Ist der Vater das Oberhaupt der Familie?

Der Publizist Jürgen Liminski spricht im Münsteraner Bildungszentrum Widenberg über den Vater als „Garanten der emotionalen Stabilität in der Familie“.

Eine so knifflige Frage wie „Ist der Vater das Oberhaupt der Familie?“ kann eigentlich keiner (richtig) beantworten. Auf jeden Fall nicht vor Zuhörern, noch weniger in einer schriftlich fixierten Form. Beides tut Jürgen Liminski. Er schreibt Bücher, und er hält Vorträge. Am 24. Mai zum Beispiel im Bildungszentrum Widenberg in Münster.  

Wie gewinnt ein kluger Mann Erkenntnisse bei einem kontroversen Thema? Er macht eine Umfrage. Liminski fing bei den eigenen Kindern an. Das sind zehn. Annabelle, die Älteste, antwortete: „Der Vater ist schon das Oberhaupt. Aber nur zusammen mit der Mama. Das ist o.k.“ Der zweite ergänzte in der sofort ausbrechenden Diskussion: „Wir müssen schon Respekt haben. Aber wir dürfen keine Angst haben.“ – Wie das denn konkret aussehe? „Man muß immer alles fragen können.“  

Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit 

Ausgehend von diesen Vorlagen seiner Kinder entwickelte der Journalist beim Bonner Deutschlandfunk seine Gedanken zum Thema „Der Vater zählt“. Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit. Die klassischen drei „Z“ der Pädagogik Pestalozzis, seien weiterhin der Schlüssel erfolgreicher Erziehungsarbeit. Und zwar durch beide Eltern, wenn irgend möglich.  

Also sollte man die Dreier-Beziehung Mutter-Vater-Kind wieder ernster nehmen. Der Psychologe Horst Schetelig beschreibe diese so: „Die Verschiedenheit und nicht die Gleichheit von Vater und Mutter erleichtert die Ich-Findung und Identifikation mit dem eigenen Geschlecht. Die Präsenz des Vaters ist heute umso wichtiger, als die Medien, insbesondere das Fernsehen, die Identifikations- und Vorbildfunktion erheblich erschweren. Fast immer sieht man die Männer als monströs kämpfende Helden oder als Versager, als Liebhaber oder als Verbrecher, höchst selten aber als liebende Väter. Hinzu kommt, daß es im Kindergarten und in der Grundschule kaum männliche Erzieher gibt. In den ersten zehn Jahren haben die Kinder es fast ausschließlich mit Frauen zu tun, als Mutter, Erzieherin, Lehrerin. Da sollten die Väter wenigstens in der Familie präsent sein.“ 

Kinder mit Vätern haben mehr Selbstvertrauen 

Seltsam findet Liminski, daß den fast hundert Lehrstühlen für Frauenforschung in Deutschland kein einziger für Väterforschung gegenübersteht. Dabei wisse die Psychologie, daß der Vaterfaktor bei der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes nachhaltiger zu Buche schlägt, als bisher angenommen. 

Der Psychologe Henry Biller („ The Father Factor“) spricht davon, daß Kinder mit Vätern mehr Selbstvertrauen in einer Gemeinschaft hätten, sie insgesamt unabhängiger und verantwortungsvoller seien und schneller mit neuen Situationen fertig würden. Auch erzielten sie bessere Ergebnisse bei Intelligenz- und Geschicklichkeitstests. Das liege daran, daß Mann und Frau unterschiedlich mit Kindern umgingen und das Kind so mit einer umfangreicheren Palette an Erfahrungen konfrontiert würde. Wenn der Vater fehle, sei die emotionale Stabilität der einzelnen Familienmitglieder und der Familie selbst geschwächt und ungeschützter. Der Vater ist eben, so Liminski, ein integrativer Teil der Familie.   

Emotionale Stabilität schaffen 

Wunderbar habe der Psychotherapeut Wolfgang Bergmann in seinem jüngsten Buch „Disziplin ohne Angst“ das familiäre Beziehungsgeflecht beschrieben: „Kinder brauchen die Mütter und ihre Bindungsinnigkeit, um sich den Vätern vertrauensvoll zuzuwenden. Und sie benötigen die Geborgenheit beim Vater, um befreit zum Mütterlichen zurückzukehren. – Oder anders: Die Vermischung des Männlichen und Weiblichen ist eine seelische und körperliche Basis für ein glückliches Kinderleben.“ Dieses sich gegenseitig Ergänzen schaffe emotionale Stabilität.  

Zustimmend zitierte Liminski den Soziologen Alexander Mitscherlich. Der habe schon vor über 50 Jahren vor der „Entleerung der Autorität“ gewarnt. Der klassenlose Massenmensch habe den Vater sowohl als Vorbild wie als Quelle der Autorität verworfen. Es fehle „die verbindliche, anschauliche väterliche Unterweisung im tätigen Leben“, die „verläßliche Tradition“ entfalle, weshalb man sich mehr am Verhalten der Altersgenossen orientiere. „Die peer group wird zur Richtschnur des Verhaltens“. Das habe gravierende Folgen für den Strukturaufbau der Gesellschaft. Denn die komme nicht ohne Autoritäten aus. Es müßten aber Autoritäten sein, die dienen und nicht herrschen. Soweit Mitscherlich. 

Der Vater ist der Stammspieler 

Für Liminski fängt die Anerkennung von Autoritäten in der Familie an. Auch deshalb ist „die Familie der Kern aller Sozialordnung“ (Benedikt XVI.). Die Familie – also Vater, Mutter, Kinder – sieht der Bonner Publizist als die Quelle der dienenden Autorität, des Gemeinsinns und der Solidarität. Das Kind brauche nun einmal im Normalfall beide Eltern. „Deshalb kann es für den Vater vielleicht Ersatzspieler und Ersatzmänner geben, das Original, der Stammspieler, bleibt die natürlichste und sicherste Variante. Er sollte in Forschung, Arbeitswelt und Leben nicht weiter auf die lange Bank gesetzt werden.“ 

von Hartwig Bouillon