Auf den erhöhten Herrn schauen

Zum Fest Kreuzerhöhung eine Betrachtung von Josef Arquer

Das Fest „Kreuzerhöhung“ führt uns in die Zeit zurück, da die greise Kaiserin Helena um das Jahr 324 nach Jerusalem pilgerte und Ausgrabungen anordnete, um das Kreuz des Herrn zu finden. Die Tradition des Ortes hatte sich erhalten – nicht zuletzt weil der römische Kaiser Hadrian unbeabsichtigt den heiligen Ort absteckte: Um jede Erinnerung an die Grabstätte Christi auszulöschen, hatte er im Jahre 135 einen Venustempel am Ort der Kreuzigung Jesu errichten lassen.

Nach der Auffindung des Kreuzes blieb dessen Hauptteil in der Obhut des Bischofs von Jerusalem und wurde bei hohen liturgischen Feiern öffentlich zur Schau gestellt. In diesem Zusammenhang entstand die liturgische Feier von „Kreuzerhöhung“. Der Name bezeichnet ursprünglich die Zeremonie, in welcher die Kreuzreliquie zur Verehrung erhoben wurde. Auch heute wird in der Liturgie vom Karfreitag das Kreuz über der ganzen Gemeinde erhoben und zur Verehrung ausgestellt: „Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt. Kommt, lasset uns anbeten.“

Einer der ersten großen Theologen des Altertums, Irenäus von Lyon, schreibt im 2. Jahrhundert: „Der Sohn Gottes – für alle gekreuzigt – hat alles mit dem Zeichen des Kreuzes gezeichnet“. „Alles“ heißt: das gesamte Weltgeschehen, rückwirkend und vorwirkend. Aber es heißt auch: die persönliche Geschichte eines jeden einzelnen.

Die Frage nach Ursprung und Sinn des Leidens bewegt die Menschen seit jeher. Tod und Leid, Unglück und Ungerechtigkeit, Verlassenheit und Not erhalten im christlichen Glauben keine Erklärung, als ginge es um ein Ideensystem, aber einen Sinn: „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20). Das Geheimnis bleibt: „Warum, Herr?“ Antwort erhalten wir, wen wir auf den erhöhten Christus schauen, „am Kreuzesbalken angenagelt, einsam, die Arme in der Haltung des Ewigen Priesters ausgebreitet“ (hl. Josefmaria, Freunde Gottes 240).

Unsere Not und Christi Not

Das Kreuz ist aufgerichtet in der Welt und im Leben eines jeden Menschen. Als Christen bekennen wir, dass mit der ersten Sünde Leid, Tod und Hang zum Bösen in die Welt kamen. Aber: „Du hast das Heil der Welt auf das Holz des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben.“ Und: „Der Feind, der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus.“ (Präfation vom Heiligen Kreuz)

Leid und Schmerz gehören zu unserem Menschsein. Wir müssen nur entdecken, dass unsere Nöte zusammenhängen mit der Not Christi – mit seinem Kreuz. Darin liegt der Kern der Nachfolge: Sich Christus mit allem nähern, was einer hat – auch mit den eigenen Plagen und Lasten. Und dann entdecken, dass die Lasten nicht wegfallen, aber doch aufhören, bedrückend zu sein, weil sie eins werden mit dem Joch Christi. „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). All unsere Nöte stehen in einem Zusammenhang mit dem Kreuz Christi, auch wenn er bisweilen dunkel und unbegreiflich bleibt.

Baum des Lebens

Das Kreuz erscheint in alten Darstellungen oft als Baum, als Baum des Lebens, voller Blätter und Früchte. An uns liegt es, das Symbol konkret werden zu lassen und die Schmerzen, Widerwärtigkeiten, Gebrechen, alltäglichen Widrigkeiten anzunehmen.

Die Kraft des Kreuzes erreicht nicht nur jene, die daran glauben, sondern auch die ehrlich Ahnungslosen, die meinen, in der Sinnlosigkeit einer absurden Welt unterzugehen. Nur wer sich willentlich, verächtlich abwendet, schließt sich aus. „Ausgespannt hat Gott am Kreuz seine Hände, um die Grenzen der Welt zu umarmen“, schreibt mit überraschend modernem Empfinden der Kirchenvater Cyrill von Jerusalem im 4. Jahrhundert.

Wie tief erscheint der Zusammenhang zwischen Leben und Tod, Heil und Sünde in jenen mittelalterlichen Darstellungen, die unter dem Kreuzeshügel den Schädel Adams zeigen: Adam, der erste, Christus, der vollendeten Mensch! Nach der Legende wollte sich der todkranke Adam vom paradiesischen Baum des Lebens die Frucht der Unsterblichkeit holen lassen. Aber es wurde nur ein Samen davon gebracht. Daraus wuchs ein Baum; aus dem Holz dieses Baumes zimmerten die Schergen das Kreuz Christi.

Betrachten wir auch jene andere mächtige Darstellung, die Jahrhunderte später entsteht, den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Dort wird die Gegenwärtigkeit der Passion nicht mehr durch eine Legende ins Bild gebracht, sondern durch die Darstellung der realen Not. Der Leib Christi ist von eitrigen Wunden übersät – so realistisch wie die Wunden der Pestkranken von damals. Und alle, die zu Füßen des Kreuzes stehen, ringen die Hände: die Gottesmutter, Maria Magdalena, der Jünger Johannes. Nur Johannes der Täufer erscheint abgehoben, außerhalb des historischen Augenblicks stehend. Er war nicht Zeuge der Passion, sondern ihr prophetischer Vorbote, wie es das Lamm zwischen ihm und dem Kreuz versinnbildet. Sein ausgestreckter Finger zeigt auf den Gekreuzigten und auf das aufgerichtete Kreuz und auf die schmerzensreiche Mutter.