Betrachtungstext: 26. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Liebe zur Ernte – Apostel im täglichen Leben – Die Nähe Gottes weitergeben

DER HERR wollte, dass seine Jünger seinen brennenden Wunsch teilen, allen Geschöpfen das Evangelium zu bringen. Deshalb schickte er sie bei seinem Dienst mehrmals vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte (Lk 10,1), damit sie den Weg für sein Kommen vorbereiteten. Etwas Ähnliches geschieht heute, jedem einzelnen von uns Christen, sodass wir uns wie die Zweiundsiebzig fühlen, die der Herr aussandte. Das Bewusstsein, von Gott gesandt zu sein, wird uns helfen, unser Herz immer mehr zu weiten, wissend, dass das Evangelium stets ein missionarischer, universaler Ruf ist. Wir können mit einem der alten Väter sagen: „Christ ist mein Name, katholisch mein Zuname.“1 Die Kirche ist katholisch, weil sie für alle ein offenes Herz hat, und das spiegelt sich auch in unserem Dialog mit Gott wider, wie Papst Franziskus sagte: „Unser Gebet darf sich nicht nur auf unsere Bedürfnisse, auf unsere   Notwendigkeiten beschränken: ein Gebet ist wirklich christlich, wenn es auch eine universale Dimension hat.“2

Jesus wollte, dass seine Jünger auch seine Sorge um die Menge der Arbeiter teilen, die auf dem Feld der Welt die Früchte seines Erlösungswerkes ernten sollen. Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! (Lk 10,2). Die Aufforderung mag zunächst seltsam erscheinen: Warum sollten wir, die wir nur Arbeiter sind, den Herrn der Ernte bedrängen, mehr Arbeiter zu schicken? Was macht es schon aus, wenn die Ernte verloren geht, wenn wir in jedem Fall den selben Lohn erhalten?

Jesus möchte, dass die Jünger Liebe zum Land empfinden. Das heißt, dass sie sich nicht darauf beschränken, Rechenschaft über ihr Tun abzulegen, sondern dass sie das Feld der Welt als etwas Eigenes betrachten, als ihr Eigentum. Kurz gesagt, der Herr möchte, dass wir die tiefsten Sehnsüchte seines Herzens teilen, dass wir an seinem Durst nach Seelen teilhaben, der ihn ausrufen ließ: Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! (Lk 12,49). Christus hat, wie der heilige Josefmaria sagte, „Durst nach uns, nach unserer Liebe, nach unserer Seele und nach den Seelen all jener, die wir zu ihm führen sollen über den Weg des Kreuzes, der der Weg der Unsterblichkeit und der himmlischen Herrlichkeit ist“3.


DIE ANWEISUNGEN Jesu für die Zweiundsiebzig (vgl. Lk 10,2-12) enthalten die Richtlinien für unsere Sendung als Christen in der Welt. „Christus beschränkt sich nicht darauf, auszusenden“, erklärt Papst Benedikt, „er gibt den Missionaren auch klare und präzise Verhaltensregeln. Vor allem sendet er sie ,zu zweit‘ aus, damit sie sich gegenseitig helfen und Zeugnis ablegen von der brüderlichen Liebe. Er warnt sie, dass sie wie Schafe mitten unter den Wölfen sein werden: Sie sollen also trotz allem friedvoll sein und in jede Situation eine Botschaft des Friedens bringen; sie werden weder Kleidung noch Geld mit sich nehmen, um von dem zu leben, was ihnen die Vorsehung schenken wird; sie werden sich um die Kranken kümmern als Zeichen der Barmherzigkeit Gottes; wo man sie zurückweisen wird, werden sie weggehen und sich darauf beschränken, vor der Verantwortung zu warnen, die die Ablehnung des Reiches Gottes mit sich bringt.“4

Die ersten Christen waren in der Lage, diese Anweisungen des Herrn zu verkörpern. Sie lebten eine Nächstenliebe untereinander, die bei ihren Zeitgenossen Bewunderung erregte. Sie verstanden es auch, inmitten von Verfolgungen und Widrigkeiten Frieden zu verbreiten, denn sie wussten, dass ihre Namen im Himmel verzeichnet waren (vgl. Lk 10,20). Außerdem sorgten sie dafür, dass es keinem der Brüder am Notwendigen fehlte, und stellten ihren persönlichen Besitz zur Verfügung (vgl. Apg 2,45).

Deshalb richtete der heilige Josefmaria seinen Blick auf die ersten Christen, wenn er von der Heiligkeit im Alltag sprach, denn diese wussten, wie sie den auferstandenen Christus durch ihr tägliches Tun bezeugen konnten: „Führe ein gewöhnliches Leben wie alle. Arbeite da, wo dein Platz ist; sei bemüht, deine Standespflichten zu erfüllen, deine berufliche Arbeit gut zu machen und dabei über dich hinauszuwachsen und jeden Tag besser zu werden. Sei loyal und verständnisvoll zu den anderen und anspruchsvoll zu dir selbst. Suche die Abtötung und sei froh. Das wird dein Apostolat sein. Und obwohl es dir unbegreiflich erscheint, weil du dich armselig siehst, werden deine Mitmenschen dich suchen. Und in einem natürlichen und einfachen Gespräch, nach der Arbeit, bei einem Familientreffen, im Bus, bei einem Spaziergang, überall, werdet ihr von der Unruhe reden, die jeder in seiner Seele trägt, auch wenn manche es nicht wahrhaben wollen. Und sie werden diese besser verstehen, wenn sie Gott wirklich zu suchen anfangen.“5


DIE BOTSCHAFT, die die Jünger zu überbringen haben, ist in erster Linie eine Botschaft der Nähe: Das Reich Gottes ist euch nahe! (Lk 10,9). Diese Verkündigung, die auch in anderen Teilen des Evangeliums wiederkehrt, scheint auf den ersten Blick bloß als eine bedrohliche Aufforderung zur Umkehr angesichts des bevorstehenden Endgerichts. Doch in diesen Worten klingt allem voran die Zärtlichkeit Gottes an, der sich mit der Menschwerdung seines Sohnes einem jeden von uns buchstäblich genähert hat. Papst Franziskus lehrte in diesem Sinn: „Wenn der Gott des Himmels nahe ist, sind wir nicht allein auf der Erde, und selbst in Schwierigkeiten verlieren wir nicht das Vertrauen. Das ist das Erste, was man den Menschen sagen muss: Gott ist nicht weit weg, sondern er ist Vater. (…) Er will dich bei der Hand nehmen, auch wenn du steile und unebene Wege gehst, auch wenn du fällst und es dir schwerfällt, wieder aufzustehen und den Weg fortzusetzen. Er, der Herr, ist da, bei dir. Gerade dann, wenn du am schwächsten bist, kannst du seine Gegenwart stärker spüren.“6

Das ist die Haltung, die Jesus seinen Jüngern vermitteln will: den anderen nahe sein und die Zärtlichkeit und Nähe Gottes über sie ausgießen. Und das nicht nur bei jenen, die die Verkündigung des Evangeliums begeistert aufnehmen, sondern auch bei ihren Verfolgern: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet (Mt 5,44-45). Wie der heilige Josefmaria schrieb: „Klein ist deine Liebe, wenn du nicht alle Menschen retten willst. – Und arm ist deine Liebe, wenn du nicht aus tiefster Seele wünschst, andere Apostel mit deiner Verrücktheit anzustecken.“7 Bitten wir Maria, die Königin der Apostel, uns zu helfen, den Wunsch ihres Sohnes zu teilen, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4).


1 Hl. Pacian von Barcelona, Brief, 1,4.

2 Franziskus, Angelus-Gebet, 7.7.2019.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 202.

4 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 8.7.2007.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 273.

6 Franziskus, Angelus-Gebet, 18.6.2023.

7 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 796.