Brief des Prälaten (Juli 2010)

Die Arbeit in Gebet verwandeln: das ist die Kernbotschaft, an die in den Bildungsveranstaltungen des Opus Dei erinnert wird. Der Brief des Prälaten im Monat Juli geht darauf ein.

Es sind nun schon fünfunddreißig Jahre her, dass Gott unseren Vater am 26. Juni 1975 rief, auf immer seine Gegenwart im Himmel zu genießen. Wie bei den früheren Jahrestagen haben zahlreiche Menschen an den Messen zu Ehren des hl. Josefmaria teilgenommen, die anlässlich seines Festes auf der ganzen Welt gefeiert wurden. Überall wurde Gott aus ganzem Herzen dafür gedankt, dass er der Welt und der Kirche einen Hirten wie unseren heiligen Gründer geschenkt hat, ein Vorbild christlichen Lebens und ein mächtiger Fürsprecher für all unsere geistlichen und materiellen Bedürfnisse.

Jetzt stellt der gerade begangene Jahrestag eine Gelegenheit dar, die Botschaft, die der hl. Josefmaria dem Willen Gottes gemäß unter Frauen und Männern verbreitet hat, tiefer zu betrachten. Wir können wirklich heilig werden, das heißt wir können die Fülle der Liebe, die vollkommene Vereinigung mit Gott, erreichen, indem wir uns loyal und gewissenhaft in unserer beruflichen Arbeit und in den normalen Lebensumständen verhalten.

Machen wir uns noch einige Gedanken zum Kern dieser Lehre, zur Notwendigkeit, die Arbeit – jede Arbeit, egal ob manuell oder intellektuell – in Gebet zu verwandeln. Das Evangelium stellt ganz klar heraus, dass man allzeit beten und darin nicht nachlassen sollte[1]; und Paulus bezieht sich auf diese Lehre, wenn er sagt: sine intermissione orate[2], betet ohne Unterlass. Seine Empfehlung hat den Charakter eines Gebotes. Aber es wäre nicht möglich, diese Aufforderung zu verwirklichen, wenn wir sie falsch verstehen würden, als müssten wir beständig innerlich oder mit Worten beten, denn das ist aufgrund unserer irdischen Existenzbedingungen unmöglich. Die Erfüllung der uns anvertrauten Aufgaben in der Familie, im Beruf, auf gesellschaftlicher Ebene, im Sportbereich usw. nimmt unser Gedächtnis oder unseren Verstand oft völlig in Anspruch und erfordert einen starken Willenseinsatz; und dabei haben wir noch nicht in Betracht gezogen, dass wir die nötigen Stunden schlafen müssen. In diesem Zusammenhang rufe ich die große Freude des hl. Josefmaria in Erinnerung, der jahrelang gelehrt hatte, dass wir selbst den Schlaf in Gebet verwandeln können, und der dann auf einen Text des hl. Hieronymus stieß, in dem dieselbe Idee formuliert ist[3].

Aber betrachten wir diese dringende Aufforderung des Meisters in all ihrer Tiefe. Er lädt uns ein, aus unserer ganzen Existenz in all ihren Dimensionen ein beständiges Bittgebet zu machen: ein Gebet, „beständig wie das Pochen des Herzens“[4], auch wenn es sich häufig nicht in Worten äußert. So lehrte es der hl. Josefmaria seine Töchter und Söhne und alle Menschen, die sich nach dem Geist des Werkes heiligen möchten. Er sagte immer wieder: „Die Waffe des Opus Dei ist nicht die Arbeit, sondern das Gebet. Daher verwandeln wir die Arbeit in Gebet und haben eine beschauliche Seele“[5].

Die Arbeit in Gebet umwandeln. Der tägliche Versuch, in den unterschiedlichsten Umständen als beschauliche Frauen und Männer zu leben, weist uns auf das hohe Ziel der Heiligkeit hin, das – davon sollten wir überzeugt sein – mit Hilfe der Gnade erreichbar ist. „Es ist notwendig, eine Spiritualität zu leben, die den Gläubigen hilft, sich durch ihre Arbeit zu heiligen“[6], sagte der Papst in Bezug auf den hl. Josef. Nur wenn sie die gewöhnliche Arbeit mit ihrem Wunsch hach Heiligkeit verbinden, ist es für die Mehrzahl der Christen möglich, ernsthaft nach der Fülle des christlichen Lebens zu streben.

Ich erinnere mich gut an die tief empfundene Dankbarkeit, die unser Vater zum Ausdruck brachte, wenn er die Briefe seiner Töchter und Söhne las. Er war sehr bewegt, wenn ein einfacher Landwirt, ein Gläubiger des Werkes, ihm schrieb, er würde, sobald er frühmorgens aufgestanden sei, Gott bitten, unser Vater möge sich im Schlaf erholen. Und wenn er dann hinzufügte, er bete Memorare und andere Gebete, während er mit seinem Traktor die Furchen im Acker zog. Unser Gründer genoss es, diesen Beweis für die Wirklichkeit eines beschaulichen Lebens bei der Feldarbeit feststellen zu können.

In seinem apostolischen Schreiben vom Beginn des neuen Jahrtausends, in dem er uns zur Heiligkeit einlud, drückte sich der Diener Gottes Johannes Paul II. folgendermaßen aus: „Dieses Ideal der Vollkommenheit darf man nicht falsch verstehen, als sei es eine Art außerordentlichen Lebens, das nur von einigen »Genies« der Heiligkeit geführt werden könnte. Die Wege der Heiligkeit sind vielfältig, und der Berufung eines jeden angepasst. (...) Es ist jetzt an der Zeit, allen mit Überzeugungskraft diesen »hohen Maßstab« des gewöhnlichen christlichen Lebens neu vor Augen zu stellen. Das ganze Leben der kirchlichen Gemeinschaft und der christlichen Familien muss in diese Richtung führen.“[7]

Unser Vater kam wiederholt auf diese Lehre zurück, und erklärte: „Die Beschaulichkeit ist keine Sache von Privilegierten. Es gibt Leute“ – er benutzte ein graphisches Beispiel, damit es sich den Zuhörern gut einprägte – „mit elementaren religiösen Kenntnissen, die meinen, dass beschauliche Menschen den ganzen Tag in einer Art Extase verbringen. Und das ist ziemlich naiv. Die Mönche im Kloster haben den ganzen Tag über tausend Dinge zu tun: Sie reinigen das Haus und widmen sich den Aufgaben, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Oft schreiben mir Mönche und Nonnen aus kontemplativen Orden, dass sie das Werk schätzen und lieben und viel für uns beten. Sie verstehen, was viele Leute nicht verstehen, nämlich unser Leben als kontemplative Laien mitten in der Welt, mitten in den irdischen Tätigkeiten. Unsere Zelle ist auf der Straße, da sind wir eingesperrt. Wo wird das Salz verwahrt? Wir müssen versuchen, dass es nichts Fades gibt, und deswegen sind alle Dinge dieser Welt der Ort unserer Abgeschiedenheit.“[8]

So wie der Körper die Luft zum Atmen und den Blutkreislauf zum Leben braucht, so braucht die Seele den Kontakt zu Gott während der vierundzwanzig Stunden des Tages. Daher ist die echte Frömmigkeit ein Antrieb, alles auf Gott zu beziehen: die Arbeit und die Erholung, die Freuden und Leiden, die Erfolge und die Misserfolge, Schlafen und Wachen. Wie Don Alvaro 1984 schrieb: „Zwischen den irdischen Beschäftigungen und dem geistlichen Leben, zwischen der Arbeit und dem Gebet, darf es nicht nur einen mehr oder weniger gelungenen ‚Waffenstillstand’ geben; es muss volle Einheit herrschen, eine Verschmelzung, die nichts ausnimmt. Die Arbeit nährt das Gebet und das Gebet durchtränkt die Arbeit.“[9]

Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es neben der Hilfe der Gnade eine ununterbrochene persönliche Anstrengung, die sich häufig in Kleinigkeiten äußert, zum Beispiel darin, ein Stoßgebet oder ein kurzes mündliches Gebet zu sagen, wenn man den Platz wechselt oder eine Pause macht; dem Kreuz oder dem Muttergottesbild, für das wir an unserer Arbeitsstelle einen diskreten Platz gefunden haben, einen liebevollen Blick zu schenken, usw. Das alles hilft uns, in der Seele eine Grundausrichtung auf Gott lebendig zu halten, die wir täglich durch die Messe und die Zeit, die wir eigens dem Gebet widmen, aufrecht zu erhalten suchen. Und auch wenn wir meistens auf die vielfältigsten Tätigkeiten konzentriert sind, weil der Verstand ganz in die Verwirklichung der anstehenden Aufgaben eintaucht, bleibt unsere Seele doch nah beim Herrn und verweilt mit ihm in einem Dialog, der nicht aus Worten und vielleicht nicht einmal aus bewussten Gedanken besteht, sondern aus Erhebungen des Herzens, aus dem Wunsch, alles bis ins Kleinste aus Liebe zu tun. Und gleichzeitig opfern wir unsere Beschäftigung Gott auf.

Wenn wir so zu leben versuchen, wird die berufliche Arbeit zu einer Arena, wo die unterschiedlichsten menschlichen und übernatürlichen Tugenden zum Tragen kommen: die Arbeitsamkeit, die Ordnung, die Ausnutzung der Zeit, die Stärke, um die jeweilige Aufgabe zu Ende zu führen, die Sorge um die kleinen Dinge... – und dazu viele Zeichen der Aufmerksamkeit den anderen gegenüber, die ein Beweis aufrichtiger und feinfühliger Liebe sind.

„Glaubt mir, es ist gar nicht so schwierig, die Arbeit in einen Dialog des Gebetes zu verwandeln. Indem wir sie dem Herrn aufopfern und uns ans Werk machen, hört Gott uns schon, hilft Er uns schon. Inmitten unserer täglichen Arbeit nehmen wir so die Lebensweise beschaulicher Seelen an. Die Gewissheit, dass Gottes Blick auf uns ruht, erfüllt uns mehr und mehr; vielleicht erbittet der Herr jetzt eine Überwindung von uns, ein kleines Opfer, vielleicht das Lächeln für einen Menschen, der ungelegen kommt, oder dass wir eine weniger angenehme, aber dringendere Aufgabe in Angriff nehmen, oder dass wir auf Ordnung achten und beharrlich eine kleine Pflicht erfüllen, die man leicht vernachlässigen könnte, oder dass wir die Arbeit von heute nicht auf morgen verschieben... Alles das, um Gott, unseren Vater, zu erfreuen! Vielleicht legst du auf deinen Arbeitstisch oder an einen unauffälligen Platz ein Kruzifix, das dich mahnt, den Geist der Kontemplation lebendig zu erhalten; denn der Gekreuzigte ist für dich schon gleichsam zum Buch geworden, aus dem du mit Herz und Verstand lernst, was Dienen heißt.“[10]

Mit derselben Energie, mit der er uns anspornte, die Arbeit in Gebet umzuwandeln, bestand unser Vater auf der Notwendigkeit, die ausschließlich Gott vorbehaltenen Zeiten nicht zu vernachlässigen: die häufige Messe und Kommunion, die Weilen des betrachtenden Gebetes, das Gebet des Rosenkranzes und andere Frömmigkeitsübungen, die in der Kirche seit langer Zeit praktiziert werden; und das mit umso mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit als sich Schwierigkeiten ergeben wegen eines überladenden Arbeitsplanes, aus Müdigkeit, oder wenn wir uns trocken und ausgelaugt fühlen, was in keinem Leben irgendwann fehlen wird. „Solche Andachtsübungen – erinnerte Don Alvaro – dürfen nicht als Unterbrechung der Arbeitszeit verstanden werden, denn sie sind nicht wie ausgeklammert aus dem Ablauf eines Tages. Wenn wir beten, setzen wir uns nicht von den ‚profanen’ Tätigkeiten ab, um in die ‚sakralen’ Tätigkeiten einzutauchen. Im Gegenteil, das Gebet ist der intensivste Augenblick einer Haltung, die den Christen bei jeder Tätigkeit begleitet und das tiefste und engste Band schafft zwischen der Arbeit, die man vorher verrichtet hat, und derjenigen, die man sofort danach in Angriff nehmen wird. Und dazu wird er gerade aus der Arbeit das Material nehmen, mit dem er das Feuer des betrachtenden und mündlichen Gebetes nährt und aus dem er beständig neue Impulse nimmt für die Anbetung, die Dankbarkeit und das vertrauensvolle Sich-Gott-Überlassen.“[11]

In wenigen Tagen werde ich nach Ecuador, Peru und Brasilien fahren, um dort mit meinen Töchtern und Söhnen zusammen zu sein und sie in ihrer apostolischen Arbeit zu ermutigen. Wie immer bitte ich Euch, mich auf dieser Reise zu begleiten, mit Eurem Gebet, der Aufopferung Eurer Arbeit und Eurer Erholung – falls Ihr zu denen gehört, die jetzt ihre Ferienzeit genießen. Unterlasst auch in diesen Tagen nicht, nahe bei Gott zu sein. Erinnert Euch daran, was unser Vater sagte: „Ich habe Erholung immer als ein Ausspannen vom Alltag, aber nie als Zeit des Müßiggangs verstanden.

Sich erholen heißt Kräfte sammeln, Hoffnungen beleben, Zukunftspläne erwägen - kurz: die Art der Tätigkeit wechseln, um dann mit frischem Schwung zur gewohnten Arbeit zurückzukehren.“[12]

In diesen Monat fällt auch der 75. Jahrestag des Augenblicks, in dem unser lieber Don Alvaro Gott antwortete: Hier bin ich! Seiner Fürsprache vertraue ich Eure und meine Treue an, damit sie sich täglich bewähre, und damit Ihr mich in meinen Anliegen unterstützt.

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[1] Lk 18, 1

[2] 1 Thess 5, 17

[3] Vgl. Hl. Hieronymus, Traktat über die Psalmen, Kommentar zu Psalm 1 (CCL 78, 5-6)

[4] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 8

[5] Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 23.4.1959

[6] Benedikt XVI., Homilie, 19.3.2006

[7] Johannes Paul II., Apost. Schreiben Novo Millennio ineunte, 6.1.2001, Nr. 31

[8] Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 30.10.1964

[9] Alvaro del Portillo, Il lavoro si trasformi in orazione, Artikel aus der Zeitschrift „Il Sabbato“, 7.12.1984 („Rendere amabile la verità”, Libreria Editrice Vaticana, Rom 1995, S. 649)

[10] Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 67

[11] Alvaro del Portillo, op. cit., S. 650-651

[12] Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 514