Ins Leben gerufen und beim Namen genannt

Anmerkungen zu den Gedenktagen Mariä Geburt und Mariä Namen von Josef Arquer

Wie der Rosenkranz durch die Finger gleiten die Marienfeste durch das Jahr und mildern die Monotonie des Alltags mit zarten Synkopen.

Der 8. September ist Mariä Geburt. Nur von zwei Heiligen feiert die Kirche den irdischen Geburtstag: von der Mutter des Herrn und von Johannes dem Täufer. Johannes wurde im Schoße seiner Mutter Elisabeth geheiligt. Maria hingegen war makellos und voll der Gnade vom Augenblick ihrer Empfängnis im Schoße ihrer Mutter Anna an. Maria war und blieb frei von Sünde, ein vollkommenes Geschöpf. Daran erinnert – neun Monate von Mariä Geburt zurück gezählt – das Hochfest ihrer unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember.

Es heißt, dass der liturgische Ursprung des Festes Mariä Geburt auf die Weihe der Sankt-Anna-Kirche in Jerusalem zurückgeht. Dort soll unter dem heutigen Kirchenbau aus dem 11. Jahrhundert das Haus von Marias Eltern Anna und Joachim gestanden haben, wo Maria auch geboren worden sei – entgegen einer anderen Überlieferung, die Nazaret als Geburtsort Mariens nennt.

Am Anfang der eigenen Geschichte

Mit der Geburt tritt ein Mensch, von Gott nach seinem ewigen Plan berufen, im voraus erkannt und im voraus dazu bestimmt, am Wesen und Gestalt Christi teilzuhaben (vgl. Röm 8, 28-29) in die Geschichte ein und beginnt, selbst Geschichte zu gestalten: die eigene und – zumeist im Kleinen – die Geschichte des eigenen Umfelds. Schritt für Schritt erlangt das Leben Konturen.

Maria war vierzehn oder fünfzehn, als sie das Warum ihrer Geburt, den Sinn ihres Lebens erfuhr und „endgültig in das Geheimnis Christi eingeführt“ wurde (Johannes Paul II, Enzyklika Redemptoris Mater, Nr. 8).

Das Jawort Marias eröffnet den Neuen Bund. In dem Augenblick, da sie ihre eigene Berufung entdeckt, entsteht die christliche Berufung überhaupt als Berufung zur Nachfolge Christi. Die Antwort ist uns wohl vertraut, wir haben sie uns selbst betend zu eigen gemacht: Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hat (Lk 1,37).

Die Kraft des Namens Der Name der Jungfrau war Maria (Lk 1,27). Es liegt nahe, dass die Kirche im Rhythmus ihrer Liturgie den Gedenktag Mariä Namen am 12. September feiert – nur vier Tage nach Mariä Geburt. Denn der Eintritt in die menschliche Gemeinschaft wäre ohne einen Namen ein Wegtauchen ins Anonyme.

Der historische Hintergrund für die Feier Mariä Namen ist ein Ereignis, das „die europäische Kultur und die Christenheit Europas gerettet und sich tief in seine Geschichte eingeschrieben hat“ (Johannes Paul II.): Am 12. September 1683 ritt das Entsatzheer des polnischen Königs Jan Sobieski von den Höhen des Wienerwaldes hinab und beendete so die Belagerung Wiens durch die Türken, die seit Juli gedauert hatte. Zu Erinnerung an diesen Sieg führte Papst Innozenz XI. das liturgische Fest Mariä Namen ein.

„Der Name drückt das Wesen, die Identität der Person und den Sinn ihres Lebens aus“ („Katechismus der katholischen Kirche“, Nr. 203). Der Name ermöglicht die Kommunikation, schafft den Brückenschlag zum Mitmenschen. Ich rufe jemanden beim Namen, wenn ich ihn kenne. Einen Unbekannten kann ich nur unpersönlich anreden: „Eh, Sie da!“ An Orten der Unmenschlichkeit tritt an die Stelle des Namens eine Nummer – eine Absage an das Personsein des Menschen, eine symbolische Auslöschung seiner humanen Existenz. Überlebende aus dem Konzentrationslager nennen eine besonders erniedrigende Erfahrung.

Weniger auffällig und gleichsam schmerzlos reißt uns die geschäftige Betriebsamkeit in die Anonymität. Als „Fahrer des grauen Golf“ nehme ich keine Rücksicht und als „Blinddarm auf Zimmer xy“ erfahre ich keine Zuwendung. Das Gespür für Gewissen gegenüber Gott und für Eigenverantwortung gegenüber der Gesellschaft verdämmert ins kollektive Namenlose.

Zwischen den Zeilen der Schöpfungserzählungen im Buch Genesis erfahren wir etwas über die Kraft und die Verantwortung, die mit dem Namen gegeben ist. Gott erschafft nicht nur, er gibt allen Geschöpfen ihren Namen (vgl. Gen 1,3-9). Kraftvoll heißt es da: Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. … Gott nannte das Gewölbe Himmel. ... Das Trockene nannte Gott Land und das angesammelte Wasser nannte er Meer. Das poetische Bild ist von theologisch-spiritueller Tiefe, wo es heißt, Gott habe dem Menschen beauftragt, sich am Werk der Namensgebung von Lebewesen zu beteiligen: Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. (Gen 2,19-20)

Marienlob: Orte und Worte

Eines Tages rief eine Frau aus der Menge Jesus zu: Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat. (Lk 11,28)

Wie ein Echo dieses Segensspruches hat sich durch die Jahrhunderte überall die Marienverehrung entfaltet: in Liturgie und Brauchtum, in Musik, Malerei, Skulptur und in Dichtung, Gebeten, Hymnen, Liedern und Legenden.

Papst Johannes Paul II spricht von den Wallfahrtsstätten der Welt als einer „Geografie des Glaubens und der marianischen Frömmig- keit“ (Redemptoris Mater 28): Lourdes und Fatima, Altötting und Kevelaer, Mariazell und Einsiedeln, Saragossa und Montserrat, Guadalupe und Loreto, Walsingham und Tschenstochau... Die Gläubigen verbinden die Gnadenbilder der Gottesmutter mit eigenem Erleben und Leiden, mit Erlebnissen und Erinnerungen der Familie, mit Schicksalsstunden ihres Volkes, mit Geschichte, Landschaft, Heimat...

Unsere alten Mariengebete. Manche von ihnen sind ein Ruf des Herzens, überschwänglich, jenseits der Strenge der Liturgie und der Präzision der Theologie. Im Salve Regina vom Ende des 11. Jahrhunderts ist Maria die Mater misericordiae und Vita, dulcedo et spes nostra... Mutter des Erbarmens, Leben, Wonne und Hoffnung…

Andere entfalten sich als Litaneien. Am bekanntesten ist die Lauretanische Litanei, die in Loreto entstand und die der hl. Petrus Canisius im 16. Jahrhundert besonders bekannt gemacht hat. Wie gut, wenn wir Maria mit frischem Herz und offenem Sinn sagen: Virgo, Mater, Regina! Du bist Jungfrau und Mutter, Du bist Königin! Königin der Engel, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der Märtyrer, der Bekenner, der Jungfrauen und aller Heiligen! Und auch – erst vor etlichen Jahren hinzugefügt: Du bist die Königin der Familie! Und schließlich, drängend, die Not unserer Zeit vor Augen: Du Königin des Friedens, bitte für uns!