Brief des Prälaten (August 2012)

"Wir wollen auf das Vorbild achten, das die selige Jungfrau Maria in ihrem Verhalten für uns darstellt", sagt der Prälat des Opus Dei in seinem Brief, in dem das Fest Maria Himmelfahrt im Mittelpunkt steht.

In diesem Monat zieht das Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel, das die Kirche am 15. Au­gust feiert, unser Herz und unsere Aufmerksamkeit an. Wenn wir die Schönheit unserer von Gott in Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommenen Mutter Maria betrachten, entbrennt unsere kindliche Liebe noch mehr vor ihrer hohen Gestalt. Angesichts unserer Bedürf­tigkeit und Nichtigkeit bitten wir sie zusammen mit der Kirche: da manum lapsis, fer opem cadúcis 1. Sie kommt den Gefallenen zu Hilfe, sie rettet die Gebrechlichen. Wiederholen wir dann mit der Dankbarkeit von Töchtern und Söhnen, während wir den Inhalt tief betrachten, wie es der Heilige Josefmaria tat: „Mutter! Unsere Mutter! Meine Mutter!“

Die erste Lesung der Hl. Messe stellt uns die Szene vor Augen, die Johannes in der Geheimen Offenbarung beschreibt: Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar (...). Dann erschien ein großes Zeichen am Him­mel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt 2. Benedikt XVI., für dessen Person und Anliegen wir mehr beten wollen, führt zu dieser Passage der Heiligen Schrift aus: „Welche Bedeutung hat die Lade? Was wird sichtbar? Für das Alte Testament ist sie das Symbol der Gegenwart Gottes unter sei­nem Volk. Aber das Symbol hat nunmehr der Wirklichkeit Platz gemacht. So sagt uns das Neue Testament, dass die wahre Lade des Bundes eine lebendige und konkrete Person ist: die Jungfrau Maria. Gott wohnt nicht in einem beweglichen Möbelstück, Gott wohnt in einer Person, in einem Herzen: in Maria, die den menschgewordenen ewigen Sohn Gottes, Jesus, unseren Herrn und Erlöser, in ihrem Schoß getragen hat“ 3.

            In ihr werden durch die Menschwerdung des Logos in ihrem reinen Schoß die Verheißun­gen Gottes an das alte Volk Israel vollständig erfüllt. Gott hat einen neuen und endgültigen Bund geschlossen, nicht mit einer Nation, sondern mit der ganzen Menschheit, nicht auf dem Berg Sinai, sondern im unbefleckten Schoß Mariens, in dem das Wort Fleisch wurde, um unter uns zu wohnen. Danken wir Unserer Lieben Frau dafür, dass sie durch ihre Demut, durch ihren Gehor­sam und ihre Reinheit mit Gottes Ratschluss auf vollkommene Weise mitgewirkt hat. Bitten wir sie darum, dass ihre Kinder – die Frauen und Männer aller Zeiten – ihrem Vorbild dadurch folgen wollen, dass wir uns mit Gottes Hilfe um die Tugenden bemühen, die in unserer Mutter glänzen.

            Aus Anlass dieses Hochfestes lade ich Euch dazu ein, den Lehren des Heiligen Vaters und dem Beispiel des Hl. Josefmaria folgend, Euch einige Konsequenzen vor Augen zu führen, die wir beim Betrachten dieser Szene ziehen können.

            Der Autor des Hebräerbriefes erinnert daran, dass das wichtigste Zelt im alten Jerusalemer Tempel, das Allerheiligste, den goldenen Rauchopferaltar und die ganz mit Gold überzogene Bundeslade (enthielt); darin waren ein goldener Krug mit dem Manna, der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte, und die Bundestafeln 4. Verbleiben wir bei der Bundeslade, einem Symbol für Maria. Dass sie sich am heiligsten Ort im Tempel befand, zeugt von der besonderen Nähe und Vertrautheit Marias mit Gott:Größer als du ist nur Gott!5, rufen wir zusammen mit dem heiligen Josefmaria freudig aus – aus einem Bedürfnis heraus, das wir spüren. Die Gesetzestafeln, die Gott Moses übergab, drückten den göttlichen Willen aus, den Bund mit seinem Volk zu erhalten, sofern es dem Bündnis treu bleiben sollte. Wie die Heilige Schrift beschreibt, wurde Israel wie­derholt untreu, obwohl es der Herr umsorgte. Dies trifft jedoch auf die Mutter Gottes nicht zu. Denn, so der Papst, „Maria ist die Lade des Bundes, weil sie Jesus in sich aufgenommen hat. Sie hat das lebendige Wort in sich aufgenommen, alles, was im Willen Gottes, in der Wahr­heit Gottes enthalten ist; sie hat denjenigen in sich aufgenommen, der der neue und ewige Bund ist. Dieser Bund hat seinen Höhepunkt gefunden in der Hingabe seines Leibes und seines Blutes: des Leibes und des Blutes, die er von Maria empfangen hat“ 6.

Darin wird eine erste Lehre der Gottesmutter deutlich, die wir tiefer beherzigen möchten, um sie dann in die Tat umzusetzen: die Einladung, täglich die größtmögliche Vereinigung mit dem heiligen Willen Gottes zu suchen, in den angenehmen Augenblicken und besonders auch in dem, was schwer fällt und Opfer verlangt. Die Treue zum Willen Gottes unter Mühe bereitenden Bedingungen stellt die Redlichkeit unserer Absicht sowie die Festigkeit unseres Wunsches, Jesus aus der Nähe zu folgen, unter Beweis. Erinnert Ihr Euch an jene Worte, die der hl. Josefmaria in einem Gebet an den Heiligen Geist aussprach: „Ich will, was Du willst. Ich will, weil Du willst. Ich will, wie Du willst. Ich will, wann Du willst ...?“ 7

Auf diese Entscheidung zur Treue geht er erneut ein, wenn er schreibt: „Sicherlich hast du schon einmal mit einem Anflug von heiligem Neid an jenen jugendlichen Apostel gedacht, quem diligebat Iesus – den Jesus liebte..

Würde es dir nicht gefallen, dass man auch dich etwa so charakterisieren könnte: „der den Willen Gottes liebt“? Sorge tagtäglich dafür, dass es so ist.“ 8

Dieses Streben wird Wirklichkeit, wenn wir in allen Augenblicken eines jeden Tages, an­gefangen bei den kleinsten, die Identifikation mit dem Herrn suchen. „Für einen Liebenden gibt es keine unbedeutenden Dinge“, so unser Gründer. „Die Liebe vergrößert unsere Taten so, dass das Kleinste den Rang des Heroischen erreichen kann. Wie wertvoll werden die Treue in die­sen Dingen und die beständigen kleinen Abtötungen in den Augen Gottes! Sie verwandeln den Willen, machen Deine Seele groß. Und mit Deiner Treue in den kleinen Pflichten trägst Du dazu bei, den anderen das Leben angenehmer zu machen“. 9

Unsere Liebe Frau verhielt sich stets so. Wir können es insbesondere bei der Menschwer­dung und unter dem Kreuz feststellen, als sie Zeugin des Leidens und des Sterbens ihres Sohnes wurde. Mit derselben Leidenschaft liebte sie den Willen Gottes aber auch in allen anderen Um­ständen ihres Lebens: Wenn sie sich um den Haushalt in Nazaret kümmerte, wenn sie sich der Menschen annahm, die sie um ihren Rat oder um Trost ersuchten, bei den Gesprächen mit Jesus und ihren Verwandten über alle möglichen Themen – jederzeit und immer. Auch bei diesen Ge­legenheiten wuchs die Gnade ständig, von der Maria vom ersten Augenblick ihrer Unbefleckten Empfängnis an erfüllt war, in dem Maße ihrer vollständigen Antwort auf die Einsprechungen des Heiligen Geistes.

Außer den Gesetzestafeln wurde in der Bundeslade ein Teil des Manna aufbewahrt, mit dem Gott das Volk während dessen Pilgerschaft in der Wüste gespeist hatte. Diese Speise – so hat es Jesus selbst in der Rede über das Brot des Lebens in Kafarnaum erklärt 10 – war ein Zei­chen für die Eucharistie, den wahren Leib und das wahre Blut Christi, die wir unter dem Schleier des Sakraments in unseren Tabernakeln aufbewahren, um den Herrn anzubeten und uns aus die­sem großen Schatz zu ernähren. Er ist für uns, die wir zur ewigen Wohnung unterwegs sind, zum neuen Manna geworden.

            Wir wollen auf das Vorbild achten, das die selige Jungfrau Maria in ihrem Verhalten für uns darstellt. Wer auf Erden hat einen feinfühligeren und liebevolleren Umgang mit Jesus gehabt als sie? Wer achtete mehr als sie auf Jesus in den langen Jahren seines verborgenen Lebens sowie in seinem öffentlichen Leben? Wer hat ihn mit größerer Inbrunst in der heiligen Kommunion empfangen, nachdem der Herr in den Himmel aufgefahren und die unvergleichliche Gabe seines Opfers und seiner sakramentalen Gegenwart in die Hände der Apostel und ihrer Nachfolger im Priestertum gelegt hatte? Wahrlich, Maria ist nach den Worten des seligen Johannes Paul II. die eucharistische Frau schlechthin.

Verweilt bei einer weiteren Lehre, die wir uns beim Betrachten Mariens als foederis arca, der wahren Bundeslade, aneignen können, und zu der uns die Liturgie des Hochfestes anhält. Von Maria lernen wir einen intensiveren und tieferen Umgang mit Jesus im Wort und in der Eucha­ristie, in der Lesung und Betrachtung der Heiligen Schrift sowie in der Teilnahme oder Feier der Heiligen Messe und in der Kommunion. Denn „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, sagt der Herr. – Brot und Wort: Hostie und Gebet.

Sonst lebst du nie ein übernatürliches Leben.“11

Das Hochfest am 15. August erinnert uns, die Töchter und Söhne Gottes in seinem Werk, an dasselbe Datum im Jahre 1951, als der heilige Josefmaria, von einer von Gott in seine Seele eingegebenen übernatürlichen Unruhe getrieben, nach Loreto zur Casa Santa fuhr, um dem lie­benswerten und unbefleckten Herzen Mariens das Opus Dei zu weihen.

            Unser Vater sprach häufig von jenen Umständen, in denen die mütterliche Sorge Unserer Lieben Frau besonders greifbar wurde. Er erinnerte sich unter anderem an den tiefen Eindruck, den die Inschrift auf dem Altar – hic Verbum caro factum est, hier ist das Wort Fleisch geworden – bei ihm hinterließ. Gleichzeitig dachte er aber auch an die Sicherheit, von Gott erhört worden zu sein, die diese Worte in sein Herz einflößten. Anschaulich erwähnte er dies Jahre später: „Hier, in einem Haus von Menschenhand erbaut, auf einem Fleck unserer Erde, hat Gott gewohnt (...). Heute noch empfinde ich die Ergriffenheit von damals. Gern würde ich wieder Loreto besuchen, und in Gedanken gehe ich dorthin, um die Kindheit Jesu nachzuerleben, während ich dieses Hic verbum caro factum est betrachte.“12

Seine Verehrung der Gottesmutter war schon immer groß gewesen. Seitdem nahm sie womöglich noch stark zu. Und sie hörte nicht mehr auf, bis zu seinem Übergang ins himmlische Haus weiter zu wachsen. Nun möchte ich Euch einen weiteren Ausdruck der unter der Führung des Heiligen Geistes gewachsenen, kindlichen Marienverehrung unseres Gründers betrachten lassen. Es handelt sich um die Worte, die er am 23. August 1971, dem Tag nach dem Fest des Unbefleckten Herzens Mariens, das damals am 22. August gefeiert wurde, tief in seiner Seele vernahm: adeamus cum fiducia ad Thronum gloriæ, ut misericordiam consequamur.

Unser Vater hielt sich im Norden Italiens auf, wo er arbeitete und sich erholte. In diesen Jahren betete er besonders intensiv für die Kirche, für den Papst, für das Werk, für alle Men­schen. „Früher bat ich nicht“, so hatte er sich uns im April 1970 anvertraut. „Denn ich meinte, es sei besser, mich vertrauensvoll Gott zu überlassen. Damals, in den ersten Zeiten, war dies richtig, weil dadurch deutlich wurde, dass alles von Ihm kam. Jetzt aber meine ich, dass ich bitten muss. Ich verstehe besser die ganze Kraft der Worte des Herrn: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch aufgetan (Mt 7, 7). Ich bin davon überzeugt, dass man viel beten muss. Und ich möchte mein Gebet in die tausend Mal gebenedeiten Hände der Mutter Gottes legen.“ 13

Wenige Wochen später, am 6. August 1970, bekräftigte ihn der Herr darin. Er drängte ihn zu einem unaufhörlichen Gebet: Clama, ne cesses!, erklangen in der Seele des heiligen Josef­maria die Worte des Propheten Jesaja wie ein Echo14. Nach dieser göttlichen Eingebung begann er mit einer Reihe von Besuchen bei verschiedenen Marienheiligtümern in Europa und Amerika. Wie ich Euch gerade geschrieben habe, erhielt er am 23. August 1971 die Bestätigung, dass es nötig war und ist, sich an Maria zu wenden, damit sein Gebet erhört wird.

An diesem Tag, als er wie immer Don Alvaro und mir sein Herz öffnete, sagte er zu uns: „Während ich heute morgen frühstückte, hat mir der Herr diese Worte in den Kopf gelegt. Sie sind gleichsam eine Antwort auf das kollektive Rufen, das am gestrigen Fest des Unbefleckten Herzens Mariens, zum Himmel emporgestiegen sein wird. Denn alle werden viel gebetet haben. Wir müssen bitten und uns dabei der Barmherzigkeit Gottes anvertrauen. Wir könnten nicht um die Gerechtigkeit beten! Wenn wir Gottes Gerechtigkeit erahnen können, wären wir niedergeschlagen. Wir könnten den Kopf nicht erheben, so unendlich ist seine Vollkommen­heit! Wir sollen uns an seine Barmherzigkeit wenden. Das arme menschliche Herz bittet so­fort, als hätte es einen Rechtsanspruch. Wir haben jedoch gar keinen Anspruch! Wir können aber auf die Fürsprache Mariens Vertrauen schöpfen, weil seine Barmherzigkeit so unendlich ist, dass er seine Kinder gar nicht unerhört lassen kann, besonders wenn sie sich durch seine Mutter an ihn wenden“.15

Ich habe Euch diese vertraulichen Mitteilungen unseres Vaters weitergegeben in dem Wunsch, dass wir sie uns zu eigen machen. Ihr werdet schon gemerkt haben, dass ich viel über das Gebet schreibe, weil dies die sichere Art und Weise ist, die Gnaden zu erhalten, die die Kir­che, der Papst, das Werk, die Menschen, eine jede und ein jeder von uns nötig haben. Wir wollen uns tagtäglich darum bemühen, nicht nur die Betrachtung morgens und nachmittags so gut wie möglich zu halten, sondern darüber hinaus für so viele Anliegen zu bitten. Mit Glauben, mit Demut, mit Beharrlichkeit, mit beständigem Frieden und Freude, denn wir sind Kinder Gottes und Kinder der Gottesmutter, und wir werden immer Sieger sein.

Am vergangenen 11. Juli konnte ich nach Fatima fahren, zur capelinha, mit Euch allen verbunden. Wir haben vereint mit Euren Anliegen gebetet. Wir haben für die Kirche, für den Papst und seine Mitarbeiter, für das Werk und für alle Menschen gebetet. Es war einfach, an die Gelegenheiten zu denken, als unser Vater dort – nach seinen Worten – „Zuflucht“ fand, um jede einzelne Tochter, jeden einzelnen Sohn von damals und aus den künftigen Zeiten zu begleiten. Wie herrlich ist es, bei der Mutter Gottes zu sein!

Ich habe sehr viel Arbeit in den Händen, auch im Monat August. Helft mir, durch Eure ständige Vereinigung, diese Beschäftigungen voranzubringen. Ich schlage Euch vor, noch einmal zu lesen und zu betrachten, was unser Vater in Bezug auf die Erhöhung der heiligen Hostie am 7. August 1931 schrieb 16, weil bei den Frauen und Männern, die Christus an die Spitze jeder menschlichen Tätigkeit stellen sollen, auch Du, meine Tochter, mein Sohn, bist: prüfe langsam, wie Du es erfüllst.

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1. STUNDENGEBET, Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel, Hymnus zur Ersten Vesper. Allerdings steht im deutschen Stundenbuch ein ganz anderer Hymnus, weswegen diese Worte aus dem Spanischen übersetzt wurden (A.d.U.).

2. RÖMISCHES MESSBUCH, Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel, Erste Lesung (Ap 11, 19-12, 1).

3. BENEDIKT XVI., Ansprache am Hochfest Mariä Himmelfahrt, 15.08.2011.

4. Hbr 9, 4.

5. HL. JOSEFMARIA, Der Weg, Nr. 496.

6. BENEDIKT XVI., Ansprache am Hochfest Mariä Himmelfahrt, 15.08.2011.

7. HL. JOSEFMARIA, Handschriftliche Notiz, April 1934.

8. HL. JOSEFMARIA, Im Feuer der Schmiede, Nr. 422.

9. HL. JOSEFMARIA, Notizen aus einer 1945 gehaltenen Betrachtung.

10. Vgl. Joh 6, 26-59.

11. HL. JOSEFMARIA, Der Weg, Nr. 87.

12. HL. JOSEFMARIA, Christus begegnen, Nr. 12-13.

13. HL. JOSEFMARIA, Notizen von einer Wallfahrt nach Fatima, 14.04.1970.

14. Vgl. Is 58, 1 (Vg).

15. Zit. in JAVIER ECHEVARRÍA, Memoria del Beato Josemaría, S. 185.

16. Vgl. HL. JOSEFMARIA, Apuntes íntimos, 07.08.1931, Nr. 217 (vgl. A. VÁZQUEZ DE PRADA, „Der Gründer des Opus Dei”, Bd. I, S. 369).