Gott wurde Mensch – der Mensch empfängt göttliches Leben

Weihnachten ist etwas Besonderes, weil Gott als Kind auf die Welt gekommen ist. Gott wurde in der Geschichte Mensch, um den Menschen aller Zeiten in Christus etwas von seiner Göttlichkeit zu geben. Thomas Schauff erläutert in einer Meditation diesen „heiligen Tausch“, der in der Weihnachtsliturgie aufgegriffen wird.

Wer kennt nicht die großartige Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens „A Christmas Carol“? Sie handelt von dem geizigen und verbitterten Ebenezer Scrooge, der sich an Weihnachten bekehrt! Sehr schön! Doch viel ansprechender als eine solche Geschichte, weit mehr unter die Haut gehend ist die Schönheit der Liturgie am Weihnachtsfest. Der Unterschied ist aber vor allem, dass es keine Fantasy ist. Die in sehr poetischer Sprache formulierten liturgischen Gebete führen uns zu einer verborgenen Wirklichkeit, die alles umwirft, alles auf den Kopf stellt, was wir bisher gekannt haben. Lassen wir dies auf uns wirken! Feiern wir Weihnachten mit dem reichen Gebetsschatz der Katholischen Kirche!

Die erste Weihnachtspräfation reißt uns mit

Wir beginnen mit der ersten Präfation von Weihnachten. Wir hören und staunen: …indem wir Gott so mit leiblichem Auge schauen, entflammt Er in uns die Liebe zu unsichtbaren Gütern (ut, dum visibiliter Deum cognoscimus, per hunc in invisibilium amorem rapiamur).

„Entflammt“ klingt auf Deutsch ganz nett, im Lateinischen klingt es überwältigend: rapiamur … damit wir hinweggerissen, entrückt werden! Rapi, hingerissen und entrückt werden aus dem Hier und Jetzt – das ist, wie die Kirche selber formuliert, für den Menschen gerade der Sinn dieser göttlichen Anwesenheit. In der Liturgie wird der Beginn des endgültig glückseligen Lebens am Tische Gottes begangen, eine wahre inchoatio vitae aeternae (ein Beginn des ewigen Lebens).1

Die Liturgie kann ein Gotteserlebnis sein

Ein paar Beispiele für dieses Hingerissen-Sein von der Liturgie können uns fast „neidisch“ machen: Eine alte Legende über den Ursprung des Christentums in Russland erzählt, dass sich dem Fürsten Wladimir von Kiew, der auf der Suche nach der rechten Religion für sein Volk war, der Reihe nach die aus Bulgarien kommenden Vertreter des Is­lam, Vertreter des Judentums und Abgesandte des Papstes aus Deutschland vorgestellt hatten, die ihm jeweils ihren Glauben als den rechten und besten anboten. Der Fürst sei bei all diesen Angeboten unbefriedigt geblieben. Der Entscheid sei gefallen, als seine Gesandten von einem feierlichen Gottesdienst zurück­kehrten, an dem sie in der Sophienkirche zu Konstantinopel teil­genommen hatten. Voller Begeisterung hätten sie dem Fürsten berichtet: „Und wir kamen zu den Griechen und wurden dorthin geführt, wo sie ihrem Gott dienen ... Wir wissen nicht, ob wir im Himmel oder auf Erden gewesen sind ... Wir haben erfahren, dass Gott dort unter den Menschen weilt ..."2,

Ebenso eindrucksvoll war die folgende Begebenheit: Der englische Bildhauer Eric Gill, der ungläubig war, hat nach einem Besuch bei den Mönchen auf dem Mont Cesar in Löwen geschrieben: „Als ich hier in Löwen nach der langsamen Prozession der in die Kirche einziehenden Mönche und der darauf folgenden kurzen Stille völlig unvorbereitet und naiv zum ersten Mal das ,Deus in adiutorium meum ...' hörte, erkannte ich mit unfehlbarer Sicherheit, dass Gott existiert und dass er ein lebendiger Gott ist" (Autobiography, S. 486 f.).3

Fragen wir uns gelegentlich: wie feiern wir, die wir Priester sind, die hl. Messe? Wie feiern wir, die wir Laien sind, die hl. Messe mit? Könnte nicht die Weihnachtszeit ein guter Neustart in der liturgischen Frömmigkeit sein?

Die dritte Weihnachtspräfation bringt uns ins Staunen

Hören wir in die dritte Präfation der Weihnachtszeit hinein, und wir sollten aus dem Staunen nicht mehr rauskommen: Durch ihn (sc. den Sohn Gottes) schaffst du den Menschen neu und schenkst ihm ewige Ehre. Denn einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen: dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben. Es ist ein wunderbarer Tausch (mirabile commercium) – eine wunderbare Partnerschaft (mirando consortio)! Was assoziieren wir mit commercium (Tausch)? In der Regel so etwas wie Handelsverkehr … Kommerz … Gewinn … Win-win-Situation… Doch wer gewinnt denn bei diesem wunderbaren Tausch oder was wird gewonnen? Christus gewinnt hoffentlich eine große Schar an Brüdern und Schwestern. Wir, die Christen, gewinnen die göttliche Natur. Spätestens jetzt sind wir mit Verstand und Herz mitten in der Meditation! Eine gute Bitte: Herr, lass uns das ein wenig näher verstehen, dann lernen wir auch der hl. Messe immer andächtiger zu folgen!

Das Wassertröpflein im Wein – Weihnachten als Geste

Eine kleine Beobachtung mag dabei helfen: welche Bedeutung hat die kleine Gebärde bei der Gabenbereitung, wenn der Priester mit einem Löffelchen einen Tropfen Wasser in die relativ große Menge Wein gießt, der bei der Wandlung zum Blut Christi wird? Ursprünglich geht dies einfach auf den alten Brauch der Mittelmeerländer zurück, den Wein nie unvermischt zu trinken pflegten. So bindet uns dieser Tropfen Wasser an den Ursprung der Eucharistie: Wir tun, was Jesus Christus getan hat. Auch durch ein so kleines Zeichen wird sichtbar, dass Eucharistie nicht unsere Erfindung und nicht in unserer Verfügung ist, sondern Mittun und Mitsein mit Jesus Christus, der sie uns geschenkt hat. Mit dem Wassertropfen gehen wir gleichsam zurück in den Abendmahlssaal, um zu tun, was der Herr getan hat. Im Laufe der Geschichte hat man sich immer neue Gedanken über diese kleine Gebärde gemacht.

Wasser steht für den Menschen – der Wein für die Gottheit

Etwa seit dem 11. Jahrhundert fing man an, darin ein Bild des Weihnachtsgeheimnisses zu sehen, gleichsam die weihnachtliche Vorbereitung von Kreuz und Auferstehung, die in der Eucharistie gegenwärtig wird. Die Mischung von Wasser und Wein erschien als eine Auslegung für das große Geheimnis von Weihnachten: Einswerden von Gott und Mensch; für Christus, in dem der wunderbare Tausch geschieht! Gott nimmt Menschennatur an, damit der Mensch an Gottes Natur teilhaben könne. Das armselige Wassertröpflein, das in dem Wein mit seiner Köstlichkeit und Kraft versinkt, erscheint als Darstellung der Menschwerdung. In den Ozean der Gottheit wird das armselige Wesen Mensch hineingenommen. Im Herzen Gottes steht der Mensch.4

Der heilige Tausch sollte sich in jedem Menschen vollziehen

Man begann nun, in jeder Messe zu dieser Vermischung von Wasser und Wein ein Weihnachtsgebet zu sprechen, das auf Papst Leo den Großen (440-461 n. Chr.) zurückgeht. So wurde Betlehem, die Stunde der Menschwerdung, als Anfang des Christusgeheimnisses an den Anfang der eigentlichen Messhandlung gestellt. Bin ich bereit zu diesem mirabile commercium, dazu der absolute Gewinner dieser Win-win-Situation zu werden? Das wunderbar Geschaffene hat Gott »noch wunderbarer erneuert«. Wie geschieht diese Erneuerung des Menschen, nach der heute alle schreien, wie gegensätzlich ihre Standpunkte sonst auch sein mögen? Papst Leo hat vor allem das Großartige dieser Erneuerung gesehen. Gott, der zuerst in der Schöpfung schon den kühnen Schritt getan hat, etwas außer sich zu setzen, Geschöpfe zu bilden, die selbst Geist und Freiheit haben, tut nun einen weiteren, noch größeren Schritt: Er kommt über den Graben, der Schöpfer und Geschöpf trennt. Er wird selbst Geschöpf. Und das Geschöpf wird Gott. Der Ur-Traum des Menschen ist erfüllbar: aus sich heraus-zutreten, alle Schranken hinter sich zu lassen, mit Gott auf Du und Du zu sein, selbst ins Meer der Gottheit einzusinken. Dieses Große, ja, Erregende des weihnachtlichen Geschehens müssen wir bedenken.

Der Mensch wird nur durch Gott groß

Im Christentum geht es nicht um ein Gemeindekränzchen, um eine Freizeitunterhaltung, um einen Wohlfahrtsverband oder um ein politisches Gegenprogramm. Es geht um mehr: Gott hat uns angesprochen. Gott will uns. Wenn wir dies weglassen, wird unser Christentum zu bescheiden und das Menschsein wird zu klein.5 Ja, wir haben richtig gehört: hier können wir endlich mal unbescheiden sein und großtun!

Der Mensch ist ohne Gott allein

Wir feiern Weihnachten: die Geburt des Sohnes Gottes in unserer Welt, der seit aller Ewigkeit Gott von Gott, Licht vom Licht ist, gezeugt nicht geschaffen! Es ist an der Zeit, Vorsätze für diese Weihnachtszeit zu fassen. Werden wir konkret: Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren.6 Die Geburt Christi in jedem von uns! Was also tun? Wenn ich von Christus spreche – weiß ich, von wem ich da rede? Ist mein Herz berührt durch die Liebe, die wirklich Ihn in sich aufnimmt? Gib mir, Herr, den Gedanken, mit dem ich Dich denke! Gib mir das Bewusstsein, dass Du unser Herr und Bruder bist. Es ist schrecklich, allein zu sein in dieser Welt. Und Alleinsein heißt nicht nur, dass man keinen Freund hat oder keine Familie. Allein-Sein heißt in einer Welt stehen, die von Gott abgefallen ist, heißt unter Menschen stehen, die von Gott nichts wissen; heißt unter Dingen stehen, die durch die Sünde von Gott weggeholt worden sind. Das ist die eigentliche Einsamkeit.

Gott zu erkennen steht am Anfang des Glaubens

Bitten wir den heute geborenen Sohn Gottes: erlöse uns nur durch Deine Nähe! Lass uns erkennen, dass wir einen Bruder haben! Dieser Bruder bist Du, der Sohn des ewigen Vaters! Schenk uns diese Gemeinschaft, uns und allen. Gib sie denen, die uns teuer sind! Schenk sie auch denen, die nichts von Dir wissen wollen, und denen, die nichts von Dir gehört haben. Wir wollen diesen Wunsch hinauswünschen in die Welt: Herr, gib allen Menschen, dass sie Dich erkennen, den alleinigen wahren Gott und den Du gesandt hast, Jesus Christus.7

1 Josef Pieper, Liturgie

2 Ratzinger, Mission und Liturgie

3 Yves Congar, Im Geist und im Feuer, S. 138

4 Vgl. Ratzinger, Geist der Liturgie

5 Vgl. ebenda

6 Angelus Silesius

7 Vgl. Romano Guardini, Ansprache in einer Mitternachtsmesse