Gruß an die Mutter und an das neue Jahr

Zum Jahreswechsel eine Betrachtung von Josef Arquer

Manche pflegen am eigenen Geburtstag die erhaltenen Glückwünsche – gleichsam zusammengefasst - an die eigene Mutter weiter zu leiten. Ein schöner, aus dem Herzen kommender Brauch... Etwas Ähnliches geschieht in der Liturgie, wenn eine Woche nach der Feier von Jesu Geburt das „Hochfest der Gottesmutter Maria" die Mutter in die Mitte stellt. In ihrem Schoß hatte sich „als die Zeit erfüllt war“ (Gal 4,4) die heilsgeschichtliche Zeitenwende vollzogen, an die wir Jahr für Jahr denken, nicht nur in der Liturgie, sondern auch am ersten und letzten Tag des Ziviljahres. Denn auch unsere Zeitrechnung registriert dies: Christi Geburt ist die Mitte, die Jahren werden ante Christum natum undpost Christum natum gezählt.

Eine Stelle aus dem Tagesevangelium (Lk 2, 16-21) lässt sich als Hinweis auf den Übergang aus dem festlichen Rhythmus der Weihnachtstage in den Alltag deuten. „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten.“ (v. 20) Sie sind wieder im Alltag. Auch Maria tritt in den Alltag ein. Sie „bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (v. 19). Papst Benedikt übersetzt diese Stelle ein wenig anders und deutet damit mehr an, als nur ein Nachdenken: „Maria bewahrte all diese Wirklichkeiten und setzte sie in ihrem Herzen zusammen. Das Erlebte zusammensetzen, so dass nach und nach die Einzelstücke sich zusammenfügen und das Ganze erscheint. „Das Gedächtnis Marias – kommentiert der Papst – ist zunächst ein Festhalten der Geschehnisse in der Erinnerung, aber es ist mehr als das: ein innerer Umgang mit dem Geschehenen. Dadurch dringt sie in die Innenseite ein, sieht die Vorgänge in ihrem Zusammenhang und lernt sie zu verstehen“ (vgl. Jesus von Nazareth, S. 276).

Zeit, Weisheit und Zeitgeist

Weshalb wird der letzte Tag des Jahres allgemein "Sylvester" genannt? Auch wenn der Grund eher zufällig ist (Papst Sylvester I. starb am letzten Tag des Jahres 335), hat es auch seinen Sinn, dass wir ihn mit unserer bescheidenen Zeitenwende vom alten zum neuen Jahr in Zusammenhang bringen. Denn dieser heilige Papst und Zeitgenosse Kaiser Konstantins hat eine wirkliche Wende erlebt. Als er im Jahre 314 als 34. Nachfolger den römischen Stuhl des Apostels Petrus übernahm, war das so genannte Toleranzedikt von Mailand erst ein Jahr alt. Jetzt durften die Christen endlich in Frieden und ohne Verfolgung leben. Als Papst einer Zeitenwende von universaler Bedeutung ist der heilige Sylvester damit gleichsam der Patron unserer bescheidenden wiederkehrenden Jahreswenden geworden.

Unsere Tage zu zählen lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz (Ps 90, 12). So manches von dieser Weisheit spüren wir bei den Heiligen, die wie unberührt vom jeweiligen Zeitgeist wirken. Denn sie erfahren in ihrem Innern, dass die Zeit aus einer Quelle strömt, die seit der Menschwerdung des ewigen Gottes in unserer Geschichte selbst liegt.

Wie anders die Einstellung jener, die um jeden Preis mit der Zeit gehen und Zeitgemäßheit zum allseits gültigen Prinzip erheben wollen. Ihnen kann man mit der Schrift raten: Wer ständig nach dem Wind schaut, kommt nicht zum Säen, wer ständig die Wolken beobachtet, kommt nicht zum Ernten (Kohelet 11,4).

Heute, jetzt

Vom Glauben her fällt es leicht, die Aufgabe des Augenblicks als das hodie et nunc – das Heute, ja das Jetzt zu erkennen, dass „Dein Wille geschehe“ konkretisiert. Dagegen ist die nostalgische Verherrlichung des Vergangenen wie das Beschwören der Zukunft im Wunschdenken nur Spielarten einer Flucht vor dem Heute und erschweren die Begegnung mit der Realität. „Wie traurig eine Existenz, die keine anderen Sorgen kennt als das Totschlagen der Zeit, das Verschleudern eines gottgeschenkten Schatzes! ... Wie traurig, wenn einer die vielen oder wenigen Fähigkeiten brachliegen lässt, die Gott ihm gegeben hat, damit er den Menschen und der Gesellschaft diene! Ein Christ, der seine irdische Zeit totschlägt, läuft Gefahr, seinen Himmel totzuschlagen, dann nämlich, wenn er sich aus Egoismus zurückzieht, sich versteckt, gleichgültig bleibt. (hl. Josefmaria Escrivá, Freunde Gottes, Nr. 46)

Gott schenkt uns die Zeit als Gegenwart, als ein Heute – er wird sie uns weiter schenken, Stunde für Stunde, solange er will. Die Vergangenheit bleibt im gewissen Sinne gegenwärtig als Erinnerung – an Fehler, die wir vor Gott bereuen, an Wohltaten, die uns zum Dank bewegen, an Verhalten, die uns reicher an Erfahrung machen. Die Zukunft steht vor uns als Ansporn für unsere Hoffnung und unser Gottvertrauen. Aber unser Leben ist Gegenwart – Augenblick für Augenblick. Nur sie können wir heiligen.

Das Ernstnehmen des Heute befreit von überflüssigen Zukunftssorgen. Wer sich denkbare Unglücke und Heimsuchungen ausmalt, lädt sich leicht drückende Lasten auf. Denn Gott schenkt seine Gnade zur Bewältigung von Prüfungen, die er selbst uns sendet – aber nicht von Desastern, die nur in unserer Phantasie existieren. Die Sorgen der konkreten Gegenwart sehen wir im Licht der Hoffnung, im Vertrauen auf seine göttliche Fürsorge. Und die anderen Sorgen, die nicht selten nur eingebildet sind, erkennen wir als lähmende Versuchungen.

So schrieb der Dichter und Dramatiker Andreas Gryphius im 17. Jahrhundert:

Mein sind die Jahre nicht,

die mir die Zeit genommen.

Mein sind die Jahre nicht,

die etwa möchten kommen.

Der Augenblick ist mein,

und nehm ich den in Acht,

so ist der mein,

der Jahr und Ewigkeit gemacht.