Brief des Prälaten (September 2013)

Das Fest Maria Geburt am 8. sowie die Feste Kreuzerhöhung und Schmerzen Marias am 14. und 15. bilden den Hintergrund dieses Briefes.

Ich schreibe euch aus Deutschland, wo ich mich nach der Rückkehr von der Reise durch mehrere südamerikanische Länder aufhalte. Dort hatte ich die Freude, mit vielen Eurer Schwestern und Brüder und vielen anderen Menschen, die dem Werk nahestehen, zusammenzutreffen. Danken wir Gott auch, weil wir anlässlich des Weltjugendtages erleben durften, dass die Kirche, wie Benedikt XVI. sagte, immer jung und schön ist. So wie Ihr mich geistlich während dieser Wochen begleitet habt, so tut es auch weiterhin, damit sie reiche apostolische Früchte tragen.

In den letzten Monaten haben wir die Schönheit der Kirche betrachtet und über die sie unterscheidenden Merkmale nachgedacht, die wir im Credo bekennen. Durch die Taufe sind wir in den Schafstall Christi eingeführt worden und somit Schafe seiner Herde. Der Gute Hirte kümmert sich um jedes von ihnen, besonders mittels der Gnade, die er uns in den anderen Sakramenten schenkt: vor allem in der Eucharistie, die uns Christus immer ähnlicher macht und zu aktiven Gliedern seines mystischen Leibes umgestaltet, zu lebendigen Steinen des geistigen Tempels, der vom Heiligen Geist belebt wird; und im Bußsakrament, wo Gott uns die Sünden vergibt und uns neue Kraft schenkt, um im geistlichen Kampf zu siegen.

Es macht mir Freude, dies am Vorabend des 8. September, dem Geburtsfest Unserer Lieben Frau, zu betrachten, denn in Maria sehen wir das Ideal, auf das hin wir gerufen wurden, in seiner Fülle verwirklicht. In der Tat ist sie, von jeder Sünde unberührt und voller Gnade, von ihrer Unbefleckten Empfängnis an die bevorzugte Tochter Gottes des Vaters, der lebendige Tempel des Heiligen Geistes, vorausbestimmt, die Mutter des Wortes zu sein, das Mensch wurde. Bereiten wir uns mit kindlicher Liebe auf dieses Fest vor, beglückwünschen wir Unsere Liebe Frau von Herzen und schenken wir ihr als gute Kinder, die wir sein wollen, unsere Kindesliebe und unsere unverbrüchliche Treue zu ihrem Sohn Jesus. Versuchen wir, sehr eng mit ihr vereint zu sein an den Festtagen dieses Monats, der jetzt beginnt – und eigentlich immer.

Ich möchte eure Aufmerksamkeit aber auch auf die liturgischen Feste lenken, die in der Mitte des Monats liegen: die Kreuzerhöhung am 14. und am darauffolgenden Tag das Gedächtnis der Schmerzen Mariens – Maria am Fuß des Kreuzes –, auf den auch der Jahrestag der Wahl des lieben Alvaro zum ersten Nachfolger unseres Vaters an die Spitze des Opus Dei fällt.

Es sind dies Gedenktage, die eng mit der Kirche verbunden sind; denn sie empfängt ihre Heilskraft aus der geöffneten Seite Christi am Kreuz, unter der Mitwirkung seiner Mutter, der neuen Eva, die nach göttlichem Ratschluss mit Christus, dem neuen Adam, bei der Erlösung des Menschengeschlechts mitarbeitete. Daher rief Papst Paul VI. sie zum Abschluss einer der Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Mutter der Kirche aus; „das heißt, zur Mutter des gesamten Volkes Gottes, sowohl der Gläubigen wie der Hirten, die sie liebevolle Mutter nennen, und Wir wünschen, dass sie von jetzt an vom ganzen christlichen Volk unter diesem wunderbaren Titel geehrt und angerufen wird“(1). Die Freude, die unser Vater empfand, als er Maria so anrief, ist nicht leicht zu beschreiben, denn er hatte sie in seiner privaten Verehrung schon früher so genannt.

In Maria leuchten in höchstem Glanz alle wesentlichen Merkmale der Kirche: die innige Einheit mit Gott und den Menschen; die herausragende Heiligkeit; die Katholizität, durch die ihr Herz für alle Bedürfnisse ihrer Kinder offen steht; und auch die Apostolizität. Für die folgenden Wochen rufe ich euch voller Freude diese Eigenschaft in Erinnerung, mit der wir bekennen, dass die Kirche „auf feste Grundlagen gebaut ist: auf die ‚zwölf Apostel des Lammes’ (vgl. Offb 21, 14); sie ist unzerstörbar (vgl. Mt 16, 18); sie ist unfehlbar in der Wahrheit gehalten; Christus leitet sie durch Petrus und die anderen Apostel, die in ihren Nachfolgern, dem Papst und dem Bischofskollegium, bei ihr sind“(2).

In der Jungfrau Maria kommt dieser Aspekt der Kirche zum Leuchten, denn sie war es, die in Kana in Galiläa die Voraussetzung dafür schuf, dass die Jünger des Meisters zum Glauben an ihn kamen, und sie auf den Ruf zum Apostolat vorbereitete, der später an sie ergehen sollte(3). Und vom Kreuz aus wandte sich Jesus an seine Mutter und vertraute ihr den Apostel, den er liebte, und mit ihm alle seine Jünger an(4). In Treue zu diesem Auftrag versammelte Maria die Apostel in Erwartung des Heiligen Geistes um sich(5). Es ist bewegend, festzustellen, wie sie sich ihnen allen nach der Herabkunft des Trösters widmete, wie sie ihren ersten Schritten bei der Verkündigung des Evangeliums folgte, wie wir es durch einige Zeugnisse der alten Kirche erfahren. „Maria spornte nicht nur die heiligen Apostel und die übrigen Gläubigen an, die Prüfungen in Geduld zu ertragen, sondern sie zeigte sich solidarisch mit all ihren Mühen, stützte sie bei ihrer Verkündigung und war mit den Jüngern des Herrn geistlich verbunden in ihren Entbehrungen, Leiden und Gefangenschaften.“(6) Vom Himmel aus gibt sie weiterhin und noch wirkungsvoller dem Apostolat der Kirche in der ganzen Welt die nötigen Impulse. Sie stärkt die Hirten und die Gläubigen, damit jeder nach den erhaltenen Gnadengaben Zeugnis von Christus ablegt und wie der hl. Paulus seinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels(7) trägt, dorthin, wo seine menschliche und göttliche Berufung ihn hingestellt hat.

Der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt, dass „die ganze Kirche apostolisch ist in dem Sinn, dass sie durch die Nachfolger des hl. Petrus und der Apostel in Lebens- und Glaubensgemeinschaft mit ihrem Ursprung bleibt. Die ganze Kirche ist apostolisch auch in dem Sinn, dass sie in die ganze Welt ‚gesandt’ ist. Alle Glieder der Kirche haben, wenn auch auf verschiedene Weisen, an dieser Sendung teil“(8). Niemand darf also auf die Idee kommen, dass der vor Christi Himmelfahrt von den Zwölfen erhaltene Auftrag nur die geweihten Amtsträger beträfe. „In der Kirche gibt es verschiedene Dienste, aber nur ein einziges Ziel: die Heiligung der Menschen. Und an diesem Werk haben auf irgendeine Weise kraft des in Taufe und Firmung empfangenen Prägemales alle Christen teil. Alle müssen wir uns für diese Sendung der Kirche verantwortlich fühlen, die ja die Sendung Christi ist. Wer kein Verlangen nach der Rettung der Seelen verspürt, wer sich nicht mit aller Kraft dafür einsetzt, dass der Name und die Lehre Christi bekannt und geliebt werden, der wird die Apostolizität der Kirche nicht verstehen.(9)

In den ersten Monaten seines Amtes als Oberster Hirte wird Papst Franziskus nicht müde, an diesen großartigen Auftrag aller Christen zu erinnern. Auf die eine oder andere Art lädt er uns ein, uns zu fragen: „Wie leben wir unser Kirche-Sein? Sind wir lebendige Steine oder sind wir sozusagen müde, gelangweilte, gleichgültige Steine? Habt ihr gesehen, wie schlimm es ist, einen müden, gelangweilten, gleichgültigen Christen zu sehen? Ein solcher Christ ist nicht in Ordnung, der Christ muss lebendig sein, sich über das Christsein freuen; er muss die Schönheit leben, zum Volk Gottes zu gehören, das die Kirche ist. Öffnen wir uns für das Wirken des Heiligen Geistes (…) oder verschließen wir uns in uns selbst und sagen: »Ich habe viel zu tun, das ist nicht meine Aufgabe«?(10) Und vor kurzem hat er zum Abschluss des Weltjugendtages in Río de Janeiro denselben Aufruf mit besonderer Intensität an die Jugendlichen gerichtet, als er seine Botschaft in drei Worten zusammenfasste: „Geht – ohne Furcht –, um zu dienen.“ Und er erläuterte dazu: „Aber aufgepasst! Jesus hat nicht gesagt: Wenn ihr wollt, wenn ihr Zeit habt, dann geht, sondern er hat gesagt: „Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern.“ Die Glaubenserfahrung zu teilen, den Glauben zu bezeugen, das Evangelium zu verkünden ist ein Auftrag, den der Herr der gesamten Kirche überträgt, auch dir; es ist ein Befehl, der jedoch nicht aus dem Willen zu herrschen, nicht aus dem Willen zur Macht entspringt, sondern aus der Kraft der Liebe, aus der Tatsache, dass Jesus als erster in unsere Mitte gekommen ist und (…) ganz sich selbst gab. Er hat sein Leben hingegeben, um uns zu retten.(11)

Ein lauer Christ, ein passiver Christ „hat noch nicht begriffen, was Christus von uns allen erwartet. Ein Christ, der nur um seine eigenen Angelegenheiten besorgt ist und dem am Heil der anderen wenig liegt, liebt nicht mit dem Herzen Jesu. Das Apostolat ist nicht ausschließliche Aufgabe der Hierarchie oder der Priester und Ordensleute. Uns alle fordert der Herr auf, durch unser Beispiel und unser Wort zu Mittlern jenes Gnadenstroms zu werden, der ins ewige Leben fließt.(12) Der hl. Josefmaria lehrte dies vom ersten Augenblick der Gründung des Opus Dei an als wesentlichen Bestandteil der kirchlichen Sendung, die er von Gott erhalten hatte. Seine für alle gültige Botschaft richtete sich konkret an die gewöhnlichen Christen; an jene Frauen und Männer, die sich aufgrund einer göttlichen Berufung mitten in den irdischen Gegebenheiten befinden und versuchen, sie in Wege zur Ausbreitung des Reiches Gottes zu verwandeln. „Halte dir gegenwärtig, mein Sohn“, schrieb er bereits in den 30er-Jahren, „dass du nicht nur ein Mensch bist, der sich mit anderen Menschen zusammentut, um eine gute Sache zu vollbringen. – Das ist viel – aber es ist noch zu wenig. – Du bist Apostel, der einen gebieterischen Befehl Christi ausführt.(13)

Zwei Bedingungen sind vor allem nötig, damit die Teilnahme der Gläubigen an der apostolischen Sendung der Kirche Frucht bringt: Fügsamkeit gegenüber den Eingebungen des Heiligen Geistes und enge Verbundenheit mit dem Papst und den mit dem apostolischen Stuhl in Verbindung stehenden Bischöfen. Beide Voraussetzungen sind unerlässlich.

Der Heilige Geist ist – wie es Papst Paul VI. ausdrückte – „der Erstbeweger der Evangelisierung“(14), er treibt uns an, in unserem Leben das Evangelium zu verkünden, und so tut er es im Leben aller in der Kirche. „Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren.“(15) Und das gilt für jeden Christen. Wir leben, um in den Himmel zu kommen und dabei viele Menschen mitzunehmen. Wenden wir uns an den Heiligen Geist und bitten wir ihn um Licht und Kraft, um die Aufgabe der Neuevangelisierung, die uns allen anvertraut ist, immer wieder anzupacken und voranzubringen. „Um zu evangelisieren ist es also wiederum notwendig, sich dem Horizont des Geistes Gottes zu öffnen, ohne Angst zu haben vor dem, worum er uns bitten und wohin er uns führen mag. Vertrauen wir uns ihm an! Er wird uns befähigen, unseren Glauben zu leben und zu bezeugen, und er wird das Herz derer erleuchten, denen wir begegnen.(16)

Welche Freude bereitet es, dazu beizutragen, dass immer mehr Menschen Jesus kennen und lieben! Verlangsamen wir nicht unsere Schritte angesichts der möglichen Schwierigkeiten; suchen wir vielmehr wie die ersten Christen Schutz unter dem Mantel Mariens, machen wir uns immer mehr zu Lautsprechern des Heiligen Geistes, wo immer wir uns befinden: durch unser christliches Verhalten, durch das helfende Wort, das wir im rechten Moment ins Ohr jenes Menschen flüstern, der schwankt, durch den offenen und ehrlichen Umgang, den wir mit allen pflegen.

Die zweite Voraussetzung ist die Einheit mit dem Papst und den Bischöfen – Einheit der Anliegen und der Bitten. Darauf komme ich immer wieder zurück, denn wir werden nur mit Petrus und unter der Leitung des Petrus, verbunden mit dem Bischofskollegium, der Kirche wirksam dienen können. „Wir werden dazu beitragen, die Apostolizität in den Augen aller deutlicher sichtbar zu machen, wenn wir unsere Einheit mit dem Papst, die ja Einheit mit Petrus ist, mit ausgesuchter Treue unter Beweis stellen. Die Liebe zum Heiligen Vater – so schrieb unser Vater – muss eine herrliche Leidenschaft in uns sein, denn in ihm sehen wir Christus. Wenn wir mit dem Herrn im Gebet verkehren, werden wir einen klaren Blick bekommen, der uns auch hinter Ereignissen, die wir vielleicht manchmal nicht verstehen oder die uns Kummer bereiten und die Tränen in die Augen treiben, das Wirken des Heiligen Geistes erkennen lässt.(17)

In der Liebe zum Herrn am Kreuz werden wir die Kraft finden, um ohne Misstrauen und Komplexe die Welt Christus neu zu Füßen zu legen. Das Fest der Kreuzerhöhung, eine Feier der Verherrlichung des Kreuzes, weist genau darauf hin: der Weg zur Herrlichkeit geht über die willentliche und freudige Annahme der physischen und seelischen Widrigkeiten, die Gott in unserem Leben zulässt: per crucem ad lucem, betete unser Vater. Wenn Maria an unserer Seite ist, ist das Kreuz voller Freude; an seinem Holz erblühen Rosen – wie am Holzkreuz in unseren Kapellen –, auch wenn manchmal die Dornen nicht fehlen. So ist trotz unserer Kleinheit die Freude, mit Jesus an der Rettung der Seelen mitzuwirken größer als jeder Schmerz!

In wenigen Tagen werden mich in Rom wie immer viele Aufgaben erwarten, die es anzupacken und durchzuführen gilt. Unter anderem die Vorbereitung der Seligsprechung des lieben Alvaro, auch wenn der Termin noch nicht festgelegt ist. Betet besonders für dieses Anliegen und nutzt die noch ausstehende Zeit, um seine Gestalt und seine Schriften besser zu kennen und sie anderen bekannt zu machen; und auch, um euch dankbar zu zeigen für seine Antwort der uneingeschränkten Treue zur Heiligsten Dreifaltigkeit, zum Geist des Werkes und zu unserem Vater.

Betet auch weiter für die Kranken, für die im Werk und für alle, damit sie es verstehen, sich mit dem Kreuz Christi zu vereinen und so intensiver daran mitwirken, dass die von Christus gewirkte Erlösung allen Menschen zuteil wird.

Solingen, 1. September 2013

© Prælatura Sanctæ Crucis et Operis Dei

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(1) Paul VI., Ansprache zum Abschluss der dritten Konzilsperiode, 21.11.1964, Nr. 25

(2) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 869

(3) Vgl. Joh 2, 11; Mk 3, 13-15

(4) Vgl. Joh 19, 26-27

(5) Vgl. Apg 1, 12-14

(6) Hl. Maximus der Bekenner, Leben Mariens VIII, 97 („Testi mariani del primo millennio“, Roma 1989, Bd. 2, S. 260)

(7) Apg 9, 15

(8) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 863

(9) Hl. Josefmaria, Homilie Loyal zur Kirche, 4.6.1972

(10) Papst Franziskus, Ansprache bei der Generalaudienz, 26.6.2013

(11) Papst Franziskus, Homilie bei der Abschlussmesse des Weltjugendtages in Río de Janeiro, 28.7.2013

(12) Hl. Josefmaria, Homilie Loyal zur Kirche, 4.6.1972

(13) Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 942

(14) Paul VI. Apost. Schreiben Evangelii nuntiandi, 8.12.1975, Nr. 75

(15) Ebd., Nr. 14

(16) Papst Franziskus, Ansprache bei der Generalaudienz, 22.5.2013

(17) Hl. Josefmaria, Homilie, Loyal zur Kirche, 4.6.1972