Betrachtungstext: 14. September – Fest der Kreuzerhöhung

Das Kreuz, Erinnerung an die Liebe Christi – Den Sinn des Kreuzes verstehen – Symbol des Sieges

MIT WORTEN von Paulus führt uns die Kirche in die heutige Liturgie ein: „Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit.“1 Das Fest der Erhöhung des Heiligen Kreuzes ist ein Tag, um mit besonderer Verehrung auf diese Balken zu blicken, die vor Jahrhunderten den Tod bedeuteten, nun aber Leben und Freiheit verkünden. Für Christen ist das Kreuz des Herrn keine Tragödie, sondern Quelle des Heils.

Menschen, die verliebt sind, blicken mit besonderer Zuneigung auf Orte oder Gegenstände, die sie mit dem geliebten Menschen in Verbindung bringen: der Ort, an dem sie sich kennengelernt haben, ein Foto von einem besonderen Moment oder ein Geschenk, das eine Liebeserklärung begleitet hat ... All dies hat einen besonderen Wert. Das Kreuz ist der Ort, an den Jesus sich begab, um sich aus tiefsten Erbarmen auf die Suche nach der verloren gegangenen Menschheit zu machen. An diesem Ort solidarisierte sich der Gottessohn mit den Menschen aller Zeiten, besonders aber mit jenen, die leiden und scheinbar jede Hoffnung verloren haben. Das Kreuz kündet von der besonderen Beziehung, die Christus zu jedem Menschen hat, der sich seinem Trost und seiner Vergebung öffnet.

Auf der Wüstenwanderung blickte das Volk Israel auf eine bronzene Schlange, die an einem Banner hing, um Heilung zu finden (vgl. Num 21,4-9). Wie Jesus dem Pharisäer Nikodemus erklärt, muss in der messianischen Zeit der Menschensohn erhöht werden, genauso wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat (Joh 3,14-15). Wenn wir heute unseren Blick auf das Kreuz richten, wollen wir uns an all das erinnern, was Christus für uns getan hat, beginnend bei jenem Opfer, durch das wir das Leben zurückgewonnen haben.


ES IST NICHT leicht, die wahre Bedeutung des Kreuzes zu erfassen. Petrus liebte den Herrn aufrichtig, doch er verstand nicht auf Anhieb, was dieser mit der Ankündigung seines Leidens meinte, und versuchte sogar, ihn davon abzubringen, sein Leben hinzugeben (vgl. Mt 16,21-23). Erst Jahre später sollte der Apostel die Bedeutung des Wortes zur Gänze verstehen, bis hin zu seiner Bereitschaft, selbst am Kreuz zu sterben.

Der heilige Josefmaria ermutigte uns, im Kreuz eine Einladung zu erkennen, mit Christus eins zu werden. Er lehrte uns, im Holz des Kreuzes nicht nur die Erinnerung an ein vergangenes Ereignis zu sehen, sondern zu entdecken, dass es ein gegenwärtiges Ereignis darstellt, das in unserem Leben zugegen ist: „Du fragst mich: Warum dieses Holzkreuz? – Ich schreibe aus einem Brief ab: ,Wenn ich die Augen vom Mikroskop hebe, fällt mein Blick auf das leere schwarze Holzkreuz. Dieses Kreuz ohne Gekreuzigten ist ein Symbol. (...) Das leere Kreuz bittet um Schultern, die es tragen.‘“2

Für manche scheint das Kreuz zu schweigen und lediglich von Schmerz zu künden. Doch für Christen ist es eine Aufforderung, großzügig zu sein, uns mit Jesus zu vereinen, der auf uns wartet, um uns die gleiche Fähigkeit wie die seine zu verleihen, stets mit Liebe zu leben und den Folgen der Sünde keinen Raum zu geben. Am Kreuz stellt der Herr die verwundete Natur des Menschen wieder her: Angesichts der größten Ungerechtigkeit lässt Jesus nicht zu, dass in seinem menschlichen Herzen Groll, Ungehorsam oder Hass aufkommen. Nur jemand, der die Kraft Gottes hat, ist zu solchem fähig. Der gekreuzigte Christus erschafft den Menschen neu, und dieses neue Leben wird uns in den Sakramenten zuteil. Das Tragen des Kreuzes besteht also nicht nur darin, „die täglichen Drangsale geduldig zu ertragen, sondern“, wie Papst Franziskus darlegt, „auch darin, jenen Teil der Anstrengung und des Leidens mit Glauben und Verantwortung zu tragen, den der Kampf gegen das Böse mit sich bringt (...). So wird die Verpflichtung, ,das Kreuz auf uns zu nehmen‘, zur Teilhabe mit Christus an der Rettung der Welt.“3


DAS KREUZ ERHÖHEN, bedeutet für den Christen, wie es Benedikt XVI. formulierte, „an der Fülle der bedingungslosen Liebe Gottes zum Menschen teilzuhaben“4. Das Kreuz zu umarmen ist ein Akt des Glaubens, den der Jünger vollzieht, um nur aus der Liebe zu leben, die Christus ihm schenkt. Und so erinnert uns der heilige Johannes Chrysostomus daran, dass das Kreuz das christliche Leben begleitet und eine Quelle der Freude ist: „Niemand schäme sich also des ehrwürdigen Zeichens unserer Erlösung, der größten aller Wohltaten, durch die wir leben, durch die wir sind.“5

Vom Kreuz aus zieht der Herr weiterhin eine Vielzahl von Männern und Frauen an sich: Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen (Joh 12,32). Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Leidenschaft und Überzeugung Jesus diese Worte aussprach, als der Zeitpunkt näher rückte, in dem er sein Leben opfern würde. Für ihn ist das Kreuz der Moment des endgültigen Triumphs, der Weg, die Herzen zu gewinnen, die er so sehr liebt. Es ist der Thron, von dem aus er regiert, und der, wie Papst Benedikt ausführte, „den Sieg der Liebe über den Hass, der Vergebung über die Vergeltung, des Dienens über das Herrschen, der Demut über den Stolz, der Einheit über die Spaltung symbolisiert“6.

Wenden wir uns an die Gottesmutter, die es verstand, bei ihrem Sohn am Fuß des Kreuzes auszuharren. „Rufe das heiligste Herz Mariens an mit dem festen Vorsatz, dich mit ihrem Schmerz zu vereinen, als Sühne für deine Sünden und für die Sünden aller Menschen aller Zeiten“, riet der heilige Josefmaria. „Und dieser Schmerz ‒ das erbitte von ihr für jede Seele ‒ möge in uns die Abscheu vor der Sünde vertiefen und uns dazu bereit machen, die körperlichen oder seelischen Belastungen unseres Alltags in Liebe als Sühne anzunehmen.“7


1 Römisches Messbuch, 14. September – Kreuzerhöhung, Eröffnungsvers (vgl. Gal 6,14).

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 277.

3 Franziskus, Angelus-Gebet, 30.8.2020.

4 Benedikt XVI., Ansprache, 14.9.2012.

5 Hl. Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus, 54. Homilie, 4.

6 Benedikt XVI., Ansprache, 14.9.2012.

7 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 258.