Brief des Prälaten (September 2009)

Angesichts der Erfahrung unserer Irrtümer und der Widrigkeiten des Alltags rät der Prälat des Opus Dei dazu, sich vertrauenvoll an die Muttergottes zu wenden.

Ein weiterer Monat beginnt, der reich ist an Festen der Muttergottes, die, wie immer, das Herz derer, die sich als ihre Kinder sehen, mit Freude erfüllen. Für mich bringt er eine besondere Erinnerung mit sich, denn ich habe an einem 8. September, dem Fest Mariä Geburt, um die Aufnahme ins Opus Dei gebeten. Diese Tatsache habe ich immer als eine zärtliche Geste unserer Mutter an ihrem Festtag angesehen – und so wird es euch allen gehen.

Als unser Vater einmal über die Berufung der Heiligen Drei Könige sprach, die auf ihrem Weg nach Bethlehem von einem Stern geführt werden, versicherte er uns: „Dasselbe haben auch wir erfahren. Auch wir haben gemerkt, wie nach und nach in unserer Seele ein neuer Glanz erstrahlte: das Verlangen, ganz und gar Christ zu sein. Wenn ihr mir den Ausdruck erlaubt: es war unsere Sehnsucht, Gott ganz ernst zu nehmen. Würde jeder von euch in diesem Augenblick laut erzählen, wie im Innersten seine übernatürliche Berufung zu keimen begann, wir anderen wären alle der festen Meinung, dass alles das Wirken Gottes war. Danken wir Gott dem Vater, Gott dem Sohn, Gott dem Heiligen Geist und der heiligen Maria, durch deren Vermittlung wir alle Wohltaten des Himmels empfangen, für dieses Geschenk, das neben dem Glauben das größte ist, das der Herr einem Geschöpf gewähren kann: das beharrliche Streben nach der Fülle der Liebe, in der Überzeugung, dass die Heiligkeit inmitten der beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben nicht nur möglich, sondern auch nötig ist.“[1]

Mons. Javier Echevarría, auf seiner Pastoralreise in Puerto Rico.

Der hl. Bernhard, ein leidenschaftlicher Sänger Mariens, hat dies in einer seiner Maria gewidmeten Predigten wunderbar ausgeführt: „Nimm die Sonne hinweg, die die Welt erleuchtet“, so schrieb er, „wie kann es dann Tag werden? Nimm Maria, den Meeresstern, hinweg von einem gewiss großen und weiten Meer, und was wird bleiben, wenn nicht eine Dunkelheit, die alles verdüstert, Todesschatten und dichteste Finsternis? Aus dem Innersten unserer Seele also, mit aller Liebesfähigkeit unseres Herzens und allen Gefühlen und Wünschen unseres Willens, wollen wir Maria verehren, denn das ist der Wille des Herrn, der vorgesehen hat, dass wir alles durch Maria erhalten.“[2]

Die geistliche Tradition hat Maria die Bittende Allmacht genannt, denn um was sie ihren Sohn bittet, wird uns unfehlbar gewährt. Unsere Herrin weiß sehr gut, was zur Ehre Gottes und zu unserem geistlichen Nutzen gereicht, und genau darum wird sie für uns bitten. Wenden wir uns daher voll Vertrauen und noch intensiver an ihre Fürsprache in diesem Monat, der – wie ich schon sagte – voller marianischer Festtage ist. Aus jedem dieser Feste können wir wie die Biene aus den Blumen die Zutaten holen, aus denen wir mit Gottes Hilfe den Honig, die geistliche Nahrung, herstellen, die wir alle wie kleine Kinder brauchen. Unsere Mutter selbst ermuntert uns dazu mit inspirierten Worten, die ihr die Liturgie in den Mund legt: Ich bin die Mutter der schönen Liebe, der Gottesfurcht, der Erkenntnis und der frommen Hoffnung. In mir ist alle Lieblichkeit des Weges und der Wahrheit, in mir alle Hoffnung des Lebens und der Tugend. Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, sättigt euch an meinen Früchten! An mich zu denken ist süßer als Honig, mich zu besitzen ist besser als Wabenhonig.[3]

Fragen wir uns im Besitz eines so großen Schatzes, ob wir uns während des Tages mit den großen und auch kleinen Anliegen oft an unsere Mutter wenden. Steigt aus unserem Herzen jene zärtliche Anrufung – „Mutter, meine Mutter!“ –, die beständig von den Lippen unseres Vaters kam? Rufen wir zu ihr, drängend und mit dem Vertrauen des Kindes, das der mütterlichen Sorge bedarf?

Das erste Fest dieses Monats, am 8. September, ist Mariä Geburt. Wir werden oft betrachtet haben, dass mit der Geburt Mariens der Tag der Rettung heraufzuziehen begann, denn aus ihr ortus est sol iustitiae, Christus Deus noster, ist hervorgegangen die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott[4]. Die Propheten hatten diesen denkwürdigen Tag vorausgesehen, und die Kirche erinnert daran, wenn sie als erste Lesung der Messe einen Abschnitt aus Micha über Bethlehem auswählt, die Stadt, in welcher der Messias geboren werden sollte. „Die wunderbare Prophezeiung, so Benedikt XVI., verheißt, dass er zu Bethlehem geboren wird. Er wird ein Nachfahre des Königs David sein, seine Gestalt aber wird die Grenzen des Menschlichen übersteigen: »sein Ursprung« nämlich »liegt in ferner Vorzeit«, er verliert sich in längst vergangenen Tagen und grenzt an die Ewigkeit; seine Größe wird »bis an die Grenzen der Erde« reichen und derart werden auch die Grenzen des Friedens sein (vgl. Mich 5,1–4a).“[5] Und der Papst schließt: „Die Ankunft dieses »vom Herrn Geweihten«, die den Beginn der Befreiung des Volkes anzeigen wird, bestimmt der Prophet mit einem rätselhaften Ausdruck: »bis die Gebärende einen Sohn geboren hat« (Mich 5,2). So lehrt uns die Liturgie – die ja die vornehmliche Schule des Glaubens ist –, in der Geburt Mariens eine direkte Verbindung mit jener des Messias zu erkennen, des Sohnes Davids.“[6]

In den geheimnisvollen Worten Michas erkennt man eine Anspielung an die Prophezeiung des Jesaja, die das Evangelium auf Maria bezieht: Ecce, virgo concipiet et pariet filium et vocabit nomen eius Emmanuel[7] – seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben. Diese Worte erfüllten sich im Augenblick der Verkündigung, als das göttliche Wort durch das Wirken des Heiligen Geistes im reinsten Schoß unserer Herrin Fleisch annahm.

Das Evangelium legt uns den langen Abschnitt des Stammbaums Jesu nach Matthäus vor und schließt mit der Ankündigung der Empfängnis Christi. „Es stellt die Geschichte Israels von Abraham an als einen Pilgerweg dar, der in Aufstiegen und Abstiegen, auf Wegen und Umwegen letztlich zu Jesus Christus führt.“[8]In dieser langen Liste von Gestalten des Alten Testaments fehlen neben Männern und Frauen, die Gott treu waren, nicht andere, die es nicht waren. Es erscheinen die großen Patriarchen – Abraham, Isaak und Jakob –, die treu den Forderungen Gottes entsprachen. Und es treten auch Führer, Könige und normale Leute auf, die sich als große Sünder erwiesen. Einige von ihnen haben bereut, andere nicht. Und dasselbe bei den Frauen: neben Rut, die von Gott geliebt war, werden andere erwähnt, die ihn beleidigten. Benedikt XVI. betont, dass „uns der Stammbaum mit seinen hellen und finsteren Gestalten, mit seinem Gelingen und seinem Scheitern zeigt, dass Gott auch auf den krummen Linien unserer Geschichte gerade schreiben kann. Gott lässt uns unsere Freiheit, und er weiß doch, in unserem Versagen neue Wege seiner Liebe zu finden. Gott scheitert nicht. So ist dieser Stammbaum eine Gewähr für Gottes Treue; eine Gewähr dafür, dass Gott uns nicht fallen lässt, und eine Einladung, unser Leben immer neu nach ihm auszurichten, immer neu auf Jesus Christus zuzugehen.“[9]

Das war eine der Lehren, die der hl. Josefmaria aufzugreifen einlud. Er machte uns auch darauf aufmerksam, dass „die Evangelisten gewiss nicht alles aufschreiben konnten, was sie von Jesus wussten, denn sie hätten viele Bände benötigt, um die Worte und Taten seines Lebens vollständig festzuhalten. Und doch fehlen unter den Szenen, die sie auswählten, keineswegs Ereig­nisse, die ein ungünstiges Licht auf die Apostel werfen. Aber alle enthalten eine Lehre“[10].Und er wurde noch konkreter: „Wenn wir uns noch einmal dem Stammbaum Jesu Christi zuwenden, dann finden wir Männer und Frauen – Vorfahren von Josef und Maria –, die zuweilen kein Vorbild waren. Sicher will die Mutter Gottes uns mit dieser Lektion zu bedenken geben, dass sie, die ganz rein – die Unbefleckte! – ist, uns mit unseren Fehlern annimmt. Und wenn wir uns ihr und Jesus mit reinem Gewissen und gutem Willen nähern, dann zählt das Vergangene nicht. Wir können unser Leben neu werden lassen, aber dazu müssen wir im Laufe des Tages mehr als einmal den Kurs begradigen.“[11]

Diese Gedanken laden uns im Priesterjahr zu einem weitreichenden Apostolat der Beichte ein, auch unter den Beichtvätern. Wir brauchen das Sakrament der Versöhnung, und wir sollten auch Dank sagen für dieses Mittel zur Vergebung der Sünden, das Christus seiner Kirche vermacht hat. Es sind zudem Überlegungen, die den Optimismus und die Gelassenheit fördern, da sie uns zu Bewusstsein bringen, dass Gott unserer Schwachheiten nicht müde wird, auch wenn er sie nicht will. Weder unsere Sünden noch unsere Fehler können uns von ihm trennen, wenn wir diese Mängel bereuen und um Verzeihung bitten, wenn nötig, im Sakrament der Buße. Gott möchte uns in seiner Barmherzigkeit beständig an sich ziehen.

„Ich möchte, dass wir, ihr und ich“ – ich wiederhole es mit Worten des heiligen Josefmaria –, „unser Leben so sehen; dass wir nie aus den Augen verlieren, dass wir im inneren Leben ohne Entmutigung kämpfen müssen; dass wir nicht den Mut verlieren, wenn es bei unserem Versuch, Gott zu dienen, mehr als einmal – viele Male – gilt, den Kurs zu begradigen.“[12]

Vier Tage nach Mariä Geburt, am 12. September, feiern wir das Fest Mariä Namen. Welche Freude, unsere Mutter bei ihrem Namen zu rufen! Wir wollen ihn zu jeder Zeit im Herzen und auf den Lippen tragen, besonders aber, wenn unsere Seele vom Sturm der Versuchungen und der Schwierigkeiten geschüttelt wird, die Gott zulassen kann, um unsere Demut und unser Vertrauen in seine Allmacht zu stärken.

In solchen Zeiten der Prüfung steigt vielleicht eine gewisse Hoffnungslosigkeit in uns auf, und der Eifer, weiter zu kämpfen, möchte erlahmen; dann heißt es, mit noch mehr Einsatz und Beständigkeit auf die Stella maris, die Jungfrau Maria zu blicken. Hören wir noch einmal einen allgemein bekannten Text des heiligen Bernhard: „Wenn die Sturmwinde der Versuchungen daherbrausen, wenn du zwischen die Klippen der Drangsale verschlagen wirst, blick auf zum Stern, ruf zu Maria! (…) Folge ihr, und du wirst nicht vom Wege weichen. Bitte sie, und niemals bist du hoffnungslos. Denk an sie, dann irrst du nicht. Hält sie dich fest, wirst du nicht fallen. Schützt sie dich, dann fürchte nichts. Führt sie dich, dann wirst du nicht müde. Ist sie dir gnädig, dann kommst du ans Ziel. Und so wirst du an dir selbst erfahren, mit wie viel Grund gesagt worden ist: Und der Name der Jungfrau war Maria (Lk 1,27).“[13]

Mit der mächtigen Hilfe der Muttergottes werden wir immer Sieger bleiben, auch wenn wir in den Scharmützeln des täglichen Kampfes manchmal die Erfahrung einer Niederlage machen. Maria steht uns immer bei, und wenn sie ihren Namen von unseren Lippen hört, kümmert sie sich sofort um uns und beschützt uns. „Mutter! - Rufe es laut, laut. - Sie hört dich, sieht dich vielleicht bedroht, und sie - deine heilige Mutter bietet dir mit der Gnade ihres Sohnes ihre mütterliche Hilfe, ihre liebende Zärtlichkeit an: dann bist du gestärkt zu neuem Kampfe.“[14]

Maria am Fuß des Kreuzes, die wir am 15. September betrachten, lehrt uns den Wert des stillen und verborgenen Opfers. Bewundern wir – betrachten wir – ihren Starkmut in der Stunde des Leidens und des Schmerzes. „Wieder fühlt sich Jesus durch die lautlose, liebende Gegenwart der Mutter gestärkt. Maria schreit nicht, sie läuft nicht ratlos umher. Stabat – sie steht, steht neben ihrem Sohn.“[15]

Begreifen wir so, meine Töchter und Söhne, dass die Stärke, am Kreuz – bei Christus am Kreuz – auszuharren, die Bedingung und die Garantie reicher übernatürlicher Fruchtbarkeit ist? Die Erinnerung an diese Haltung unserer Herrin sollte uns helfen, in der Stunde des körperlichen oder seelischen Leids recht zu reagieren, gerade auch wenn eine Neigung zur Rebellion in unserer Seele aufkeimen will. Ich lade Euch ein, in solchen Augenblicken den Gedankengang aufzugreifen, den unser Vater so oft formuliert hat, und der ihm half, die Aufgabe, die Gott ihm anvertraut hatte, bis zum Ende zu erfüllen: „Du willst es, Herr? … Dann will ich es auch!“[16]

Wie könnten wir es versäumen, an diesem Tag an unseren geliebten Don Alvaro zu denken? Rufen wir ihn an diesem neuerlichen Jahrestag seiner Ernennung zum ersten Nachfolger unseres Vaters um seine Fürsprache an. Er möge uns von Gott die Gelassenheit und den Frieden erlangen, den er jederzeit um sich verbreitet hat, besonders wenn die Lage angespannt oder schwierig war.

Und schließlich ist am 24. September der Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Loskauf der Gefangenen (Muttergottes de la Merced, von der Gnade). Unter dieser Anrufung wandte sich der heilige Josefmaria in entscheidenden Augenblicken der Geschichte des Werkes an sie, in der Gewissheit, dass sie ihm die Gnaden, die mercedes, erwirken würde, die er brauchte, um den Menschen besser zu dienen. Bitten auch wir sie mit diesem so mütterlichen Titel um die übernatürlichen Gaben, die die Kirche und jener kleine Teil der Kirche, der das Werk ist, in dieser Zeit brauchen, und die auch wir, jede und jeder, nötig haben. Vergessen wir nicht, in diesem Priesterjahr – ich wiederhole es bewusst – vertrauensvoll für Priesterberufungen und für die Heiligkeit aller Amtsträger zu beten.

Schließt in dieses Gebet auch besonders Eure Brüder, die Assoziierten, ein, denen ich am 6. September in Torreciudad die Priesterweihe spenden werde. Und – wie ich euch jeden Monat ans Herz lege – denkt in Eurem täglichen Gebet an den Papst und an alle seine Mitarbeiter in der Leitung der Kirche. Beten wir noch inbrünstiger das Dominus conservet eum, et vivificet eum, et beatum faciat eum in terra, das wir in unseren Preces jeden Tag zum Himmel erheben[17]. Begleiten wir ihn in besonderer Weise auf der Reise, die er vom 26. bis 28. September in die Tschechische Republik unternehmen will.

Vor dem Bild Unserer Lieben Frau von der Vorsehung in Puerto Rico und vor der Muttergottes von Guadalupe habe ich mit Euch allen zusammen gebetet. Ebenso konnte ich – konnten wir – das Tryptichon im Kölner Dom betrachten, vor dem der heilige Josefmaria mehrmals die Heilige Messe gefeiert und für das Opfer auf dem Kalvarienberg Dank gesagt hat. Dort betete er den Herrn an und ergriff fest die Hand der Bittenden Allmacht, unserer Mutter Maria.

Meine Töchter und Söhne, in den Ländern, in denen wir apostolisch tätig sind, erwartet uns eine reiche und frohe Arbeit zum Wohl der Menschen. Daher möchte ich Euch mitteilen, dass ich bei der Erneuerung der Weihe des Opus Dei an das Liebenswerte Herz Mariens am vergangenen 15. August unserer Mutter gesagt habe, dass wir uns die Bitte des heiligen Josefmaria von 1951 in Loreto zu eigen machen wollen, damit der Eifer für die ganze Menschheit uns Tag für Tag verzehren möge.

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[1] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 32

[2] Hl. Bernhard von Clairvaux, Predigt an Mariä Geburt (Predigt „vom Aquädukt“)

[3] Sir 24, 18-20

[4] Messbuch, Mariä Geburt, Eröffnungsvers [5] Benedikt XVI., Predigt im Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Bonaria“ (Cagliari), 7.9.2008

[6] Ebd.

[7] Jes 7,14; Mt 1,23

[8] Benedikt XVI., Predigt am Fest Mariä Geburt, 8.9.2007

[9] Ebd.

[10] Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einer Betrachtung, 8.9.1966

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Hl. Bernhard von Clairvaux, 2. Predigt über die Verkündigung, 17

[14] Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 516

[15] Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 288

[16] Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 762

[17] Vgl. Ps 41, 3