Betrachtungstext: 6. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Hütet euch vor dem Sauerteig, der andere anklagt – Barmherzige Augen und Ohren – Der Blick auf die Gotteskindschaft

Altes Ruderboot aus Holz mit Seil

DIE JÜNGER steigen mit Christus ins Boot – und zurück bleiben die verstockten Herzen der Pharisäer. Der Herr ist vielleicht mit etwas Kummer an Bord gegangen, wegen der Schwierigkeit, die oft darin liegt, die Herzen der Menschen zu berühren. Und vielleicht schaut er, während er sich auf dem Heck zwischen Netzen und Tüchern niederlässt, mit denen er sich bei Regen schützen kann, zurück ans Ufer: Viele Menschen, die zu retten er gekommen ist, wollten ihm ihre Seele nicht öffnen.

Der Mensch ist ein Wesen in Beziehung“, schrieb Benedikt XVI. in seiner Jesus-Trilogie. „Und wenn die erste, die grundlegende Beziehung des Menschen gestört ist – die Beziehung zu Gott –, dann kann nichts Weiteres mehr wirklich in Ordnung sein. Um diese Priorität geht es in Jesu Botschaft und Wirken: Er will den Menschen zuallererst auf den Kern seines Unheils hinweisen.1 Unsere Aufgabe ist eminent geistlicher Natur; sie zielt darauf ab, mit der Gnade zusammenzuarbeiten, um die Tiefen – zuerst unserer eigenen – Seele zu heilen, damit wir dann dieselbe heilige Medizin unseren Mitmenschen anbieten können. Deshalb macht Christus auf die Haltung der Pharisäer und des Herodes aufmerksam. Gebt Acht, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes! (Mk 8,15), sagt er zu seinen Aposteln, nachdem sie sich vom Ufer weggestoßen haben.

Jene schauten nur auf das Äußere, auf die Einhaltung der Gebote, und so hatten sie sich angewöhnt, andere anzuklagen. Papst Franziskus hingegen betont: „Ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, klage erst dich selber an; (...). Wenn einer nicht dazu imstande ist, sich selbst anzuklagen und erst danach bei Bedarf die Dinge, die die anderen betreffen, den dafür Zuständigen zu sagen, ist er kein Christ; er wird nicht Teil sein dieses wunderschönen Werkes der Versöhnung, der Friedensstiftung, der Zärtlichkeit, der Güte, der Vergebung, der Großherzigkeit und des Erbarmens, das Jesus Christus uns gebracht hat (...). Ersparen wir uns die Kommentare über die anderen und kommentieren wir besser uns selbst.“ Auf diese Weise täten wir, so Papst Franziskus, „den ersten Schritt auf dieser Straße der Großherzigkeit.“2


JESUS BLICKT voller Zuneigung auf die Menschen, die er selbst erwählt hat. Nachdem er sie vor dem Sauerteig der Pharisäer gewarnt hat, stellt er ihnen eine offene Frage: Was macht ihr euch darüber Gedanken, dass ihr keine Brote habt? Begreift und versteht ihr immer noch nicht? (Mk 8,17). Und die Apostel zucken vielleicht mit den Schultern, als wollten sie sagen: Meister, nein, ich kann dem Gedankengang nicht folgen. Und Christus fragt weiter: Ist denn euer Herz verstockt? Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören? (Mk 8,18).

Der Herr stellt eine Verbindung her zwischen dem Herzen einerseits und der wahren Fähigkeit zu sehen und zu hören andererseits. Wenn das Herz verhärtet ist, sieht man alles mit menschlichen Augen, hört nur das, was man hören will, und verliert am Ende den übernatürlichen Horizont der Gnade. Es kann vorkommen, dass wir trotz der Gegenwart des Herrn im Boot von Entmutigung erfasst werden, weil wir denken, dass uns etwas fehlt oder überhaupt alles anders sein sollte. Dann ist der Moment gekommen, um den Blick und das Ohr Jesu zu suchen und zu bedenken, dass sein Herz immer offen war für den Dialog mit seinem Vater und dafür, von seinen Mitmenschen herausgefordert zu werden.

„Übernatürliche Sicht! Ruhe! Frieden!“, empfahl der heilige Josefmaria. „Betrachte die Dinge, die Menschen, die Ereignisse ... auf diese Weise, gleichsam mit Blick auf die Ewigkeit.3 Wenn wir versucht sind, über das, was uns umgibt, zu richten, mögen wir uns daran erinnern, dass „wir gerufen sind, auf der Erde zu bleiben und gleichzeitig zum Himmel emporzuschauen, unsere Aufmerksamkeit, unsere Gedanken und unser Herz auf das unaussprechliche Geheimnis Gottes zu richten. Wir sind gerufen, auf die göttliche Wirklichkeit hinzublicken, auf die der Mensch seit seiner Erschaffung ausgerichtet ist. In ihr ist der endgültige Sinn unseres Lebens enthalten.4 Dann werden wir nach und nach einen barmherzigen Blick und ein barmherziges Zuhören entwickeln, das mehr und mehr dem Blick und dem Zuhören von Christus ähnelt.


WÄHREND unseres Lebens stoßen wir oft an unsere Grenzen, selbst in Momenten größter Nähe zum Herrn. „Seien wir immer gelassen“, schrieb der heilige Josefmaria. „Wenn wir in Frömmigkeit und Aufrichtigkeit leben, werden wir keine dauerhaften Drangsale haben und werden jene gänzlich verschwinden, die wir uns manchmal erfinden, weil sie objektiv nicht existieren. Wir werden in Freude und Frieden leben, in den Armen der Gottesmutter, als ihre kleinen Kinder, denn das sind wir. Von Zeit zu Zeit erlebt jeder in seiner inneren Welt einen kleinen Konflikt, den der Stolz aufbläht, um ihm Bedeutung zu verleihen und unseren Frieden zu stören. Achtet nicht auf diese Kleinigkeiten, sondern sagt stattdessen: Ich bin ein Sünder, der Jesus Christus liebt.5

Der Herr warnt seine Jünger immer wieder davor, in jene rein menschliche Sichtweise zu verfallen, der die wahre Größe seiner Heilssendung völlig entgeht. „Aber wenn wir uns vor Gott stellen“, so sagte Papst Franziskus, „ändert sich die Perspektive. Wir können nicht anders als zu staunen, dass wir trotz all unserer Schwächen und Sünden für ihn Kinder sind, die schon immer und für immer geliebt sind.6 Und der heilige Josefmaria weist uns auf die Gotteskindschaft hin, die unser ganzes inneres Leben erfüllt: „Durch sie lernen wir, mit unserem himmlischen Vater umzugehen, ihn zu kennen, ihn zu lieben. Sie gründet unseren inneren Kampf auf Hoffnung und schenkt uns die vertrauensvolle Einfachheit kleiner Kinder. Mehr noch: Gerade weil wir Kinder Gottes sind, betrachten wir alle Dinge mit Liebe und Bewunderung, die aus der Hand des göttlichen Vaters und Schöpfers hervorgegangen sind.7

Die Jünger machen sich Sorgen, weil sie kein Brot dabei haben, doch Jesus erinnert sie daran, dass sie bei ihm sind und dass er es vermehren kann, wann immer er will. Wir bitten unsere Mutter, unseren Blick zu klären, um immer übernatürlicher zu werden und die Augen und Ohren eines Kindes Gottes zu haben.


1 Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten, Herder, Freiburg 2012, S. 53.

2 Franziskus, Predigt, 11.11.2015.

3 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 996.

4 Benedikt XVI., Predigt, 28.5.2006.

5 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 15.

6 Franziskus, Ansprache, 6.12.2021.

7 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 65.