Betrachtungstext: 2. Osterwoche – Freitag

Jesus vermehrt die Brote – Die Nöte der anderen dürfen einem Christen nicht entgehen – Die Kirche lebt aus der Eucharistie

DAS JOHANNES-Evangelium berichtet von sieben Wundern des Herrn, darunter die erste Vermehrung der Brote und Fische, eine Passage, die das Passahfest des Herrn und die Einsetzung der Eucharistie vorwegnimmt. Am Ufer des Sees Gennesaret hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, angezogen von diesem Lehrer, dessen Ruf sich wegen seiner Wunder und Lehren verbreitete. Der Herr übersah die Menschenmenge, die ihm folgte, von einer Anhöhe aus. Und er wandte sich an Philippus, der ihm am nächsten stand, und fragte ihn: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben? (Joh 6,5). Philippus‘ erster Gedanke mag gewesen sein, dass der Meister es nicht ganz ernst meinte. Doch dann dürfte er bedacht haben, dass Jesus oft unberechenbar war. Also beschränkte er sich vorsichtshalber darauf, eine grobe Schätzung abzugeben: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll (Joh 6,7). Da meldete sich Andreas zu Wort. Er zeigte etwas mehr Verständnis für den Hunger der Menschen. Doch auch sein Vorschlag betonte vor allem die Unmöglichkeit, etwas dagegen zu tun: Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele? (Joh 6,9)

Der heilige Johannes weist darauf hin, dass Jesus die Apostel zwar heranziehen wollte, selbst aber bereits wusste, was er tun wollte (Joh 6,6). Der heilige Autor hebt hervor, dass es menschlich gesehen unmöglich war, so viele Menschen zu speisen. Und damit wollte er nicht nur die Größe des Wunders hervorheben, sondern vor allem unterstreichen, dass die Erlösung ein Geschenk Gottes ist; es ist kein menschliches Werk, auch wenn der Herr mit den Menschen rechnen will, um es gelingen zu lassen. „Oft habe ich im Laufe der Geschichte des Opus Dei gedacht“, kommentierte der heilige Josefmaria, „dass der Herr die Dinge von Ewigkeit her verfügt hat, uns aber andererseits vollkommen frei lässt. Der Herr scheint uns manchmal prüfen, unseren Glauben testen zu wollen. Doch Jesus Christus lässt uns nicht allein: Wenn wir fest bleiben, ist er bereit, Wunder zu tun, die Brote zu vermehren.“1


LASST DIE LEUTE sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer. Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, soviel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen (Joh 6,10.11). Das Evangelium schildert nicht, wie Jesus dieses Wunder materiell umgesetzt hat. Doch können wir erahnen, dass diese Glaubenserfahrung den Herzen der Apostel eingeprägt bleiben würde. Später, im Licht der Auferstehung, verstanden sie, dass es von nun an so sein würde: Der Herr erwartete von ihnen – wie von jedem von uns –, dass sie ihren Teil erfüllten. Und auch er würde seinen Teil weiterhin erfüllen. Das Handeln Gottes zeigt sich dabei oft nicht in vollem Umfang, und wir erfahren auch nicht, wer eingebunden ist und wohin es führt; dennoch ist es der realere und wichtigere Teil. Durch das Handeln des Menschen innerhalb des Handelns Gottes findet die apostolische Sendung ihre Fortsetzung und wird die Kirche auferbaut.

Es gab jedoch noch eine andere Lektion, die der Herr ihnen mit dieser Brot- und Fischvermehrung erteilte: eine Lektion der Nächstenliebe. Er zeigte ihnen, wie ein Christ auf die geistlichen und materiellen Bedürfnisse der anderen achten und sich ihrer annehmen sollte: zunächst indem er sie wahrnimmt, Mitgefühl zu empfinden weiß und sich um die anderen kümmern möchte; und danach, indem er eine großzügige, proaktive Haltung zeigt. Es reicht nicht, zu denken, dass es zwar schön wäre, dass aber leider nichts unternommen werden kann; gute Gefühle reichen nicht aus. Jesus will, dass jeder tut, was er kann, um konkreten Menschen in schwierigen Lagen zu helfen. Er bringt seine Jünger in die Lage, nach einer Lösung zu suchen, auch wenn es nur eine erste Lösung ist, und sich zu bemühen, einen positiven Prozess in Gang zu setzen. Kurzum, dass sie sich ihr Leben, wenn nötig, verkomplizieren, um anderen zu helfen.

„Dazu sind wir darauf angewiesen“, schrieb der Prälat des Opus Dei, Fernando Ocáriz, „dass der Herr unser Herz weitet und uns ein Herz nach seinem Maß schenkt, damit alle Nöte, Schmerzen und Leiden der Männer und Frauen unserer Zeit, vor allem der Schwächsten, in dieses Herz Eingang finden. In der heutigen Welt hat die Armut viele verschiedene Gesichter: die Kranken und Alten, die Gleichgültigkeit erfahren, die Einsamkeit, die viele verlassene Menschen erleben, das Flüchtlingsdrama, das Elend, in dem ein großer Teil der Menschheit oft als Folge von Ungerechtigkeiten, die zum Himmel schreien, lebt. All dies darf uns nicht gleichgültig lassen. Jeder Christ muss die ,Phantasie der Nächstenliebe‘ in Gang setzen, von der der heilige Johannes Paul II. gesprochen hat, um all unseren Brüdern und Schwestern in ihrer Not den Balsam der Zärtlichkeit Gottes zu bringen.“2


JESUS NAHM die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus (Joh 6,11). Diese von Johannes niedergeschriebenen Worte nehmen die Wandlungsworte vorweg. Kurz darauf gibt Johannes auch noch die Rede Jesu vom Brot des Lebens wieder, in welcher er verspricht, sich selbst als Nahrung für unsere Seelen zu geben.

In der Eucharistie wird etwas Materielles und Kleines, ein wenig Brot und Wein, zu einer übernatürlichen Speise: Leib und Blut Christi, das Brot der Engel, das neue Manna, das dem Volk Gottes, der Kirche, neue Kraft gibt. „Die Kirche lebt von der Eucharistie“3, so beginnt Johannes Paul II. seine Enzyklika Ecclesia de Eucharistia. Und Papst Franziskus sagte in einer Audienz: „Die christliche Gemeinde entsteht immer wieder aufs Neue aus dieser eucharistischen Gemeinschaft. Die Gemeinschaft mit Christus zu leben ist daher etwas ganz anderes als passiv zu bleiben und sich vom täglichen Leben zu entfremden. Im Gegenteil, sie nimmt uns immer mehr in die Beziehung zu den Männern und den Frauen unserer Zeit hinein, um ihnen das konkrete Zeichen der Barmherzigkeit und der Aufmerksamkeit Christi zu schenken. (...). Jesus hat die Menschenmenge gesehen, er hat Mitleid für sie empfunden und hat die Brote vermehrt; dasselbe tut er also durch die Eucharistie. Und wir Gläubigen, die wir das eucharistische Brot empfangen, werden von Jesus dazu angehalten, diesen Dienst zu den anderen zu bringen, mit seinem eigenen Mitleid.“4

„Die Eucharistie kann nie bloß liturgische Handlung sein“, lehrte in diesem Sinn Papst Benedikt. „Sie ist nur ganz, wenn aus liturgischer Agape Liebe im Alltag wird. Im christlichen Kult ist beides eins – das Beschenktwerden durch den Herrn im gottesdienstlichen Akt und der Gottesdienst der Liebe dem Nächsten gegenüber. Bitten wir in dieser Stunde den Herrn, dass wir das ganze Geheimnis der Eucharistie immer mehr zu leben lernen und dass so die Verwandlung der Welt beginne.“5 Bitten wir auch Maria, die, wie Johannes Paul II. sagte, „mit der Kirche und als Mutter der Kirche in jeder unserer Eucharistiefeiern anwesend“6 ist, uns zu helfen, die heiligende Kraft des Altarsopfers in die ganze Welt hinauszutragen.


1 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einer Betrachtung, 1.4.1962.

2 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums.

3 Hl. Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 1.

4 Franziskus, Audienz, 17.8.2016.

5 Benedikt XVI., Predigt, 9.4.2009.

6 Hl. Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 57.