Brief des Prälaten (Oktober 2009)

Bischof Echevarria denkt über den heiligenden Wert der Arbeit nach und lädt angesichts der weltweiten Krise in seinem Brief dazu ein, "den Glauben zu läutern, die Hoffnung zu stärken, die Liebe zu fördern".

Morgen, am 2. Oktober, werden wir Gott für einen weiteren Jahrestag der Gründung des Opus Dei danken; und vier Tage später, am 6. Oktober, begehen wir den siebten Jahrestag der Heiligsprechung unseres Gründers. Im Umfeld dieser beiden Tage tut es uns sicher gut, über den übernatürlichen Weitblick – wie Johannes Paul II. ihn bezeichnete (1) – unseres Gründers nachzudenken: den heiligenden Wert der gewöhnlichen Arbeit mitten in der Welt und die Notwendigkeit, die täglichen Abläufe zu nutzen, um auf den Wunsch Gottes einzugehen, einem jedem und einer jeden von uns in allen Situationen zu begegnen. Wie gut kann man verstehen, dass unser Vater "aus Liebe verrückt" wurde, wenn er die Worte betrachtete, die Gott durch den Propheten an uns richtet: meus es tu (2).

Es ist offensichtlich, dass die Arbeit, eine universelle und unverzichtbare Wirklichkeit, das menschliche Leben auf dieser Erde begleitet. Sie ist ein Mittel, um sich selbst und die eigene Familie zu unterhalten, ein Band, das uns mit den anderen Menschen verbindet, und eine Gelegenheit zur persönlichen Vervollkommnung. "Diese Sicht der Arbeit wird für den Christen noch weiter und tiefer, da die Arbeit für ihn Teilnahme am Schöpfungswerk Gottes ist. Gott erschuf den Menschen, segnete ihn und sprach: Wachset und mehret euch und macht euch die Erde untertan und herrscht über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und alles Getier, das sich auf der Erde herumtreibt (Gen 1, 28). Und außerdem, da Christus die Arbeit auf sich genommen hat, erscheint sie uns als erlöste und erlösende Wirklichkeit, nicht nur als der Lebensbereich des Menschen, sondern auch als Mittel und Weg der Heiligkeit, als etwas, das geheiligt werden kann und selbst heiligt". (3)

Bei der Heiligsprechung unseres Gründers erläuterte Johannes Paul II. diese Lehre, als er die Erzählung von der Erschaffung des Menschen kommentierte: Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.(4) "Das Buch Genesis erinnert uns daran", sagte der Heilige Vater, "daß der Schöpfer dem Menschen die Erde anvertraut hat, damit er sie »bebaue und hüte«. Zu diesem umfassenden göttlichen Projekt tragen die Gläubigen bei, wenn sie in den verschiedenen Bereichen der Welt tätig sind. Die Arbeit und alles andere Tun wird mit Hilfe der Gnade zu einem Mittel der täglichen Heiligung." (5)

Schon bei der Feier der Seligsprechung, am 17. Mai 1992, hatte er gesagt, dass der heilige Josefmaria "unermüdlich die universale Berufung zur Heiligkeit und zum Apostolat verkündete. Christus ruft alle auf, sich in der Wirklichkeit des täglichen Lebens zu heiligen; für ihn ist auch die Arbeit ein Mittel der Selbstheiligung und des Apostolates, wenn man in Vereinigung mit Jesus Christus lebt; denn als der Sohn Gottes Mensch wurde, hat er sich irgendwie mit der ganzen Wirklichkeit des Menschen und mit der ganzen Schöpfung vereinigt". (6)

Es ist aber nicht überflüssig, erneut an diesen wesentlichen Aspekt des Geistes des Opus Dei zu erinnern, denn wir können seinen geistlichen Reichtum mit der Hilfe Gottes und der Fürsprache unseres Vaters immer mehr ausschöpfen und vor allem treu in die Tat umsetzen. Solange es Männer und Frauen gibt, die einen Beruf ausüben, sagte der heilige Josefmaria oft, wird es Menschen geben, die, von diesem Geist angetrieben, ihren Freunden und Kollegen zeigen, dass es möglich ist, die christliche Vollkommenheit – die Heiligkeit – durch die Heiligung der beruflichen Tätigkeit zu erreichen, Mitarbeiter Gottes bei der Vervollkommnung der Schöpfung und Mitarbeiter Christi beim Werk der Erlösung zu sein.

Hören wir noch einmal den heiligen Josefmaria: "Wir sind Menschen in der Welt, gewöhnliche Christen im Blutkreislauf der Gesellschaft. Der Herr will uns gerade inmitten unserer beruflichen Arbeit heilig und apostolisch wirksam haben. Er will, dass wir uns selbst in der Arbeit heiligen dass wir unsere Arbeit heiligen und dass wir anderen helfen, sich durch die Arbeit zu heiligen. Seid davon überzeugt, dass Gott auf euch in dieser eurer Umwelt wartet, wie ein liebender Vater, wie ein liebender Freund. Und macht euch außerdem die Bedeutung eurer mit Verantwortung verrichteten beruflichen Arbeit klar: Sie ist nicht nur das Mittel zu eurem Lebensunterhalt, sondern auch ein unmittelbarer Dienst am Fortschritt der Gesellschaft, ein Mittragen an der Last anderer und eine Gelegenheit, lokale und weltweite Initiativen zu unterstützen, die sich dem Wohl einzelner Menschen oder ganzer in Not lebender Völker gewidmet haben." (7)

Wir sollten mehr an die Menschen unserer Umgebung denken. Tun wir das? Wird durch sie unser apostolischer Eifer geweckt? Die berufliche Arbeit und die Beziehungen, die sich daraus ergeben, sind das beste Feld für die Ausübung des allgemeinen Priestertums, das wir bei der Taufe empfangen haben. Wir sollten uns das in diesem Priesterjahr wieder neu vor Augen führen.

Die Worte unseres Vaters haben in diesen Zeiten eine besondere Aktualität, da viele Länder von einer tiefen Krise der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes betroffen sind. Gleichzeitig erinnern sie uns daran, dass die Arbeit in all ihren Erscheinungsformen ein Werkzeug ist. Er wies nämlich auch darauf hin, dass "die Güter der Welt nicht schlecht sind. Der Mensch wendet sie jedoch zum Bösen, wenn er sie zu Götzen erhebt und sich vor ihnen niederwirft. Sie werden geadelt, wenn wir sie – in einer christlichen Arbeit, in Gerechtigkeit und Liebe – in Werkzeuge des Guten verwandeln. Wir können nicht den wirtschaftlichen Gütern nachjagen wie jemand, der auf Schatzsuche geht. Unser Schatz ist hier und liegt in einer Krippe. Es ist Christus, und auf ihn muß sich unsere ganze Liebe richten, denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz (Mt 6, 21)". (8)

Wenn man die berufliche Tätigkeit als ein Ziel und nicht als ein Mittel zur Erreichung des letzten Zieles des Menschen – die Gemeinschaft mit Gott und in Gott mit den anderen – ansähe, würde ihrer Natur Gewalt angetan und sie verlöre ihren höchsten Wert. Sie würde zu einer jeglicher Transzendenz verschlossenen Tätigkeit, in der sich das Geschöpf recht bald an die Stelle Gottes setzen würde. Eine so getane Arbeit könnte auch nicht das Mittel sein, um mit Christus am Werk der Erlösung mitzuarbeiten, welches er während seiner Jahre als Handwerker in Nazaret begann und am Kreuz vollendete, als er sein Leben für das Heil der Menschen hingab.

Dieselben Gedanken hat Benedikt XVI. kürzlich in der Enzyklika Caritas in veritate entfaltet, wo er die Soziallehre der Kirche im aktuellen Kontext der Globalisierung der Gesellschaft darlegt. Darin unterstreicht er, dass auch in den heutigen Umständen "das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit". (9) Dann hebt der Papst in Anlehnung an Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils hervor, dass "der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft ist". (10) Auf diese Weise stellt der Heilige Vater die menschliche Person, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und durch Christus zur Würde eines Gotteskindes erhoben wurde, in den Mittelpunkt der heutigen Diskussion. Dabei spricht er sich entschieden gegen den Determinismus aus, der in vielen Auffassungen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zum Ausdruck kommt.

Zugleich betont der Papst, welch umgestaltende Kraft die Ausübung einer recht verstandenen Freiheit, das heißt, einer Freiheit, die fest in der Wahrheit verankert ist, für die Gesellschaft besitzt. Bezug nehmend auf die Entwicklung der Völker schreibt er: "In Wirklichkeit reichen die Institutionen allein nicht aus, denn die ganzheitliche Entwicklung des Menschen ist vor allem Berufung und verlangt folglich von allen eine freie und solidarische Übernahme von Verantwortung. Eine solche Entwicklung erfordert außerdem eine transzendente Sicht der Person, sie braucht Gott: Ohne ihn wird die Entwicklung entweder verweigert oder einzig der Hand des Menschen anvertraut, der in die Anmaßung der Selbst-Erlösung fällt und schließlich eine entmenschlichte Entwicklung fördert." (11)

In einer Krisenzeit wie der heutigen, die direkte Auswirkungen auf so viele Menschen hat, könnte sich eine doppelte Gefahr ergeben. Einerseits, naiv darauf zu vertrauen, dass wir durch technische Lösungen alle Probleme in den Griff bekommen; und andererseits, dass wir uns vom Pessimismus oder von der Resignation mitreißen lassen, als sei alles unvermeidbar und eine Konsequenz wirtschaftlicher Gesetze, denen man nicht entgehen kann.

Die eine wie die andere Haltung ist falsch und gefährlich. Ein Mann oder eine Frau des Glaubens muss diese Situation nutzen, um persönlich verschiedene Tugenden besser zu leben: die Loslösung, die Lauterkeit der Absicht, den Verzicht auf überflüssige Güter und viele Dinge mehr. Ein solcher Mensch weiß andererseits, dass wir in jedem Augenblick in den Händen Gottes sind, der unser Vater ist; und wenn die göttliche Vorsehung diese Schwierigkeiten zulässt, dann tut sie es, damit wir aus dem Bösen Gutes herausholen, denn Gott schreibt auf krummen Zeilen gerade. Die Zeit, die wir durchleben, ist geeignet, den Glauben zu läutern, die Hoffnung zu stärken, die Liebe zu fördern und unsere Arbeit – egal, welche – mit beruflicher Kompetenz und Lauterkeit der Absicht auszuführen, alles einzusetzen, damit in der Gesellschaft ein echter Sinn für Verantwortung und Solidarität wächst. Beten wir dafür, dass sich das große Problem der Arbeitslosigkeit löst?

Andererseits begünstigen die schwierigen Umstände, dass die im Inneren jedes Menschen verborgenen Ressourcen aktiviert werden. Eine der wichtigsten Empfehlungen der letzten Enzyklika ist der konkrete Aufruf, die Beziehungen der strikten Gerechtigkeit durch die Nächstenliebe zu reinigen, ohne die Ausübung dieser beiden Tugenden zu trennen. Es ist die große Herausforderung des gegenwärtigen Augenblicks, so sagt der Papst, "in unserem Denken und Handeln nicht nur zu zeigen, dass die traditionellen sozialethischen Prinzipien wie die Transparenz, die Ehrlichkeit und die Verantwortung nicht vernachlässigt oder geschwächt werden dürfen, sondern auch, dass in den geschäftlichen Beziehungen das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks als Ausdruck der Brüderlichkeit im normalen wirtschaftlichen Leben Platz haben können und müssen. Das ist ein Erfordernis des Menschen in unserer jetzigen Zeit, aber auch ein Erfordernis des wirtschaftlichen Denkens selbst. Es ist zugleich ein Erfordernis der Liebe und der Wahrheit". (12)

Mir kommt in diesem Zusammenhang ein Gedanke in Erinnerung, den der heilige Josefmaria in seinen Schriften und bei seinen Treffen mit ganz unterschiedlichen Menschen häufig wiederholte. In einer Predigt sagte er zu seinen Zuhörern, die bunt gemischt waren: "Seid überzeugt, dass ihr mit der Gerechtigkeit allein niemals die großen Fragen der Menschheit werdet lösen können. Wundert euch nicht, wenn Menschen, die nur trockene Gerechtigkeit erfahren, sich verletzt fühlen, denn die Würde des Menschen, der ja Kind Gottes ist, verlangt viel mehr. Die Liebe muss alles von innen beleben und von außen begleiten, dann mildert sie alles, vergöttlicht sie alles: Gott ist die Liebe (1 Joh 4, 16). Die Gottesliebe muss immer unser Beweggrund sein, dann wird die Nächstenliebe leichter und jede irdische Liebe reiner und sinnvoller." (13) Und bei einer anderen Gelegenheit antwortete er auf die Frage nach der wichtigsten Tugend, die ein Unternehmer pflegen müsse, ohne zu zögern: "Die Nächstenliebe, denn mit der Gerechtigkeit allein kommt man nicht weit (…). Behandle die Menschen immer gerecht und höre auch ein wenig auf dein Herz (…). Tu für die anderen, was du kannst, und zwar durch deine Arbeit. Vor allem übe mit der Gerechtigkeit auch die Liebe. Die Gerechtigkeit allein ist eine trockene Angelegenheit, und es bleibt viel Nötiges ungetan." (14)

Eine große Liebe zur Gerechtigkeit, immer durchformt von der Nächstenliebe, das ist – zusammen mit der persönlichen beruflichen Ausbildung eines jeden – die Waffe des Christen, um wirksam an der Lösung der gesellschaftlichen Probleme mitzuwirken. "Legt ein übernatürliches Motiv in alles, was ihr natürlicherweise tut", riet der heilige Josefmaria; "und dann", fuhr er fort, "bringt dieses Bemühen um Nächstenliebe, um Brüderlichkeit, um Verständnis, Liebe und christlichen Geist zu allen Völkern der Erde". (15) Er warnte vor den Ideologien, die für die gesellschaftlichen Probleme falsche, nämlich materialistische Lösungen anbieten: "Zur Lösung aller Konflikte zwischen den Menschen genügt der Einsatz der christlichen Gerechtigkeit und Nächstenliebe." (16)

Diese Überlegungen entbinden die Christen nicht von dem Bemühen, die Gesetze der Wirtschaft gut zu kennen. Das gilt besonders für die, die im öffentlichen Leben oder in der Gesellschaft Verantwortung tragen. "Die Liebe schließt das Wissen nicht aus, ja, sie verlangt, fördert und belebt es von innen her", so Benedikt XVI. "Das Wissen ist niemals allein das Werk der Intelligenz. Es kann zwar auf ein Kalkül oder Experiment reduziert werden, wenn es aber Weisheit sein will, die imstande ist, den Menschen im Licht der Grundprinzipien und seiner letzten Ziele zu orientieren, dann muss sie mit dem »Salz« der Liebe »gewürzt« sein. Das Tun ist blind ohne das Wissen, und das Wissen ist steril ohne die Liebe. Denn »der wahre Liebende [ist] erfinderisch im Entdecken von Ursachen des Elends, im Finden der Mittel, es zu überwinden und zu beseitigen« (Paul VI., Enz. Populorum progressio, Nr. 75)." (17)

Versuchen wir, diese Aussagen des Lehramtes tiefer zu verstehen und sie anderen zu erklären, denn sie sollen unser Gewissen formen und unser tägliches Handeln lenken.

Wie immer erinnere ich Euch daran, meine Anliegen zu empfehlen. Natürlich steht an erster Stelle stets das Gebet für den Papst und für seine Mitarbeiter. In diesem Monat wird zudem in Rom eine Sondersitzung der Bischofssynode stattfinden, die sich mit dem afrikanischen Kontinent befasst. Beten wir schon jetzt zum Heiligen Geist und rufen wir den heiligen Josefmaria um seine Fürsprache an, damit Gott die Bischöfe, die sich um den Papst versammeln, erleuchten und ihnen große geistliche Fruchtbarkeit gewähren möge.

Es gibt noch andere Jahrestage der Geschichte des Werkes, auf die ich nicht eingehen werde. Jedoch ist es mir ein dringendes Anliegen, dass alle ein wachsendes Interesse daran haben, die verschiedenen Schritte im Leben des heiligen Josefmaria zu kennen. Er kümmerte sich mit großer Sorgfalt um das, was der Himmel in seine Hände gelegt hatte, und hatte immer den Wunsch, ein treuer Diener Gottes, der Kirche – und dieses kleinen Teils, des Werkes –, seiner Töchter und Söhne und aller Menschen zu sein, auch derer, die ihn nicht verstanden. Es ist sehr wichtig, dass wir diesen Spuren folgen.

------------------------------------

(1)   Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der Seligsprechung des Gründers des Opus Dei, 17.5.1992

(2)   Jes 43, 1 

(3)   Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 47

(4)   Gen 2, 15

(5)   Johannes Paul II., Predigt bei der Heiligsprechung des Gründers des Opus Dei, 6.10.2002

(6)   Johannes Paul II., Predigt bei der Seligsprechung des Gründers des Opus Dei, 17.5.1992

(7)   Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 120

(8)   Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 35

(9)   Benedikt XVI., Enz. Caritas in veritate, 29.6.2009, Nr. 25

(10) Ebd., Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 63

(11) Benedikt XVI., Enz. Caritas in veritate, 29.6.2009, Nr. 11

(12) Ebd., Nr. 36

(13) Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 172

(14) Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 27.11.1972

(15) Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 2.6.1974

(16) Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 14.4.1974

(17) Benedikt XVI., Enz. Caritas in veritate, 29.6.2009, Nr. 30