Betrachtungstext: 25. Woche im Jahreskreis – Samstag

Bewunderung für Christus und kontemplatives Leben – Das Kreuz ist immer nahe – Leben als Dialog mit Gott

DER EVANGELIST Lukas stellt fest, dass alle Leute staunten über das, was Jesus tat (Lk 9,43). Es ist nicht schwer, sich die Gründe für diese Reaktion vorzustellen. Denn einerseits sprach der Herr mit einer Bestimmtheit und einem Charisma, die die Menschen faszinierten. Und außerdem beschränkten sich seine Lehren nicht auf Worte, sondern wurden von Taten begleitet: Seine Wunder bekräftigten seinen göttlichen Ursprung, seine Lebensweise spiegelte Gottes Barmherzigkeit wider. Niemand, der Jesus erlebte, konnte gleichgültig bleiben gegenüber seiner einzigartigen Persönlichkeit und seiner herrlichen Botschaft.

Wie bei seinen Jüngern hinterließ Jesus auch bei uns einen tiefen Eindruck; es ist ein Gefühl, das uns in manchen Momenten wie neu erfüllt, wir würden uns wünschen, dass es dauerhaft gegenwärtig bliebe. Bewundern heißt, den Geliebten mit neuen Augen sehen, denn es gibt keine Liebe, die nicht stets eine Spur Neuheit besitzt. Wer verliebt ist, wird nicht müde, den Geliebten zu betrachten; nicht aus Neugier, sondern aus dem Wunsch, seine Kostbarkeit unausgesetzt zu würdigen. Eben darum geht es beim beschaulichen Leben: Jesus nahe zu wissen und nicht müde zu werden, in sein Geheimnis vorzudringen.

Wie in jeder Beziehung, so ist auch das Gebetsleben ein Weg, auf dem wir nur Schritt für Schritt vorankommen. „Zuerst ein Stoßgebet, und dann noch eins, und noch eins ..., bis einem dies ungenügend erscheint, weil Worte unzureichend sind ...“1, so beschrieb der heilige Josefmaria diesen Weg. Ziel ist es, uns Jesu Händen zu übergeben und uns ganz von ihm einnehmen zu lassen: „Man lässt der Vertrautheit mit Gott freien Lauf, ist bei ihm, schaut ihn an, beständig und mühelos. Wir leben dann wie Gefangene, gleichsam in Ketten. Während wir, bei all unseren Fehlern und Unzulänglichkeiten, die Aufgaben und Pflichten unseres Standes so vollkommen wie möglich erfüllen, möchte die Seele entkommen. Sie drängt zu Gott hin, angezogen von ihm wie das Eisen vom Magneten.“2


ES MAG uns überraschen, wie Jesus auf die Bewunderung reagiert, die er ungewollt geweckt hat. Statt sich ihrer staunenden Blicke zu erfreuen, fängt er an, über das Kreuz zu reden, so als wolle er ihnen sagen, dass wahre Beschaulichkeit von einer tiefen inneren Läuterung nicht zu trennen ist: Behaltet diese Worte in euren Ohren: Der Menschensohn wird nämlich in die Hände von Menschen ausgeliefert werden (Lk 9,44).

Christus macht bei zahlreichen Gelegenheiten deutlich, dass „der Glaube“, wie Papst Franziskus sagte, „sich nicht auf einen Zuckerguss reduzieren lässt, der das Leben versüßt“.3 Vielleicht folgten einige von ihnen Jesus mit dem Wunsch, ein angenehmeres Dasein zu erlangen oder einfach sich Teil des Gefolges eines berühmten Propheten zu wissen. Doch das war nicht die Botschaft Christi: Echte Liebe geht Hand in Hand mit der Wahrheit, mit der Realität und kann den Schmerz nicht ausblenden. „Vergesst nicht“, schrieb der heilige Josefmaria: „bei Jesus sein heißt auch, ganz sicher, seinem Kreuz begegnen. Wenn wir uns in die Hände Gottes übergeben, lässt er es häufig zu, dass wir den Schmerz verkosten, die Einsamkeit, Widerwärtigkeiten, Verleumdungen, üble Nachrede, Spott, von innen und von außen; denn er möchte uns nach seinem Bild und Gleichnis ausgestalten.“4

Das Antlitz Christi betrachten, in das Geheimnis seiner Liebe eindringen, bedeutet auch, die Botschaft seiner Wunden vernehmen, uns für den Schmerz seines Herzens öffnen, auch in unseren leidenden Mitmenschen. Deshalb verlangt das betrachtende Gebet, welches laut Papst Benedikt „der Atem der Seele und des Lebens“5 ist, die Praxis der inneren Abtötung: jenes heitere, aber entschlossene Ringen darum, alle unsere Sinne frei zu haben, um sie auf Jesus hinzulenken und die Dinge so zu erleben, wie er sie erlebt. Wenn unser Gebet uns mit Christus vereint, wird es uns auch mit den Problemen der Welt vereinen und sich dieser aus der Perspektive Gottes annehmen.


DOCH DIE JÜNGER verstanden den Sinn seiner Worte nicht; er blieb ihnen verborgen, sodass sie ihn nicht begriffen (Lk 9,45). Die Menge um Jesus herum reagierte irritiert auf seine Worte über das Kreuz. Es erschien ihnen seltsam, dass jemand, der sich als so mächtig erwiesen hatte und sogar Tote auferwecken konnte, von einem leidvollen Ende sprach. Es war ihnen unbegreiflich, wieso Jesus angesichts seines greifbaren Triumphes sein Scheitern voraussah. Seine Worte standen in Widerspruch zu der freudigen und hoffnungsfrohen Stimmung.

Doch statt Jesus ihre Zweifel darzulegen, scheuten sie sich, Jesus zu fragen, was er damit sagen wollte (Lk 9,45). Ihre Bewunderung für den Herrn erwies sich oft als eine Mischung aus oberflächlicher Kenntnis und ängstlicher Ehrfurcht. Was sich Jesus wünscht, ist, dass ihre Betrachtung nicht nur der Eindruck eines flüchtigen Moments, die Emotion eines Augenblicks sein möge, sondern eine tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben bewirke: Er bietet ihnen an, das ganze Leben als einen Dialog mit Gott zu begreifen.

Die Vereinigung unseres Herzens mit dem Herzen von Christus ermöglicht es uns, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Wir entdecken dann selbst zwischen den Schatten der Geschichte und unserer eigenen Biografie Strahlen des göttlichen Lichts. Papst Franziskus erklärt: „Jesus war ein Meister dieses Blicks. In seinem Leben hat es nie an Zeiten, Räumen, Augenblicken der Stille, liebevoller Gemeinschaft gefehlt, die es dem Dasein gestattet, nicht erschüttert zu sein von den unvermeidlichen Prüfungen, sondern die Schönheit intakt zu bewahren. Sein Geheimnis war die Beziehung zum himmlischen Vater.“6 Maria, die Lehrerin des Gebets, möge uns die Gnade vermitteln, ein kontemplatives Herz wie das ihre zu erlangen.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 296.

2 Ebd.

3 Franziskus, Predigt, 15.9.2021.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 301.

5 Benedikt XVI., Audienz, 25.4.2012.

6 Franziskus, Audienz, 5.5.2021.