Dank für die Würde der Erde

Erntedank im Licht der Papstrede im Bundestag – Eine Betrachtung von Josef Arquer

Das Erntedankfest hat seinen Platz im Umfeld der Liturgie, ohne selbst ein liturgisches Fest zu sein. Meistens wird es am letzten Sonntag im September oder am ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Jedoch kann das Datum je nach der geographischen Breite bis hin in die Nähe des Martinstages am 11. November geraten.In diesem Jahr hat Papst Benedikt im Deutschen Bundestagwie nebenbei auf eine besondere Nuance beim Umgang mit der Natur hingewiesen, als er überraschend von der „Würde der Erde“ sprach. Die Zitate im Folgenden stammen aus seiner Rede vom 22. September.

Warum Erntedank? Oder krasser: Wozu Erntedank? Die Frage klingt sinnlos, wenn eine „sich exklusiv gebende positivistische Vernunft“ das Denken beherrscht, „die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann“. Papst Benedikt verglich die Ergebnisse solchen Denkens mit „ Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen.“ Vielen ist das Gespür verloren gegangen, dass die Gaben der Erde geschenkt sind. Wozu als überhaupt danken und erst recht Erntedank?

Für den Papst war das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren „ein Schrei nach frischer Luft“. – „Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“

Auch Erntedank öffnet Fenster. Er ist wie ein spontaner Aufschrei gegen eine nur noch pragmatische Haltung, die vergessen hat, „dass wir in dieser selbstgmachten Welt im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten.“

Danken setzt ein Gegenüber, ein Jemand voraus

Weder ein mystisch anmutender Sonnenuntergang noch ein herbstlich glühender Wald können den Dank entgegennehmen, den ein Betrachter heraus zu schreien sich gedrängt fühlt, der für das Schöne empfänglich ist. Wir können „die Natur“ in Büchern und Fernsehsendungen „planen“ und „entwerfen“. Sprechen können wir aber nicht mit ihr. Und ihr danken genauso wenig.

Wer in diesen Wochen offenen Sinnes durch Wälder und Felder spaziert oder über einen Wochenmarkt schlendert, wird nicht bloß feststellen, dass die Früchte der Erde da sind – einfach so, sondern wird durch sie hindurch dankbar ihren Schöpfer erspüren. „Die Erde hat ihre Frucht gebracht. Gott, unser Gott hat uns gesegnet“ (Ps 67 ,7). Der natur-offene Mensch wird sich wie von allein auch für das Beten öffnen. Mit dem Schöpfergott können wir sprechen – uns aussprechen.

Womit hat er uns gesegnet? Ja, mit den Früchten der Erde, mit ihrer Schönheit – und mit der Schönheit aller Dinge. Dankbar ahnen wir, dass wir selbst Bilder und Gleichnisse des Schöpfers sind: Wir ernten die Früchte. Uns gehören die Dinge der Natur. Wir sorgen für sie und nutzen sie. Doch zugleich spüren, ja wissen wir, dass sie mehr sind als Material zu unserer Verfügung. Sie sind Gabe Gottes an uns. In seinen Worten über die ökologische Bewegung sprach der Papst von der Ahnung junger Menschen „dass irgend etwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt, dass Materie nicht nur Material für unser Machen ist.“ Und hier fiel die nachdenkenswerte, überraschende Aussage, „dass die Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen.“ Dies ist eine Einsicht, um die Christen seit je her wissen. Sie begründet Umwelt- und Naturschutz viel tiefer als so manche kurzatmigen, pantheistisch angehauchten Argumente. Indem wir alle Dinge und Wesen der Natur als unsere Mitgeschöpfe begreifen, sind wir vor der Gefahr gefeit, sie zu vergotten. Wäre der Mensche auch nur ein Tier oder gar nur ein Stück Materie, wie man so sagt, wird sich solche Gleichmacherei – konsequent weitergedacht – am Ende gegen den Menschen wenden. Vielmehr erkennen wir dankbar, dass wir sie überschreiten.

So gab der Papst seinen Überlegungen eine Wende: „Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten. Ich möchte aber nachdrücklich einen Punkt noch ansprechen, der nach wie vor weitgehend ausgeklammert wird: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

G. K. Chesterton fand für ähnliche Gedanken eine feine Formulierung: „Die Natur ist nicht unsere Mutter, sie ist unsere Schwester. Auf ihre Schönheit können wir stolz sein, da wir denselben Vater haben; Gewalt jedoch hat sie nicht über uns.“

Geschichte in der Zeit, nicht bloß Dauer

Unser Leben ist nicht dem Zeitmaß blinder Naturkräfte ausgeliefert wie der Lauf der Gestirne und der Jahreszeiten. Unsere Zeit ist anders als die bloße Dauer in der Natur. Wir haben Geschichte, unwiederholbare Geschichte. Wir sind wirklich unterwegs, nicht ziellos, sondern auf Gott hin geschaffen und zur vollen Teilnahme an seinem Leben berufen. Deshalb können wir rückblickend danken und dürfen in die Zukunft blickend hoffen. Dennoch: Kann man zu einer Zeit, da man im Supermarkt und per Internet einkauft, für die Gaben der Natur danken? Papst Benedikt fragte in seiner Ansprache: „Wie kann die Natur wieder in ihrer wahren Tiefe, in ihrem Anspruch und mit ihrer Weisung erscheinen?“ Sicher erfordert dies ein Gespür für Innerlichkeit und Tiefe. Danken kann nur ein Mensch, der sich als Empfangender versteht, nicht als Macher. Der Macher ist versucht, auch sich selbst zu „machen“ – etwa seine Gesundheit als sein Heil. Anders als solch verkrampftes und oft genug insgeheim verzweifeltes Unterfangen des reinen Machenwollens ist es mit der gelassenen Einstellung dessen, der weiß, dass er im Letzten nicht selbst seines Glückes Schmied sein kann, sondern dass er auch annehmen muss, dass er vor Gott und selbst vor den Menschen immer ein Bedürftiger ist.

Erntedank im eigenen Leben

Wie zu dieser Gelassenheit, zu dieser Zuversicht gelangen? Wie dem geistlosen Machen entkommen? Ein Weg dazu dürfte sein, auf die kleinen, scheinbar selbstverständlichen Dinge des Alltags mit neuen, mit dankbaren Augen zu sehen. Dann geht uns bald immer mehr auf, für das wir danken können. Vor allem im Umgang mit anderen Menschen: eine freundliche Auskunft, die kleine Einladung, der unerwartete Gruß zum Geburtstag oder Namenstag. Selbst Floskeln wie „vielen Dank“ und der „mit freundlichen Grüßen“ können sich als echt entpuppen. Unser Alltagsleben kennt viele Weisen der Dankbarkeit gegen Gott, vom Tischgebet bis zu der brennenden Kerze vor einem Bild Unserer Lieben Frau oder eines Heiligen. Die Liturgie der Kirche ist ganz Gotteslob und -dank. Sie greift die Anregungen der Natur auf und erhebt sie ins Sakrale. Die heilige Messe selbst ist ein Erntedankfest: „Eucharistie“ heißt Dank, Dankgebet. Wenn er die Patene mit der Hostie hält betet der Priester: „Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit.“

Das Erntedankfest ist eine besondere Art urmenschlichen Dankens. Darin kommen wir der Natur in ihrem eigenen Rhythmus nahe, ohne dass wir sie vergotten und ohne in ihr aufgehen. Deshalb rät der hl. Josefmaria: „Gewöhne dich daran, dein Herz viele Male während des Tages in Dankbarkeit zu Gott zu erheben. – Weil Er dir dies und jenes gibt. – Weil man dich verachtet hat. – Weil du das Notwendige hast, oder weil du es nicht hast. – Weil Er seine Mutter, die auch deine Mutter ist, so schön gemacht hat. – Weil Er die Sonne geschaffen und den Mond und dieses Tier und jene Pflanze. – Weil Er jenen Menschen so beredt geschaffen hat und dich so schwerfällig im Wort ... Sage Ihm Dank für alles, denn alles ist gut.“ (Der Weg 268)