Mutter der Kirche: Das Mosaik über dem Petersplatz

Das Marienmosaik unter dem Titel "Mater Ecclesiae" ist jüngeren Datums. Zusammen mit der Inschrift Totus Tuus belegt es die liebende Verehrung des seligen Johannes Paul II. zur Gottesmutter. Ein damals Beteiligter erzählt.

Ich hatte das Glück, aus der Nähe zu erleben, wie das Bild zustande kam. Es belegt die besondere Beziehung von Johannes Paul II.  zu jungen Menschen und seine große Dankbarkeit gegenüber der Mutter Gottes. 

In der Karwoche 1980 empfing Papst Johannes Paul II. mehrere Tausend junge Leute, die in Rom am UNIV teilnahmen, einem jährlichen Treffen von Universitätsstudenten aus aller Welt, die in ihrer Heimat Zentren des Opus Dei besuchen. UNIV findet bereits seit 1968 statt und verbindet seither die Feiern der Kar- und Ostertage mit kultureller Fortbildung in der Ewigen Stadt. 

Gegen Ende der Audienz sagte einer der Teilnehmer namens Julio Nieto dem Heiligen Vater, dass er die Heiligenstatuen auf den Kolonnaden des Petersplatzes eingehend betrachtet und dabei ein Bild der Muttergottes vermisst hätte. Der Platz sei also unvollständig. „Gut, sehr gut! Der Platz muss vervollständigt werden“, antwortete Johannes Paul II.

Davon erfuhr Don Álvaro Del Portillo, der Nachfolger des hl. Josefmaria Escrivá an der Spitze des Opus Dei, und wollte dazu beitragen, den Wunsch des Heiligen Vaters in die Tat umzusetzen. Deshalb bat er mich als Architekten, darüber nachzudenken und ihm einen Vorschlag für eine Darstellung der Muttergottes auf dem Petersplatz vorzulegen. Er fügte noch hinzu, das Bild könnte den Titel „Mater Ecclesiae“ (Mutter der Kirche) bekommen. Ich arbeitete damals in Rom und wohnte in der Nähe Del Portillos am Zentralsitz des Opus Dei. 

Nach mehreren Besuchen auf dem Platz übergab ich ihm etliche Wochen später ein Projekt mit entsprechende Fotomontagen und Zeichnungen. Es sah vor, ein Mosaik der Muttergottes in ein zugemauertes Giebelfenster auf der schmalen Stirnseite des Palastanbaus zwischen dem Damasushof und den Kolonnaden zu setzen. 

Der Heilige Vater erhielt das Projekt am 27. Juni 1980 und längere Zeit später nochmals durch seinen damaligen Sekretär Msgr. Stanislaw Dziwisz. Die Präsentation enthielt Zeichnungen und Fotografien mit entsprechenden Erläuterungen.

Einige Monate danach fielen die Schüsse auf Johannes Paul II., die der Papst nach seinen eigenen Worten durch den Beistand Mariens überlebte. Als Zeichen seiner Dankbarkeit wollte der Heilige Vater am Petersplatz ein Marienbild anbringen lassen und beauftragte die zuständige vatikanische Behörde damit, die dann das vorgeschlagene Projekt realisierte.

So wurde das Mosaik nach einer historischen Vorlage gefertigt, der „Madonna della colonna“ im Petersdom. Der Name erinnert daran, dass auf einer Säule von Alt-Sankt-Peter ein Marienbild gemalt war, das beim Abriss der konstantinischen Basilika mitsamt einem Stück der Säule in den neuen Petersdom übertragen worden war. 

Eine Kartusche unter dem neuen Mosaik trägt den Bildtitel „Mater Ecclesiae“, wie ihn Don Álvaro vorgeschlagenen hatte. Auch er hat einen historischen Hintergrund: Als Papst Paul VI. im November 1964 den Abschluss des II. Vatikanischen Konzils ankündigte, gab er zugleich seine Entscheidung bekannt, „die Jungfrau mit dem Titel Mutter der Kirche, Mater Ecclesiae“ zu ehren. Dazu erläuterte der Papst: „Dieser Titel hilft uns, die Muttergottes als liebevolle Königin der Welt zu feiern. Als mütterliches Zentrum der Einheit, als Hoffnung unserer Erlösung.“ 

Das Mosaik wurde am 7. Dezember 1981 angebracht, und Johannes Paul II. segnete es am folgenden Tag nach dem Angelusgebet. Dabei brachte er seinen Wunsch zum Ausdruck, „

Der Vorlage-Karton, nach dem das Mosaik ausgeführt wurde.

„dass jeder Besucher des Petersplatzes seinen Blick auf sie richten möge, um sie mit kindlichem Vertrauen zu grüßen und zu ihr zu beten”. 

Ein paar Tage später erfuhr ich, dass der Papst Don Álvaro Del Portillo zur Konzelebration in seine Privatkapelle und zum anschließenden Frühstück eingeladen hatte, um ihm für seine Initiative vom Vorjahr zu danken. Außerdem ließ ihm der Heilige Vater den Vorlage-Karton schenken, nach dem das Mosaik ausgeführt worden war. Er befindet sich jetzt im Zentralsitz der Prälatur Opus Dei.

Später kam mir immer wieder in den Sinn, dass dieser Vorgang ein kleiner Beleg für die besondere Beziehung des seligen Papstes Johannes Paul zur Jugend ist. Es ist doch erstaunlich, dass die schlichte Bemerkung des Papstes gegenüber einem Studenten „der Platz muss vervollständigt werden“ anderthalb Jahre später Wirklichkeit geworden war.

nach Javier Cotelo // L'Osservatore Romano, 14-VI-2011