Jesu letzte Geste - Wegweiser durch die Zeit

Zum Hochfest Christi Himmelfahrt eine Betrachtung von Josef Arquer

Wieder das Staunen, wie vierzig Tage davor am Ostersonntag. Damals war der Herr plötzlich da – bei verschlossenen Türen. Jetzt ist er da – mitten in einer grünen Landschaft, auf freiem Felde.

Damals gebar das Staunen jubelnde Gewissheit: Der Gekreuzigte und Begrabene lebt, seine Wunden „leuchten in Herrlichkeit“ (Ostervigil). Jetzt folgen dem Staunen widerstreitende Gefühle: Trauer und Freude, Ratlosigkeit und Begeisterung, Ungewissheit und Zuversicht … Denn der Herr hat die Seinen diesmal ins Freie hinausgeführt, nicht um sie durch Gleichnisse zu belehren, sondern um sie in eine völlig neue Situation zu versetzen. Ein schwerer Auftrag: Ihr werdet meine Zeugen sein. Und ein Abenteuer. Denn sie werden sich nicht mehr an den Meister wenden können, wenn sie einmal nicht klarkommen. Seine Verheißung steht: Ihr werdet mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werden. Aber er nimmt Abschied.

Er erhob seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben (Lk 24,50–51).

Ein Segen ist die letzte Geste des Herrn auf Erden. Sie besiegelt wirkmächtig den Auftrag – weit, breit, universal wie die ausgebreiteten Arme Jesu: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden…. Was dann folgt, ist umfassend, absolut: zu allen Völkern sollen sie gehen, und alle Menschen zu Jüngern machen, und sie alles lehren… Und ein letztes Alles: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Er wurde vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken (Apg 1,8–9).

Natürlich wissen wir, dass das kein räumliches Geschehen, kein Flug nach oben ist. Es ist nicht der Eintritt in eine andere Räumlichkeit „über den Wolken“, „jenseits“ der Wolken. Wie an anderen Stellen der Heiligen Schrift verweist die Wolke auf das Geheimnis. Der Herr tritt ein in eine neue, uns von der Natur her unerreichbare Dimension. Nicht Raum und Maß bestimmten sie, sondern Weite und Vollendung: Leben, Licht, Erkenntnis, Wahrheit, Schönheit … – und Freude in Fülle.

Die „Erhöhung des Herrn“ – so die eigentliche liturgische Bezeichnung des Festes – ist das letzte fassbare Geschehen im Leben Jesu auf Erden, die Krönung des erlösenden österlichen Geheimnisses. Jesus kehrt zum Vater heim, nicht um uns Menschen zu verlassen, er gibt den Gliedern seines Leibes die Hoffnung, ihm dorthin zu folgen, wohin er als erster vorausging (Präfation). Wir sind alle gerufen, an diesem Leben in Fülle teilzuhaben. Über der Vergänglichkeit unserer Geschichte erhöht, thront er zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen in Macht und Herrlichkeit am Ende der Zeiten.

Erst das Wort der Engel reißt die Jünger aus ihrem Staunen: Ihr Männer von Galiläa, was steht Ihr da und schaut zum Himmel empor? Vielleicht schwingt da zwischen mitfühlend und sachlich ein leiser Unterton mit, als hieße es: Versteht Ihr nicht, dass Ihr jetzt selbst dran seid? Tiefer ausgedrückt, so wie sie es nach Pfingsten erfasst haben werden: Merkt doch, dass jetzt die Zeit der Kirche beginnt, die Christus durch euch überallhin tragen soll!

Mit Christi Himmelfahrt beginnt unsere Zeit, die Zeit der Kirche, der Mission, des Zeugnisses eines jeden und einer jeden. „Das heutige Fest erinnert uns daran, dass der Eifer für die Seelen ein liebenswertes Gebot des Herrn ist, der uns bei seiner Himmelfahrt in die ganze Welt hinaus sendet“ (hl. Josefmaria Escrivá, Christus begegnen, 122)

Die Jünger kehren nach Jerusalem zurück mit großer Freude (Lk 24, 52). Inzwischen kannten sie ihre Grenzen und wussten: Nicht aus dem eigenen Inneren, aus der aufbrechenden Begeisterung und Freude sollte die Kraft kommen, sondern von oben: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen (Apg 1,8). Sie bereiten sich darauf vor, wir stimmen uns heute ein: Veni, Sancte Spiritus – komm Heiliger Geist. Veni, Creator Spiritus – komm Schöpfer Geist, erneuere uns und erneuere das Angesicht der Erde, unserer Erde.

von Josef Arquer