Sehnsucht nach dem Geist

Eine Pfingstbetrachtung von Josef Arquer

Als die Jünger nach der Himmelfahrt des Herrn „in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben“ (Apg 1,13). Nach einer alten Tradition war dieses Obergemach derselbe Raum, in welchem Jesus die Eucharistie eingesetzt und seine Worte des Abschieds gesprochen hatte. Wie anders wird ihnen alles vorgekommen sein, als sie den Raum wieder betraten! Der Tisch, die Polster, die Fenster – jeder Gegenstand erinnerte an die Gesten und Worte des Herrn beim „letzten Abendmahl“ vor einigen Wochen. Aber jetzt ist ihre traurige Ratlosigkeit bezwungen durch den Anblick des Auferstandenen. Eine Spur Trauer mag dennoch verblieben sein. Denn sie wissen, dass sie ihn nicht mehr im Glanz seines verherrlichten Leibes sehen werden. Er hat Abschied genommen und sie in eine neue Aufgabe eingeführt: „Ihr werdet meine Zeugen sein... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8).

Ein rätselhaftes Wort begleitete den Auftrag: „Wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. (...) Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird.“ (Apg 1,4. 8) – Wer ist dieser von Jesus verheißene Helfer? „Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (vgl. Joh 14,16; 18, 26). Sicher ahnten die Jünger, dass hinter allem, was sie mit ihren Augen gesehen und mit ihren Ohren gehört hatten während der Zeit, da sie beim Herrn waren, eine verborgene Wirklichkeit lag, eine neue Dimension. Nun wird ihnen in einem neuen Licht eine neue Sicht verheißen. Deshalb ist ihr Beten von Sehnsucht, Ungeduld, wahrscheinlich auch von Neugier und Vorfreude geprägt. Wer ist dieser „Heilige Geist?“

Veni! – Komm!

Die liturgischen Hymnen von Pfingsten wollen die Atmosphäre, die damals in der Anfangsstunde der Kirche herrschte, ins Heute vergegenwärtigen. Sie lassen uns Anwesenheit und Wirken von Gottes Geist in der Kirche heftig erbeten: Veni, Komm! Du, Creator Spiritus, Schöpfergeist! Du, Sancte Spiritus, heiligender Geist! – Im „Veni Sancte Spiritus“ heißt es, die „lux beatissima“, das beseligende Licht möge „cordis intima“, die Herzensmitte der Gläubigen erfüllen.

Im „Veni Creator Spiritus“, im deutschen Raum im 9. Jahrhundert entstanden, ist das strahlende österliche Licht zugleich fons vivus, ignis, caritas et spiritalis unctio – lebendige Quelle, Feuer, Liebe und Salbung im Geiste“. Wasser und Feuer... Hier sind sie kein Gegensatz. Beide zusammen reinigen, verlebendigen und entflammen Sinne und Gemüt: „Accende lumen sensibus, infunde amorem cordibus – zünde an ein Licht in den Sinnen, flöße Liebe in die Herzen ein!

Der Heilige Geist, Gott und Liebesband innerhalb der Dreifaltigkeit, wirkt in uns, schafft Leben, erleuchtet den Verstand, stärkt den Willen und zündet in den Sinnen ein Licht an. In einem poetisch-lyrischem Exkurs ließe sich zur Reihenfolge anmerken, wie zuerst Licht für die Sinne, dann Liebe für die Herzen erbeten wird. Dies ist ja der normale Weg zur Erkenntnis der Dinge: Durch Sehen, Hören, Berühren gelangt man zum Erkennen, Empfinden, Lieben... – und zur Schönheit der Schöpfung, die dann selbst den Pfad zum Übernatürlichen andeutet und Gott zu lobpreisen vermag. Wenn wir auf diesem Wege weitergehen, öffnet sich unser Geist für das eigentliche Geheimnis des Menschen. Es ist das Geheimnis der Gotteskindschaft.

Abba, Vater!

Es ist der Heilige Geist, der uns sagen lässt: „Abba, Vater!“ „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.“ (Röm 8,26)

Anders gewendet: Der Heilige Geist ist jener, der hilft unsere Worte des Gebetes zu vertiefen. Ein mündliches Gebet wird dann nicht nur hergesagt, es wirkt im Gemüt. Ein Stoßgebet wird dann zum Gebet des Herzens. Das Wort, äußerlich gesprochen, ist die Kleidung des hoffenden Glaubens und der Sehnsucht.

Im Gegensatz dazu steht das ungeduldige „Wie lange noch?“ Oder die störende Frage nach dem Nutzen: „Wozu?“ „Hat das einen Sinn“? „Hilft mir das?“ Es sind Einstellungen, die die Perspektive verzerren, weil so das Beten nicht von der Sehnsucht nach der Nähe Gottes, bestimmt wird, sondern vom Aktivismus. Diese Haltung macht es schwer, sich auf ein stilles Gebet einzulassen.

Der hl. Josefmaria deutet dies an: „Der Heilige Geist will mit seinen Eingebungen unseren Gedanken, Werken und Wünschen einen übernatürlichen Ton verleihen. Er treibt uns dazu an, die Lehre Christi zu bejahen und uns zutiefst anzueignen, Er erleuchtet uns, damit wir uns unserer persönlichen Berufung bewusst werden, und stärkt uns, damit wir tun, was Gott von uns erwartet. (...) Wenn wir uns von dem in uns wohnenden Lebenshauch, dem Heiligen Geist, leiten lassen, wird unser geistliches Leben immer weiter wachsen; wir werden uns dann der Hand Gottes, unseres Vaters, mit der Spontaneität und dem Vertrauen eines Kindes überlassen, das sich in die Arme seines Vaters wirft.“ (Christus begegnen, 135)

Der Heilige Geist ist „der Geist der Wahrheit“ (Jo 14,17); so nennt ihn der Herr. In der Kraft seines Wirkens behält der gottgeschenkte Glaube klare Konturen trotz der wechselnden Strömungen der Zeit: Ja zu Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und nicht bloß „dem guten Menschen von Nazaret“. Ja zum dreifaltigen Gott, nicht als „bildhafter Ausdruck der Transzendenz“, sondern als unerschöpfliche Fülle eines Lebens, zu dem der Mensch gerufen ist. Ja zur Kirche, die eine „komplexe Wirklichkeit“ ist – so das II. Vatikanische Konzil – vom Göttlichen und Menschlichen - und zugleich liebenswert als Mutter. Und Ja zu einer Moral, die die innere Wahrheit des Menschen ernster nimmt als die äußeren Reize der Zeiten und deshalb fordert, Farbe zu bekennen, Schuld einzugestehen, das Versagen in Kauf zu nehmen – mit dem Blick fest gerichtet auf die Barmherzigkeit Gottes, das mühsame Gute zu erstreben und zu tun.

Maria im Kreis der Jünger

Am Pfingsttag hat sich ein Kreis von ungeduldigen, unerfahrenen Betern versammelt. In ihrer Mitte steht eine, die sich auskennt. Sie weiß, was das ist: Umgang mit dem Heiligen Geist – und was Beharrlichkeit heißt. Die Erfahrung mit dem Geist stand am Anfang ihrer Berufung als Gottesmutter. Jetzt, etwa dreißig Jahre danach, mag sie oft in die Vergangenheit schauen: Die Dunkelheit von damals hat sich gelichtet, aber das Geheimnis steht noch mitten in seiner Entfaltung. Und sie schaut in die Zukunft: Nur langsam erhalten all’ die prophetischen Aussagen Kontur, in denen von einem neuen Volk die Rede ist, das alle Grenzen von Rasse, Raum und Zeit sprengen soll. Sie weiß, dass eine neue Geburt bevorsteht. Damals in Bethlehem wurde Er geboren, jetzt soll hier im Abendmahlssaal seine Kirche ins Licht treten.

Maria lehrt die Jünger damals und uns heute was es heißt, auf den Geist hören. Sie lehrt ihn als Person erfahren und erkennen, was er wirklich von uns will, statt dass wir uns die Antwort selbst geben.

Damals wird sie ihren Blick ganz persönlich auf die betenden Menschen um sie herum gerichtet haben. Ihren mütterlichen Blick, denn nach dem Wort ihres Sohnes am Kreuz ist sie auch die Mutter dieser Zeugen seiner Auferstehung, die zu Säulen des neuen Volkes Gottes werden sollen. Maria lehrt sie Beten und ist ihnen, den gelegentlich Ungeduldigen, Vorbild der Beharrlichkeit. Wahrscheinlich gab es Augenblicke, in denen das „Wie lange noch?“ eine gefährliche Versuchung war. Ein Blick auf Maria, die Erfahrene, wird dann gereicht haben. Hier werden sie angefangen haben zu ahnen, dass die liebende Verehrung der Mutter kein Hindernis für die Nachfolge des Sohnes ist, eher die Voraussetzung.

In dem Augenblick, in dem sich die Verheißung des Herrn erfüllt, zieht sich Maria zurück. Von diesem Augenblick an hören wir nichts mehr von ihr. Sie bleibt ständig gegenwärtig, aber im Schatten, in der Verborgenheit des Inneren – wie das Herz, wie die Lungen, wie das Blut. Nun ist Petrus die sichtbare Mitte jener Gemeinde. Er und alle anderen haben von Maria gelernt. Und der Geist beginnt, das Angesicht der Erde zu erneuern.