Staunend und mit erfüllter Hoffnung vor dem Kind

Zum Fest der Darstellung des Herrn am 2. Februar

Vierzig Tage nach Weihnachten lässt uns die Liturgie ein Mysterium bedenken, das im Licht der heiligen Nacht im Schatten bleiben musste und jetzt, da wir mitten im Alltag stehen, uns aktuell anspricht: dass Gott seinen Sohn sandte, „geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen“ (Gal 4, 4-5). Zweimal ist im Evangelium des Festes vom Gesetz und von dessen Erfüllung die Rede. Lukas – nur er erzählt diese Episode – fasst darin zwei verschiedene rituelle Vorschriften zusammen: die „Reinigung“, der sich die Mutter nach jeder Geburt unterziehen musste, sowie die „Darstellung des Kindes“, eine Art ritueller Loskauf, die nur die Geburt des Erstgeborenen betraf.

Zwei fromme Greise

Kann man sich dem Ereignis von der Schlussszene her nähern? Maria und Josef betrachten staunend die zwei Greise, Simeon und Hanna, die dem Kind huldigen, beide auf eigene Weise. Die hochbetagte Hanna – eine Witwe, die sich ständig im Tempel aufhielt – „pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten“. Simeon nimmt von Maria das Kind in seine Arme und sagt: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ Simeons Gotteslob ist sein Abendgebet zum Ausklang des ganzen Lebens, das damit in das Sehen des bislang Erhofften einmündet. So hat die Kirche dieses „Nunc dimittis“ in ihr Abendgebet bei der Komplet zum Abschluss des Tages aufgenommen.

„In Simeon und Anna kommt es zur ‚Begegnung' der ganzen Erwartung Israels mit seinem Erlöser“ (Katechismus der katholischen Kirche Nr. 529). So nennt die byzantinische Tradition dieses Fest‚Begegnung'. „Durch dieses Geschehen wurde nicht nur das Gesetz erfüllt, sondern Christus begegnete zum ersten Mal seinem Volk, das ihn im Glauben erwartete. Vom Heiligen Geist geführt, kamen jene gottesfürchtige Menschen Simeon und Hanna zum Tempel. Sie erkannten Jesus als ihren Herrn und Messias und verkündeten ihn voll Freude.“ (Messbuch, Einführung in die Kerzenweihe).

Von der Menge der Beter im Tempel unbemerkt, erfahren die beiden Greise dankbar, dass sich in jenem Augenblick die Hoffnung erfüllt, die sie jahrelang getragen hatte. Simeon zeigt es durch sein lautes Beten, Hanna durch ihren Drang sich auszusprechen, teils als Zeugnis, teils aus Freude wegen der wirklich gewordenen Hoffnung. Beide stehen an der Schwelle zum Neuen Testament und sind zugleich im Alten verankert. Aber aus ihrer Innerlichkeit heraus hatten sie geahnt, dass die Worte der Propheten über einen Messias und Erlöser sich einmal erfüllen würden. Sie hatten aus der Hoffnung gelebt, und diese trug ihr Beten. Simeon erkannte, dass es etwas gibt, das noch umfassender ist als seine Beglückung: „ein Licht, das die Heiden erleuchtet“.

Zunächst bewegt den Beter wohl, wie Simeon das Kind in seine Arme nimmt: der Neugeborene und der Greis, Jung und Alt, aufblühendes und erlöschendes Leben. Es gibt aber eine tiefere Sicht: „In diesem Miteinander von Kind und Greis sieht die Kirche das Zusammentreffen zwischen der vergehenden heidnischen Welt und dem neuen Beginn in Christus, zwischen der versinkenden Zeit des Alten Bundes und der neuen Zeit der Kirche der Völker dargestellt. Was hier ausgesagt wird, ist mehr als der ewige Kreislauf des Stirb und Werde; es ist mehr als der Trost, dass dem Abtreten einer Generation immer wieder eine neue mit neuen Ideen und Hoffnungen folgt. Wäre es so, dann wäre dies Kind keine Hoffnung für Simeon, sondern nur für sich selbst. Aber es ist mehr, es ist Hoffnung für jeden, weil es eine Hoffnung über den Tod hinaus ist. (Joseph Ratzinger, in „Mitarbeiter der Wahrheit“, Würzburg, 31992, S. 45).

Dem Gesetz unterstellt

Maria war ja rein von aller Sünde. Hatte sie eine Reinigung überhaupt nötig? Jedenfalls fällt es schwer sich vorzustellen, dass Maria und Josef auf den Gedanken gekommen wären sich abseits der Traditionen ihres Volkes zu stellen. Es wäre wohl keinem aufgefallen, wenn sie zuhause geblieben wären und sich dabei innerlich auf die Reinheit der Mutter und auf die Herkunft des Kindes, des noch verborgenen Gottessohnes, berufen hätten.

Vermutlich war es so, dass es sie drängte den seit Jahrhunderten geübten rituellen Handlungen endlich – wenn auch nach außen noch unsichtbar – die Fülle ihres Sinnes zu geben, indem der Einlöser selbst sich ihnen unterwirft – „dem Gesetz unterstellt“.

Und tatsächlich hat Christus, der Herr, „das überaus reiche Erbe des Gesetzes und der Propheten, das aus Geschichte und Erfahrung des Volkes Gottes im Alten Testament allmählich gewachsen war, keineswegs aufgehoben, sondern erfüllt (vgl Mt 5,17), so dass es in neuer und vertiefter Weise zum Erbe des Neuen Testamentes gehört“ (seliger Johannes Paul II., Apost. Konst. „Sacrae disciplinae leges“, 25.1.1983).

Um Großes bitten

Halten wir inne beim Betrachten der ehrwürdigen Gestalten von Simeon und Hanna. Sie baten um Großes: um den Messias, um das Kommen des Gottesreiches. Sie blieben nicht eingeschlossen in eine winzige Gebetswelt voll kleiner Anliegen und Gesetzesbeobachtungen. In der Weite ihrer Herzen öffnen sie sich für das Große, um von dort aus dann wieder in vielen kleinen Hoffnungen zu beten. „All unsere Hoffnungen münden in der einen Hoffnung: Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Die Erde werde wie der Himmel, sie soll selbst Himmel werden. In seinem Willen steht all unsere Hoffnung. Betenlernen ist hoffenlernen und ist darum lebenlernen.“ (Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, S. 25)

von Josef Arquer