, mit denen die Seele fortwährend Gott immer näher kommt. Es scheint daher angemessen, die Frucht dieser Tage darin zu suchen, daß wir von Grund auf das Bestreben erneuern, die Lehren dessen in die Tat umzusetzen, den der Herr — indem er ihn das Opus Dei sehen ließ — zum Herold und Meister der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit und zum Apostolat in den Umständen des gewöhnlichen Lebens bestellt hat. Bitten wir Gott Vater auf die Fürsprache dieses heiligen Priesters, wie die Kirche uns im Tagesgebet der Messe einlädt, daß wir unsere tägliche Arbeit treu im Geiste Christi erfüllen, damit wir so Deinem Sohn ähnlich werden (Messe vom hl. Josefmaria, Tagesgebet). Wir flehen Dich an, Herr, daß wir Christen alle tiefer eindringen mögen in das Bewußtsein der Gotteskindschaft — mit dem Eifer und mit dem Erfolg, mit dem der heilige Josefmaria dies versucht hat, indem er treu den Anregungen des Trösters Folge leistete.

Auch wenn jeder von uns armselig ist, haben wir dennoch eine sichere Hoffnung: Gott Vater liegt alles daran, uns in Christus durch den Heiligen Geist zur Vollkommenheit der Liebe zu führen. Denn alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so daß ihr euch immer noch fürchten müßtet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. (Röm 8,14-17).

3. Der Vorsatz, Gott mehr zu lieben, voll und ganz mit Jesus Christus einszuwerden und dem Wirken des Heiligen Geistes zu entsprechen, muß sich in einem größeren apostolischen Eifer äußern. Das legt uns die Liturgie nahe, wenn sie uns darum bitten läßt, daß wir, vereint mit der seligen Jungfrau Maria, dem Werk der Erlösung mit Liebe und brennendem Eifer dienen (Messe vom hl. Josefmaria, Tagesgebet).

Ihr seid im Begriff, in Eure Heimatländer zurückzukehren, in eure Wohnungen, zu euren Arbeiten. Kehrt heim mit dem Entschluß, jene Werkzeuge zu sein, die der Herr benützen will, um seine Worte und seine Gnade über die Erde auszubreiten. Laßt den Blick ringsum schweifen in die beruflichen, gesellschaftlichen und familiären Kreise, in denen ihr euch bewegt, und ihr werdet unzählige Personen finden — Töchter und Söhne Gottes! —, die diese erhabene Würde, zu der sie die Taufe erhoben hat, nicht genug schätzen und die Größe der Berufung verkennen, mit der sie der Herr zur Teilhabe an seinem eigenen Leben beruft. Vielleicht hat niemand zu ihnen von Gott gesprochen, oder es hat ihnen niemand auf überzeugende Weise die Nachricht überbracht, daß sie für die Glückseligkeit schlechthin bestimmt sind — für jene ewige Glückseligkeit, nach der sich alle menschlichen Geschöpfe sehnen und die die irdischen Dinge nicht bieten können.

Wir müssen sie aus ihrem Schlaf rütteln, ihnen mit der Überzeugungskraft unseres Lebens und der Begeisterung unserer Rede die Augen öffnen und sie so zu Jesus hinführen. Wir haben die machtvolle Hilfe Mariens und des heiligen Josef, der Schutzengel, des heiligen Josefmaria und aller Heiligen Gottes. Wir sind nicht besser als sie, aber der Herr hat uns in seiner unendlichen Liebe heimgesucht und er lädt uns ein, über alle Straßen und Wegkreuzungen der Erde zu ziehen, unseren Brüdern und Schwestern entgegen, den Menschen rings um uns.

Einmal mehr wird sich das Wunder wiederholen, von dem uns das Evangelium heute berichtet. Die Apostel befolgten den Auftrag Christi, und sie fingen eine so große Menge Fische, daß ihre Netze zu reißen drohten (Lk 5, 6). «Wenn wir an unser Elend denken und uns an die vielen Mißerfolge erinnern, die unser Stolz verursacht hat» — das sind Worte des Gründers des Opus Dei —, «müssen wir vor der Majestät Gottes, vor Christus, dem Fischer, dasselbe Bekenntnis aussprechen wie Petrus: Herr, ich bin ein armer Sünder (vgl. Lk 5, 8). Und dann wird Jesus Christus dir und mir wie zuvor dem Petrus neuerlich klarmachen, was Er uns schon vor so langer Zeit nahegelegt hatte: Von jetzt an wirst du Menschen fangen (Lk 5, 10), kraft göttlichen Auftrags, mit göttlicher Sendung, mit göttlicher Wirksamkeit.» (Aufzeichnungen aus einer Betrachtung, 3.11.1955).

4. Unser Bemühen, heilig zu werden und apostolisch zu wirken, hat nur ein Ziel: die Verherrlichung Gottes, das Heil der Seelen — einen großzügigeren Dienst an der Kirche und an der ganzen Menschheit, wie Don Álvaro es vor zehn Jahren ausgedrückt hat. Vergessen wir aber nicht, daß wir den Menschen, die auf uns warten, nur werden dienen können, wenn wir uns täglich darum bemühen, uns denjenigen zuzuwenden, die mit uns zusammenleben. Zeit seines Lebens hat der heilige Josefmaria keine andere Absicht verfolgt, als Gott, der Kirche, dem Papst und allen Seelen zu dienen. Er folgte dem Beispiel des Meisters, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mt 20, 28). Dieser heilige Priester hat die Seelen geliebt, weil er sich mit zarter Liebe derer annahm, die er um sich hatte.

Er war Diener aller, genoß aber ganz besonders den kindlichen Dienst, den er der Kirche und dem Papst leisten konnte. «Bedenkt immer, daß in der Hierarchie der Liebe und der Autorität nach Gott und nach unserer Mutter, der allerseligsten Jungfrau, der Papst kommt. Deshalb sage ich oft: Dank, mein Gott, für die Liebe zum Papst, die Du mir ins Herz gelegt hast.» (Brief 9.1.1932, Nr. 20).

Bemühen wir uns, diese Liebe und Verehrung des Papstes nachzuahmen. Seine Würde als Stellvertreter Christi, als dolce Cristo in terra, ist für sich allein schon Titel genug, um uns in Erfüllung einer wahren und eigentlichen Kindespflicht von ganzem Herzen mit dem Römischen Pontifex verbunden zu wissen. Aber es ist logisch, daß wir Johannes Paul II. darüber hinaus unsere Dankbarkeit bezeigen möchten, weil er das Werkzeug Gottes für die Heiligsprechung unseres Gründers gewesen ist, und daß wir für seine Person und seine Anliegen ein intensives Gebet darbringen, eine großzügige Abtötung und eine mit übernatürlicher und menschlicher Vollkommenheit verrichtete berufliche Arbeit.

Denkt an den Papst — so sage ich euch mit unserem Vater —, besonders «wenn euch die Härte der Arbeit vielleicht bewußt macht, daß ihr dient, denn Aus-Liebe-Dienen ist etwas Köstliches, das die Seele mit Frieden erfüllt, auch wenn es an Widrigkeiten nicht fehlt» (Brief 31.5.1943, Nr. 11). Wenn wir diese Empfehlungen beachten, werden wir in der Lage sein, sicher und freudig unserer Berufung zu folgen (Messe vom hl. Josefmaria, Schlußgebet).

Legen wir diese Vorsätze in die Hände der allerseligsten Jungfrau, der Mutter der Kirche. Sie wird zusammen mit ihrem Bräutigam, dem heiligen Josef, den wir so sehr verehren, zusammen mit den heiligen Schutzengeln, mit allen Heiligen und besonders mit dem heiligen Josefmaria Escrivá diese Wünsche vor den Dreifaltigen Gott tragen, der sie gütig entgegennehmen, der sie bestätigen und der uns die Gnade gewähren wird, sie treu zu erfüllen. Amen.