Schöne kleine Schwester Natur

Erntedank im Oktober, eine Betrachtung von Josef Arquer

Weder ein geradezu mystischer Sonnenuntergang noch ein herbstlich glühender Wald können den Dank entgegennehmen, den heraus- zuschreien wir uns gedrängt fühlen. Sie sind kein Jemand. „Die Natur“ mag in Büchern und Fernsehsendungen „planen“ und „entwerfen“. Sprechen können wir aber nicht mit ihr. Und ihr danken genauso wenig.

„Die Erde hat ihre Frucht gebracht. Gott, unser Gott hat uns gesegnet.“ (Ps 67 ,7) Wie menschlich ist die Reaktion des Psalmisten! Nicht bloß feststellen, dass die Früchte der Erde da sind, sondern dankbar den Schöpfer erspüren. Mit ihm können wir wohl sprechen – uns aussprechen.

Worüber? Sicher auch über die Schönheit der Natur. G. K. Chesterton bemerkt, geistreich wie immer: „Die Natur ist nicht unsere Mutter, sie ist unsere Schwester. Auf ihre Schönheit können wir stolz sein, da wir denselben Vater haben; Gewalt jedoch hat sie nicht über uns.“

Wir erkennen uns dankbar als Bild und Gleichnis Gottes. Dazu gehört die Herrschaft über die Dinge der Natur und die Fürsorge um sie in dem Wissen, dass sie Gabe Gottes an uns sind, kein bloßes Verfügungsmaterial. Sie besitzen, wenn auch keine „Würde“, so doch ihr gottgegebenes eigenes Sein und Wesen.

Christen haben viel tiefere Begründungen für den Umwelt- und Naturschutz als es manche kurzatmigen, pantheistisch angehauchten Argumente sind, die nach Gleichmacherei riechen und sich – konsequent weitergedacht – am Ende gegen den Menschen wenden könnten. Indem wir alles in der Natur als unsere Mitgeschöpfe betrachten, sind wir vor der Gefahr gefeit, sie zu vergotten. Vielmehr erkennen wir dankbar, dass wir sie überschreiten. Wir sind mehr als ein Stück Materie.

Geschichte in der Zeit, nicht bloß Dauer

Unser Leben ist nicht dem Zeitmaß blinder Naturkräfte ausgeliefert wie der Lauf der Gestirne und der Jahreszeiten. Unsere Zeit ist anders als die bloße Dauer in der Natur. Wir haben Geschichte, unwiederholbare Geschichte. Wir sind wirklich unterwegs, nicht ziellos, sondern auf Gott hin geschaffen und zur vollen Teilnahme an seinem Leben berufen. Deshalb dürfen wir rückblickend danken und können in die Zukunft blickend hoffen.

Dennoch: Kann man zu einer Zeit, da man im Supermarkt und per Internet einkauft, für die Gaben der Natur danken? Sicher erfordert dies ein Gespür für Innerlichkeit und Tiefe. Danken kann nur ein Mensch, der sich als Empfangender versteht, nicht als Macher. Der Macher ist versucht, auch sich selbst zu „machen“ – seine Gesundheit etwa als sein Heil. Im Gegensatz zu diesem verkrampften, schwerfälligen, würgenden Unterfangen steht die Einstellung desjenigen, der weiß, dass er nicht als Besitzschaffender geliebt wird, sondern als Bedürftiger.

Wie zu dieser Zuversicht gelangen? Wie dem geistlosen Machen entkommen? Ein Weg dazu dürfte sein, „Selbstverständliches“ – die kleinen Dinge des Alltags – mit neuen Augen zu sehen. Wahrscheinlich geht uns dann auf, dass es Vieles gibt, wofür wir danken können. Meistens entdecken wir dies im Umgang mit anderen: eine freundlich gegebene Auskunft, die gewährte Gastfreundschaft, der unerwartete Gruß zum Namenstag oder zum Geburtstag ... Selbst das floskelhafte „Vielen Dank“ wird dann zum geistigen Ein- und Ausatmen.

Erntedank im eigenen Leben

Streng genommen ist das „Erntedankfest“ kein liturgisches Fest. Denn „in der Liturgie der Kirche bezeichnet und verwirklicht Christus vor allem sein Pascha-Mysterium“ (Katechismus der Katholischen Kirche 1085).

Aber natürlich gibt es das Fest „Erntedank“ in einem weiten Sinne. Meistens wird es am letzten Sonntag im September oder am ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Jedoch kann das Datum je nach der geographischen Breite bis hin in die Nähe des Martinstages am 11. November geraten. So heißt an manchen Orten der erste Wein eines Jahrgangs „Martinsminne“.

Unser Alltagsleben kennt viele Gestalten der Dankbarkeit gegen Gott, vom Tischgebet bis zu der brennenden Kerze vor einem Bild Unserer Lieben Frau oder eines Heiligen. Solche Bräuche können helfen, im eigenen Leben Gründe zum Dank zu entdecken: „Gewöhne dich daran, dein Herz viele Male während des Tages in Dankbarkeit zu Gott zu erheben. – Weil Er dir dies und jenes gibt. – Weil man dich verachtet hat. – Weil du das Notwendige hast, oder weil du es nicht hast. – Weil Er seine Mutter, die auch deine Mutter ist, so schön gemacht hat. – Weil Er die Sonne geschaffen und den Mond und dieses Tier und jene Pflanze. – Weil Er jenen Menschen so beredt geschaffen hat und dich so schwerfällig im Wort ... Sage Ihm Dank für alles, denn alles ist gut.“ (Josefmaria Escrivá, Der Weg 268)

Die Liturgie der Kirche ist ganz Gotteslob und -dank. Sie greift die Anregungen der Natur auf und erhebt sie ins Sakrale. Die Heilige Messe selbst – „Eucharistie“, das heißt Dank, Dankgebet – ist ein Erntedankfest. Der Priester erhebt die Patene mit der Hostie und betet dabei: „Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit.“

Das Erntedankfest ist eine sympathische Art, der Natur nahe zu sein, ohne sie zu vergötzen und ohne in ihr aufzugehen. Die Theologie der Schöpfung wird im eigenen Leben konkret.